Malerin: Die andere Frida Kahlo
EMMA Mai/Juni 1993
Sie ist seit Jahren eine feministische Kultfigur: die Malerin Frida Kahlo (1907-1954). Für die Kunsthistorikerin Erika Billeter hat ihr Werk in der Malerei die Bedeutung einer Virginia Woolf in der Literatur. "Frida Kahlo ist die erste Künstlerin in der Geschichte, die das männliche Prinzip der Kunst verlassen hat", schreibt sie in dem von ihr herausgegebenen Katalog zu der ersten umfassenden Kahlo-Ausstellung in Deutschland. Wie Woolf ist auch Kahlo lange Zeit zu einseitig gesehen, ist ihr Schmerz stilisiert und ihre Lebensfreude verschwiegen worden. Das nachfolgende Porträt zeigt eine noch unbekannte Frida Kahlo: eine große Malerin mit kleinen Skandalen, eine Vatertochter mit weiblichen Abgründen, ein Bürgerschreck mit politischem Engagement - kurzum eine höchst vielfältige und widersprüchliche Person, deren Bilder mehr sagen als Worte.
Warum lassen uns ihre Bilder nicht los? Warum muss die Frau, die auf keinem ihrer Bilder lächelt, ein Dornenhalsband tragen, das ihre zarte Haut blutig reißt? Woher kommt die alles durchdringende Tiefe ihres Blickes?
Der Schmerz und das Wissen der Frida Kahlo werden uns regelrecht entgegengeschleudert. Es ist das Werk einer Frau, die sich auf ihren Bildern gnadenlos ausliefert. Warum fühlte sie sich ihr Leben lang einsam und ungeliebt? Woher nahm sie die Kraft für ihre Arbeit? Warum konnte sie keinen Halt finden in sich selbst? Warum wählte sie gerade diesen Mann? Den Mann, den sie auf ihren Bildern als Judas, den Verräter, darstellt, aber dem sie die wunderbarsten Liebesgedichte schreibt? Was war passiert?
Der Schatten, der schon über ihren ersten Lebenswochen liegt, wird sich bis zum letzten Lebensjahr nicht auflösen. Frida ist die dritte von vier Töchtern des Ehepaars Matilde und Wilhelm Kahlo. Wilhelm Kahlo, ein gebürtiger Deutscher jiidisch-ungarischer Herkunft, war 19jährig aus Abenteuerlust nach Mexiko gekommen. Mit einer geliehenen Kamera hatte er begonnen, die Sehenswürdigkeiten des geschichtsträchtigen Landes zu fotografieren und nannte sich ab nun Guillermo Kahlo. Binnen kurzem erhielt er gutbezahlte Regierungsaufträge.
Als seine erste Frau starb, heiratete der gebildete jüdische Atheist eine auffallend schöne, aber streng katholische Mexikanerin. Sie war die Tochter eines Fotografen, der Kahlo bei der Karriere behilflich war. Die beiden Töchter aus erster Ehe gab er auf Wunsch seiner Frau Matilde in ein Kloster.
Bei Fridas Geburt wird die Mutter vom Kindbettfieber ergriffen, das bereits seine erste Frau dahingerafft hatte. Die Sorge im Haus gilt der Frau, die über Wochen unfähig sein wird, sich des Babys anzunehmen. Die Ernährung wird von einer Hebamme gesichert, die einige Male am Tag erscheint.
Frida Kahlo hat das Bild ihrer Geburt gemalt, wo eine Tote ihr Kind gebiert. Und das Bild mit ihrer Hebamme zeigt eine India mit einer schwarzen Totenmaske vor dem Gesicht, die einen kindlichen Körper in den Armen hält mit dem ausdruckslosen Gesicht der erwachsenen Frida. Sind das Schlüssel zum Verständnis?
Eine der Halbschwestern, die gelegentlich zu Besuch kommen, wirft Frida einen eifersüchtigen Satz an den Kopf, der das kleine Mädchen nach Fridas eigenen Worten in ein introvertiertes Kind verwandelt: "Du bist gar nicht das Kind deiner Eltern. Die haben dich aus dem Müllkübel gezogen!" Frida glaubt ihr.
Sechsjährig bekommt Frida Kinderlähmung. Frida Hinkebein! Hohnruf der Kinder aus der Nachbarschaft. In den vielen Monaten, die die Krankheit Frida ans Bett fesselt, erfährt sie die Liebe ihres Vaters. Für ihn, den Vater von sechs Mädchen, ist Frida nicht nur das begabteste seiner Kinder, sondern er fühlt sich durch Fridas Krankheit ganz besonders mit dieser Tochter verbunden: Seit er als Junge vom Pferd gestürzt war, litt er zeitlebens unter epileptischen Anfällen, die er durch Arbeitsdisziplin und Willensstärke in Schach zu halten versuchte.
Seiner Energie, seiner Aufopferung, seinem Glauben an Frida ist es zu verdanken, daß das verkrüppelt gebliebene Bein so funktionstüchtig trainiert wird, daß keine wesentliche Behinderung zurückbleibt. Beim Training gegen die Lähmung schwimmt Frida, fährt Fahrrad und spielt Fußball: Sie sprengt jene Grenzen, in denen die Mädchen ihrer Zeit aufzuwachsen pflegen.
Der Preis ist die Einsamkeit. Frida sehnt sich so nach einer Freundin. Jeden Tag flüchtet sie durch ein imaginäres Loch in der Fensterscheibe zu einem kleinen Mädchen. Sie denkt sich Dialoge und Spiele aus. Die Freundschaft mit der anderen Frida in ihr beginnt und wird Jahrzehnte später auf dem Bild "Die beiden Fridas" zerrissen Gestalt annehmen.
Fridas Traum ist es, Ärztin zu werden. Der Vater macht seinem Liebling den Traum wahr: Anderthalb Jahrzehnte nach der mexikanischen Revolution und in der Zeit der ersten Feministinnen wird Frida als eines der wenigen Mädchen die Preparatoria besuchen, deren Absolvierung sie zu einem Studium berechtigt.
In den Jahren auf der Schule scheint Frida den Schatten über sich zerrissen zu haben. Sie ist selbstbewusst. Sie schafft es, in der berüchtigsten Jungen-Clique der Schule, den "Cachuchas" mit den Baskenmützen als Erkennungszeichen, aufgenommen zu werden. Eine ihrer Lehrerinnen beginnt eine Liebesbeziehung mit der knabenhaft aussehenden Frida. Später wird Frida im Leben wie auf ihren Bildern immer wieder zur Frauenliebe stehen. Doch ihre erste Beziehung zu einer Frau endet in einem für Frida damals unverständlichen Familieneklat.
Der Unfall passiert in Fridas 18. Lebensjahr. Ein Zusammenstoß von Straßenbahn und Autobus. Die stählerne Haltestange des Busses bohrt sich durch ihren Unterleib und tritt bei der Vagina wieder heraus. Frida später: "Das Geländer hatte mich durchbohrt wie ein Degen einen Stier." Fridas Rückgrat ist an drei Stellen im Beckenbereich verletzt. Das Schlüsselbein ist gebrochen, dazu zwei Rippen. Die linke Schulter ausgekugelt. Das Schambein dreifach gebrochen. Ihr von der Kinderlähmung verkrüppeltes rechtes Bein ist zerquetscht, elfmal gebrochen und der Fuß ausgerenkt.
Die Familie bekommt einen Schock: Der Vater wird krank und die Mutter spricht einen Monat lang kein Wort mehr. Nun harrt Mathilde, Fridas Halbschwester, tagelang an Fridas Krankenbett aus. Ausgerechnet sie, die vom Vater verstoßen wurde, weil sie ohne sein Einverständnis geheiratet hatte. Die beiden Kahlo-Mädchen bringen alle anderen Patientinnen im Krankensaal durch ihre Spaße zum Lachen. Auch die "Cachuchas" lassen ihre Kameradin nicht im Stich.
Fridas Verletzungen an der Wirbelsäule werden nicht gleich erkannt und nicht behandelt. Später wird man mit Stahl- und Gipskorsetts ihre Schmerzen zu lindern versuchen. Das rechte Bein wird kurz vor ihrem Tod amputiert werden. Mit dem Unfall beginnt Fridas "lebenslanges Sterben". Aber es beginnt auch ihr unsterbliches Werk. Viva la vida.
Zunächst jedoch scheinen die kühnen Träume der Selbstverwirklichung als Frau, die der Vater in ihr entfacht hatte, zerbrochen. Fridas Ausbildung kann nicht mehr bezahlt werden, das Elternhaus ist mit einer Hypothek beliehen, Fridas Krankenhausaufenthalt und die Arztkosten haben das Vermögen der Familie aufgebraucht. Der Unfall wirft Frida wieder hinab in das Tal der Ausgestoßenen, aus dem sie sich mit ihres Vaters Hilfe gerettet hatte.
Im Gipskorsett an das Bett gefesselt, kreisen ihre Gedanken um Alejandro, den bewunderten und geliebten Anführer der Studentenbewegung. Frida beginnt zu malen. Früher hatte sie über Vaters naive Genrebilder gelächelt. In der Schule war sie berühmt gewesen für ihre Pictogramme, und im Fotolabor ihres Vaters hatte sie die sorgfältige Arbeit des Retuschierens gelernt. Eine Staffelei wird an ihr Bett montiert, ein Spiegel über ihr befestigt. Frida malt ihr erstes Selbstporträt, für Alejandro.
Sie, die Krüppelin, malt sich schön, von aristokratischer Eleganz, in botticellesker Malweise. Ihre Formate sind klein, nicht zuletzt, weil sie nur im Sitzen malen kann. Am liebsten malt sie in Öl auf Metall oder Hartfaser. Und sie schreibt dem kurzfristig in Berlin studierenden Alejandro Arias, mit dem sie ein Leben lang befreundet bleiben wird, selbstironische, sarkastische Briefe mit Sätzen wie: "Wenn du wüsstest, wie schrecklich es ist, plötzlich zu wissen." Und: "Mir hängt die Sache schon dermaßen zum Hals raus, so viele Krankheiten wie eine Alte, ich weiß nicht, wie ich wohl mit dreißig sein werde, da wirst du mich in Watte eingewickelt herumtragen müssen wie eine Alte." Oder: "Ich bin auf den Tod gelangweilt!!!!!"
Ans Haus gefesselt, besinnt Frida sich auf ihre Kinderträume, auf die Revolution, auf Pancho Villa. Sie sucht die Nähe zur kommunistischen Bewegung, dem revolutionären Atem, der ihre Schulzeit geprägt hatte. Ihr Held ist Francisco Madero, der 1910 gegen die von Militär und Großgrundbesitz gesteuerte Diktatur des Porfirio Diaz angetreten und von der Bauern- und Partisanenbewegung Pancho Villas und Emiliano Zapatas unterstützt worden war. Frida verlegt ihr Geburtsjahr auf 1910 - nicht, um sich drei Jahre jünger zu machen, sondern um ein "Kind der Revolution" zu sein.
Auf der Schule hatte Frida zum ersten Mai den berühmten und umstrittenen Maler Diego Rivera gesehen. Die Regierung hatte ihm die Aula der Schule für seine Freskenmalerei zur Verfügung gestellt. Dieser sogenannte "muralismo" war untrennbar mit der mexikanischen Revolution verbunden. Er versinnbildlichte die nationale Tradition mit einer Vision der Zukunft.
Angezogen von der Kunst und der sinnlichen Ausstrahlung Riveras, vertraut das Mädchen Frida der Schwester Christina den Vorsatz an, von diesem Mann eines Tages ein Kind zu bekommen. Doch das ist lange her. Inzwischen war Diego Rivera in der Sowjetunion, dem Mutterland der Revolution, und kommt, als Maler wie nationalistischer Revolutionär, entschlossener denn je zuvor zurück. Auch Frida Kahlo ist entschlossen. Entschlossen, Malerin zu werden. Mit 21 geht sie zu dem Maler, den sie am meisten bewundert, um sein Urteil zu hören. Diego Rivera erinnert sich:
"Da ich tief beeindruckt und voller Bewunderung für das Mädchen war, fiel es mir schwer, sie nicht zu loben; aber ich konnte ja mit meiner Meinung nicht völlig hinter dem Berg halten. Ihr Benehmen war mir allerdings rätselhaft: Warum, fragte ich sie, misstraute sie meinem Urteil? War sie denn nicht gerade deshalb zu mir gekommen? 'Das Problem ist', gab sie mir zur Antwort, 'dass mir einige Leute, die dich gut kennen, geraten haben, mich nicht allzusehr darauf zu verlassen, was du sagst. Sie behaupten, du würdest einem Mädchen nichts als nur Nettigkeiten sagen, wenn sie kein ausgemachtes Scheusal ist. Also noch mal: Ich möchte wissen, ob ich weitermachen soll oder etwas anderes anfangen muss.' 'Meiner Meinung nach', sagte ich ebenso kurz, 'musst du unbedingt weitermachen'."
Frida steht Modell fur Riveras Wandgemälde "Waffenverteilung" im Zyklus "Proletarische Revolution", den er im dritten Stock des Erziehungsministeriums malt. Er hilft ihr, eine Stelle als Zeichenlehrerin zu finden. Ein Jahr später heiraten sie. Es ist seine dritte Ehe, er ist 42, sie 22 Jahre alt.
Er tilgt die Hypothekenschuld der Familie. Er bittet sie, die mexikanische Tracht zu tragen. Sie tut es. Es scheint eine große Liebe zu sein. Sie nennt ihn zärtlich "Frosch" - wegen seiner hervorquellenden Augen. Doch einige Jahre später erscheint Rivera auf Fridas Bildern mit dem Auge des Verrats auf der Stirn. Als Judas, eine groteske Figur aus Pappmache, die mit ihren Dynamitkapseln und Sprengschnüren in der Luft zerrissen wird. Als Täter mit dem blutigen Messer in der Hand.
In den ersten Jahren ihrer Ehe ist Frida "Frau Rivera", die zerbrechliche, extravagante Frau eines berühmten Malers. Sie steht in seinem Schatten, ganz um das leibliche und seelische Wohl ihres Gatten besorgt und auf ein einziges Ziel gerichtet: dem Urteil ihrer Ärzte zum Trotz dem geliebten Mann einen Sohn zu gebären. Es gibt die guten Tage und Nächte, in denen Rivera seiner Frau das Gefühl verleiht, in ihren Armen glücklich zu sein.
Sie, die Tochter einer Mexikanerin und eines Europäers, verkörpert für den revolutionären Nationalisten die mexikanische Heimat. Er stilisiert sie zur Mutter Mexiko, zur Mittlerin zwischen der mexikanischen Erde und dem Universum. Er stärkt sie in ihrem Glauben an den Dualismus in der Natur, symbolisiert im Yin und Yang, dem männlichen und weiblichen Prinzip, das nur in der Einheit existiert.
Später wird er ihre Bisexualität publik machen, um damit die sexuellen Freiheiten, die er sich nimmt, zu entschuldigen. Aber ihre Liebhaber wird er mit der Pistole bedrohen. "Wenn ich eine Frau liebte", schrieb Rivera in seiner Autobiografie, "wollte ich sie um so mehr verletzen, je mehr ich sie liebte; Frida war bloß das deutlichste Opfer meines abscheulichen Charakterzuges."
An der Seite ihres Vaters hatte Frida das Land, in dem sie geboren wurde, mit Neugier aufgenommen; mit dem Blick des Europäers, des anderen, der mehr sieht als die Einheimischen. Stets auf der Suche nach einer Identität, die sie zu der ihren machen kann, wird Frida nun für ihren Mann die Tehuanerin, die Frau vom Isthmus von Tehuantepec. Auf den meisten ihrer Bilder erscheint sie in der Tracht dieser stolzen Frauen, die in dem Ruf stehen, noch im Matriarchat zu leben, das Gemeinwesen zu leiten und den Ton anzugeben.
Für Diego Rivera, der mit Leidenschaft die Zeugnisse präkolumbianischer Kunst sammelte, für die er sein Anahuacalli-Museum baute, verkörperte Frida die Tradition des indianischen Volkes, dessen Stolz und Würde. Und so stellt sie sich auch selbst auf ihren Bildern dar. Neben ihr die grinsende Totenfrau und die aztekische Fruchtbarkeitsgöttin. Letztere stets mit abgeschlagenen Füßen, demonstrierend, daß ihr herrlich vorgewölbter Leib hohl ist - die bittere Analogie zu Fridas Unmöglichkeit, ein Kind auszutragen. Sie hat drei Fehlgeburten und eine notwendige Abtreibung nur schwer verwunden. Die beiden sind in dieser Zeit ein berühmtes Paar, ja fast schon Legende. Sie sind der künstlerische und intellektuelle Mittelpunkt Mexikos und weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt.
Zwar verehrt Frida ihr Leben lang die großen Helden der Revolution: von Marx bis Mao, von Stalin bis Trotzki. Doch ideologischer Dogmatismus ist ihr wohl eher fremd. Lieber als zu Parteiversammlungen geht sie ins Kino oder Tanzen. Auffallend ist die Anzahl ihrer offen homosexuellen Freunde. Und sie selbst lebt zwar nicht so exhibitionistisch wie ihr Mann, aber auch rigoros antibürgerlich: Sie hat Liebhaber und Liebhaberinnen. Darunter Leo Trotzki, den sie belustigt "piochitas" (kleiner Ziegenbart) nennt und mit dem sie einige Wochen lang eine Affäre hat. Doch rasch gesteht sie einer Freundin: "Ich bin des Alten ziemlich müde..."
Frida hasste offizielle und organisierte Reden. Jacqueline Breton, die zusammen mit Frida Kahlo an einer Veranstaltung mit Trotzki teilnahm, erinnert sich, wie sie und Frida sich dort die Zeit vertrieben: "Wir benahmen uns wie zwei Schülerinnen in der Schule, denn Trotzki war äußerst streng. So durften wir zum Beispiel nicht rauchen. Er erklärte uns, dass Frauen überhaupt nicht rauchen sollten. Frida zündete sich trotzdem eine Zigarette an, und da sie wusste, daß er Bemerkungen darüber nicht unterdrücken würde, gingen wir zusammen hinaus. Wir mochten Trotzki ja gerne leiden, nur übertrieb er alles und war entsetzlich altmodisch."
Zu ihren Liebhaberinnen gehören die legendaren mexikanischen Schauspielerinnen Dolores del Rio und Maria Felix, die sie ihrem Mann wegschnappt. Die Liebe mit Maria ist in ihrem berühmten "Blauen Haus" - dem Elternhaus, in dem Frida zur Welt kam, lebte und starb - sogar im Schlafzimmer verewigt, genannt das "Zimmer von Maria Felix, Diego Rivera, Frida Kahlo, Elinata und Teresita". Frida liebt es zu schockieren. Auch als Malerin greift sie immer wieder Tabuthemen auf. Sie stellt auch Geburt und weibliche Sexualität dar, ihre Bilder stecken voller sinnlicher Symbole (Melonen oder Pitahayas).
Eines Tages aber lassen sich Fridas körperliche Schmerzen nicht länger überspielen, nicht mit Alkohol oder Morphium betäuben, die Hölle ihrer Krankenhausaufenthalte beginnt. Mit ihr die Eifersucht. Rivera hat mehr Verhältnisse denn je. Kahlo schreit ihre körperlichen und seelischen Schmerzen auf ihren Bildern hinaus. In Gesellschaft, Freunden und Bekannten gegenüber, gibt sie sich weiter heiter, großzügig, verzeihend, flirtend. Eine brillante Erscheinung im wahrsten Sinne des Wortes: Frida hatte sogar zwei herausnehmbare Zahnkronen aus rosafarbenen Diamanten! Auf ihren Bildern aber will sie nicht lächeln.
Diego beginnt ein Verhältnis ausgerechnet mit Christina, ihrer Lieblingsschwester. Sie ist eine gesündere und vermutlich auch unkompliziertere Frida. Er stellt sie als "Sekretärin" ein. Der empörten Frida legt er eine schriftliche Bestätigung des gemeinsamen Hausarztes vor, der ihm bestätigt: Er brauche rein körperlich den Beischlaf mit anderen Frauen. Er will nicht von seinem Hobby lassen, schönen Touristinnen "Mexiko zu zeigen".
Frida lässt sich von Diego scheiden. Sie denkt an Selbstmord. Sie kann nicht mit ihm leben, aber auch nicht ohne ihn. Die beiden heiraten nach einem Jahr zum zweiten Mai, wobei Frida diesmal auf einen Ehevertrag besteht, der zwei Bedingungen enthält. Erstens: keine sexuelle Beziehung mehr. Zweitens: Frida will von Diego kein Geld mehr annehmen. Sie will sich ihre Unabhängigkeit durch den Verkauf ihrer Bilder sichern. Diesen lebenswichtigen Rat hatte ihr ihre beherzte Freundin Anita Brenner gegeben.
Rivera bleibt der erste und glühendste Bewunderer von Fridas Kunst, die er hoch über die eigene stellt. Er ist ihr Förderer und ihr größter Propagandist. Er ist es, der ihr Mut macht. Er will, dass sie sich als Künstlerin sieht und als solche annimmt. Frida versöhnt sich mit Christina, auf deren Freundschaft sie nicht verzichten will.
Der "Papst" der Surrealisten, Andre Breton, stellt auf einer Vortragsreise durch Mexiko in dem Werk der Frida Kahlo eine "unerwartete Verwandtschaft mit dem Surrealismus" fest und organisiert ihr eine Ausstellung in Paris. Spätestens da aber erkennt Frida, wie grundsätzlich sich ihr eigenes Werk von dieser europäischen Revolte gegen die bürgerliche Kunst unterscheidet. Nichts ist bei ihr "absichtsfreies Spiel". Nichts gerät bei ihr aus der "Vernunft-Kontrolle", nichts ähnelt in ihrem Werk der surrealistischen, psychoanalytisch gespeisten Ästhetik.
Bei ihrer Ausstellung 1939 in Paris beugen sich selbst die größten Männer vor ihrem Genie. Kandinsky umarmt sie mit Tränen in den Augen. Und Picasso schreibt an Rivera: "Weder Derain, noch ich oder Du sind in der Lage, einen Kopf so zu malen wie Frida Kahlo."
Auch Frida selbst weiß längst um ihre Begabung. Schon 1933 antwortet sie in einem Interview mit den Detroit News selbstbewußt: "Nein, ich habe nicht bei Diego studiert. Ich habe überhaupt bei niemandem studiert. Ich habe ganz einfach angefangen zu malen. Natürlich macht der kleine Junge seine Sache recht gut, aber die wirklich große Kunstlerin bin doch ich." Das weiße Amerika liegt ihr zu Füßen. Die "Gringo-Frauen" mit diesen "Gesichtern wie ungebackene Brötchen" (Kahlo) imitieren ihre mexikanische Tracht. Sogar Vogue titelt mit ihrer Mode. Kahlo ist in.
Drogen, Alkohol und Einsamkeit überschatten die letzten Lebensjahre der Frida Kahlo. 38 Operationen, Gipskorsette, Stahlkorsette und Nägel im ganzen Körper. Und dann die 39. Operation. 1953 wird Frida Kahlo, die die Schmerzen schon lange nur noch mit Morphium unterdrücken kann, das rechte Bein bis zum Knie amputiert. "Eine Jahrhundert-Folter", notiert sie in ihr Tagebuch, die noch Monate zuvor den verkrüppelten Fuß in rote Stiefel gezwängt hatte, um gegen das Schicksal anzutanzen. Acht Monate nach dem Eingriff macht sie einen Selbstmordversuch. Vier Monate später demonstriert sie, im Rollstuhl, ein letztes Mai "gegen den Imperialismus", protestiert gegen den Einmarsch der USA in Guatemala.
Am 13. Juli 1954 stirbt die entkräftete Frida Kahlo im Alter von 47 Jahren an einer Lungenentzündung. Ihre Freundinnen schmücken die Tote in der Tehuanatracht. Frida Kahlo wird öffentlich im Palast der Schönen Künste aufgebahrt. Den ganzen Tag lang zieht ein Strom von Menschen am berühmten Himmelbett vorbei.
In dem Jahr vor ihrem Tod findet in Mexiko die erste Einzelausstellung ihres längst international anerkannten Werkes statt. Ihr Werk ist quantitativ klein, 100 Ölbilder und ein paar Dutzend Zeichnungen. Ende der 30er Jahre hatten die Kritiker noch herablassend von der "kleinen Frida", der Frau des berühmten Malers, gesprochen, deren Werke "mehr aus dem Bereich der Geburtshilfe und Gynäkologie als aus dem der Ästhetik" genommen seien.
Mit der Ausstellung 1953 gelangt Frida Kahlo auch in der Heimat zu eigener Anerkennung. Die Malerin, bereits bettlägerig, läßt sich zur Ausstellungseröffnung im Triumphzug in einem Bett hereintragen und beeindruckt alle Anwesenden durch ihre Ausgelassenheit. 1983 wird ihr Werk zum mexikanischen Nationalbesitz erklärt.
Ihr Vater erlebt den späten Ruhm seiner begabten Tochter nicht mehr. Diego Rivera überlebt sie. Für ihn ist Frida Kahlo bis zuletzt mehr Mythos denn Mensch. Und doch war er ihr ein Leben lang der Nächste. Im Rückblick sagt er über ihre Arbeit: "In Fridas Werk herrscht nicht die Tragödie. Das ist von vielen Menschen falsch verstanden worden. Die Finsternis ihres Schmerzes ist nur der samtartige Untergrund für das wunderbare Licht ihrer körperlichen Intelligenz und der unbesiegbaren Kraft, mit der sie um das Leben kämpft, um ihren Freunden, den Menschen, zu zeigen, wie man feindseligen Mächten widerstehen, über sie triumphieren und zu einem höheren Glück gelangen kann."
Einige Jahre zuvor notierte Frida Kahlo selbst in ihr Tagebuch: "Nichts ist fürs Leben wichtiger als das Lachen. Lachen bedeutet Stärke, Selbstvergessenheit und Leichtigkeit. Tragödien sind dagegen albern."