Offener Brief an Ministerin Karliczek
Sehr geehrte Frau Ministerin Karliczek,
bisher haben wir von Ihnen als unserer Bundesministerin für Bildung und Forschung noch nicht viel gehört. Jetzt aber machen Sie Schlagzeilen - zum ersten Mal. In einem Interview haben Sie erklärt, die Einführung der „Ehe für alle“, sei „so nicht richtig gewesen“. Das ist eine überraschende Aussage. Ist doch die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare am 30. Juni 2017 vom Bundestag mit 393 zu 226 Stimmen verabschiedet worden, also fast einer Zwei-Drittel-Mehrheit. Dafür gestimmt haben übrigens auch ein Viertel der Unions-Abgeordneten, sogar welche von der CSU.
Aber schon klar, Sie haben das „nicht richtig“ ja auch nicht im Sinne von „undemokratisch“ gemeint, sondern im Sinne von „zu schnell“. „Mal eben im Federstrich“ sei der Beschluss gefasst worden. Nun, ich kann mir ja durchaus vorstellen, dass es Ihnen persönlich etwas hastig erschienen ist, dass Sie bereits 16 Wochen nach Ihrem Wechsel von Brochterbeck nach Berlin mit diesem Ihnen offensichtlich so unangenehmen Thema konfrontiert waren.
Was möchten Sie in einer neuen Studie eigentlich genau klären?
Deshalb, liebe Frau Ministerin, sei hier für Sie erklärt: Die Debatte um die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare dauert bereits mehrere Jahrzehnte. EMMA hat die Homo-Ehe 1984 zum ersten Mal gefordert. Da waren Sie 13 Jahre alt. 17 Jahre und viele Talkshows und Aufklärungs-Kampagnen des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD) später, am 1. August 2001, trat die Eingetragene Lebenspartnerschaft in Kraft. Nochmal 16 Jahre danach die „Ehe für alle“. Das ist doch eher Kamelkarawane als Federstrich, finde ich.
Und es ist gelungen, die Bevölkerung bei der Debatte mitzunehmen, jedenfalls zeigen das alle Umfragen. Zwei von drei aller deutschen Frauen und Männer finden es gut, dass Frauen Frauen heiraten können und Männer Männer. Je nach Umfrage sogar drei von vier.
Zum restlichen Viertel gehören Sie. Warum? Weil es Ihnen nicht geheuer sei, was mit Kindern in diesen Ehen passiert. Darüber, beklagen Sie, gebe es noch keine Langzeitstudien. Und Sie, unsere Forschungsministerin, möchten in einer solchen Studie nun endlich einmal geklärt haben, was… ja, was denn eigentlich?
Bringen die Regenbogenfamilien das Patriarchat zum Einsturz?
Dass Kinder in sogenannten Regenbogenfamilien bestens aufgehoben sind, belegt nicht nur die Studie des Bayerischen Staatsinstituts für Familienforschung der Katholischen Universität Bamberg, die 2009 vom Bundesjustizministerium in Auftrag gegeben wurde. Auch 75 (in Worten: fünfundsiebzig) weitere Studien, viele davon aus den USA, kommen zum immerzu selben Ergebnis, wie auch die „American Psychological Association“: "Lesbische und schwule Eltern können Kindern genauso gut wie heterosexuelle Eltern eine gesunde und unterstützende Umgebung bieten."
Wenn es aber, wie Sie selbst sagen, gar nicht darum geht, ob die Kinder in Regenbogenfamilien „glücklich sind und gut erzogen werden“, was Sie nicht bezweifeln, worum geht es Ihnen denn wirklich?
„Meine Einschätzung als Mutter dreier Kinder ist, dass es für Kinder wichtig ist, das emotionale Spannungsfeld zwischen Vater und Mutter zu erleben.“ Aha. Was genau meinen Sie mit „Spannungsfeld“? Den Zoff um die Frage, wer die Wäsche macht und wer die Kinder vom Fußballtraining abholt? Tja, tatsächlich gibt es darüber in Regenbogenfamilien, von denen 90 Prozent Zwei-Mütter-Familien sind, entschieden weniger Spannungen als in Mutter-Vater-Familien. Denn die gleichgeschlechtlichen Paare teilen sich – auch das ergeben zahlreiche Studien – Erwerbs- und Familienarbeit entschieden partnerschaftlicher. Das ist doch ein schönes Vorbild für die Kinder, finden Sie nicht auch?
Sollte die Forschungsministerin nicht den Stand der Forschung kennen?
Folgt eine Reihe weiterer, nicht immer ganz leicht nachzuvollziehender Argumente von Ihnen. Das entscheidende scheint mir dieses zu sein: Durch die Regenbogenfamilien werde die „Gesellschaft grundsätzlich vollständig verändert“.
Jetzt kommen wir der Sache, um die es Ihnen eigentlich geht, näher. Sie fürchten also, ich fasse das mal knapp zusammen, dass die Vater-Mutter-Kind-Familie mit all ihren Rollenzuschreibungen gefährdet ist? Da kann ich Sie beruhigen. So ein paar Tausend Regenbogenfamilien bringen das Patriarchat nicht zum Einsturz - auch wenn ich mir das wünschen würde. Aber sie verändern tatsächlich etwas. Kinder in Regenbogenfamilien erleben Familien, in denen kein Vater das Familienoberhaupt oder den Alleinverdiener gibt; in denen Mütter (jedenfalls die meisten) die Waschmaschine nicht nur befüllen, sondern sie vorher auch anschließen können. Sie erleben Eltern, die die Frage, wer welche Aufgaben übernimmt, unabhängig vom Geschlecht verhandeln. Und das ist auch gut so. Finde ich.
Und ich möchte Sie daran erinnern, liebe Frau Karliczek, dass Sie seit Ihrem Amtsantritt am 14. März 2018 nicht mehr nur als Mutter dreier Kinder aus dem westfälischen Brochterbeck sprechen, sondern als Bundesministern für Bildung und Forschung. In einer Welt, in der bisher 75 Studien zu der Frage erstellt wurden: Wie ergeht es Kindern in Regenbogenfamilien? Es ist also wirklich nicht nötig, eine 76. Studie in Auftrag zu geben. Aber es wäre gut, wenn Sie als Ministerin den wissenschaftlichen Stand zum Thema kennen würden.
Ihre
Chantal Louis