Alice Schwarzer schreibt

Peschel-Gutzeit: Wolf im Schafspelz

Lore Maria Peschel-Gutzeit. Foto: Bettina Flitner
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„Ich bin ein Wolf im Schafspelz.“ Das hat sie einmal von sich selber gesagt. Treffender hätte sie es nicht beschreiben können. Die 1932 geborene Juristin Lore Maria Peschel-Gutzeit war mit ihrem Faible für klassische Kostüme und Schleifenblusen äußerlich eine hanseatische Lady, innerlich aber eine echte Radikale: gerecht, aufrichtig, unerschrocken. Jetzt ist die Anwältin, Richterin und Justizsenatorin im Alter von 90 Jahren in Berlin gestorben.

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Sie hat nicht auf die Frauenbewegung gewartet, um loszulegen. Schon als Richterin in Hamburg initiierte die nach ihrer frühen Scheidung alleinerziehende Mutter von drei Kindern 1968 die „Lex Peschel“, ein Gesetz, das es Beamtinnen und Richterinnen mit Kindern möglich machte, Teilzeit zu arbeiten und in Familienzeit zu gehen. „Ich selber habe das Gesetz natürlich nie in Anspruch genommen.“

Lore Maria Peschel-Gutzeit war eine der drei Mütter der Stern-Klage

Die Frauenbewegung kam Lore Maria da gerade recht. 1978 tauchte sie mit Gisela Wild in der EMMA-Redaktion in Köln auf. Die beiden formulierten mit mir zusammen die legendäre Klage gegen den Stern wg. sexistischer Titelbilder. Natürlich war es der damaligen Richterin klar, dass wir diese Klage gar nicht gewinnen konnten – denn es gab ja kein Gesetz, das sexistische Bilder unter Strafe stellte. Wir konnten den Prozess also nur moralisch gewinnen – was wir dann auch getan haben.

Peschel-Gutzeit 1991 als Justizsenatorin in der Justizvollzugsschule.
Peschel-Gutzeit 1991 als Justizsenatorin in Hamburg.

Die Nation stand Kopf und es wurde monatelang über den „Stern-Prozess“ debattiert. Zu guter Letzt erklärte der Richter, Manfred Engelschall, das Anliegen der Klägerinnen für berechtigt und gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass es „in 20, 30 Jahren“ ein Gesetz gäbe, auf dessen Grundlage die Herstellung, der Handel und der Konsum solcher herabwürdigenden Bilder und Texte von Frauen verboten werden könnten – ganz wie rassistische oder antisemitische Bilder. Es gibt das Gesetz bis heute nicht.

Sie hat den PorNO-Gesetzesentwurf mit mir gemeinsam formuliert

Der Stern-Prozess schmiedete uns nur scheinbar so Unterschiedlichen zusammen, und es gab in den darauffolgenden Jahren so manchen Austausch zur Einschätzung juristischer Entwicklungen, speziell in Bezug auf die Lage der Frauen. Die Familienrechtlerin ging derweil mit großen Schritten voran: 1977-1983 Vorsitzende des Juristinnenbundes, 1984-1991 die erste Vorsitzende Richterin am Hanseatischen Oberlandesgericht, 1991-1993 Justizsenatorin in Hamburg, 1994-1997 Justizsenatorin in Berlin. Am Tag vor ihrem Tod, am 1. September, saß die engagierte Anwältin noch in ihrer Kanzlei am Kudamm.

Es war nur logisch für sie und mich, dass wir nach dem Stern-Prozess nicht resignierten, sondern weitermachten. Im Rahmen von EMMAs PorNO-Kampagne erarbeiteten wir zusammen in ihrer Hamburger Wohnung einen Gesetzesentwurf, der Pornografie in Text und Bild definierte als „die Verknüpfung sexueller Lust mit Lust an Erniedrigung und Gewalt“.

Immerhin schaffte es der bis heute gültige Entwurf von 1988 noch bis zu einem von der SPD initiierten Hearing in Bonn, aber dann versandete er. Nicht zuletzt dank einiger Krikerinnen, die anbiedernd erklärten, dass das, was Alice Schwarzer sich da ausgedacht hat, „juristisch laienhaft und männerfeindlich“ sei. Die Autorenschaft der Hamburger Richterin war natürlich damals geheim. Wir haben uns erst viel später entschlossen, es rückwirkend öffentlich zu machen.

Perlenkette, Disziplin, gerechtes Herz und messerscharfer Verstand

Im Jahr 2000 erreichten Peschel-Gutzeit und andere nach 30 Jahren Debatten, dass die Prügelstrafe für Kinder geächtet wird. Da schlugen die Wellen hoch. „Wir hätten beinahe selber Prügel gekriegt“, erinnert sich ihre juristische Weggefährtin, die Anwältin Gisela Wild. Seither haben Kinder ein Recht auf eine gewaltfreie Erziehung. Die von ihr so unermüdliche Verankerung der Kinderrechte hat sie zu Lebzeiten nicht erreicht.

Lore Maria Gutzeit im Dezember 1958 mit ihrem ersten Ehemann.
Lore Maria Gutzeit im Dezember 1958 mit ihrem ersten Ehemann.

Den Frauen gab Lore Maria in einem Porträt in EMMA 1992 mit auf den Weg, sie sollten „Zurückweisungen nicht immer so persönlich nehmen. Und sie müssen begreifen, dass es nicht damit getan ist, dass sie ihre Arbeit ordentlich machen.“

In ihrer 2012 veröffentlichten Autobiografie „Selbstverständlich gleichberechtigt – eine autobiografische Zeitgeschichte“ verriet die Tochter einer hochpolitisierten Mutter, dass sie früher eigentlich gerne Sängerin geworden wäre, und dass sie mit Freundinnen regelmäßig Rallye gefahren ist. Wer jemals auf dem Beifahrersitz der rasanten Autofahrerin gezittert hat, war von Letzterem nicht überrascht. Und ihre Stimme hat die Frau mit der Perlenkette, der Disziplin, dem messerscharfen Verstand und dem großen Herzen auch als Juristin unüberhörbar ertönen lassen.

Ich bin traurig. Traurig, dass sie nicht mehr zu hören sein wird – auch wenn ihr so gerechtes juristisches Erbe bleibt.

ALICE SCHWARZER

Zahlreiche Artikel von und über Lore Maria Peschel-Gutzeit im EMMA-Lesesaal. Hier ein Interview, das Chantal Louis 2009 mit ihr führte.

WEITERLESEN

Lore Maria Peschel-Gutzeit: Selbstverständlich gleichberechtigt. Eine autobiografische Zeitgeschichte (Hoffmann und Campe).

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