Petra Volpe: Die Erfolgreiche
Am Anfang von Petra Volpes Leben steht ein Skandal. Ein Provinzskandal im aargauischen Suhr. Die Tochter von Bäcker Schmid, dessen Bauernbrot weitherum berühmt ist, verliebt sich Ende der 60er-Jahre in einen italienischen Gastarbeiter. Da ist die Tochter 17. Das ist schon schlimm genug.
Mit 19 wird sie auch noch schwanger. Der Bäcker will dem Italiener heftigst die Kappe waschen. Doch der besucht die künftigen Großeltern strahlend und mit einem riesigen Blumenstrauß. Der Bäcker ist entwaffnet. Das Kind, das 1970 zur Welt kommt, ist Petra Volpe. „Ein kleines, dickes Italiener-Kind mit Brille“, sagt sie über sich, hineingeboren in eine Welt der „kleinen Erwartungen“, in der Kultur keine Rolle spielt.
Heute ist sie die erfolgreichste Frau, wahrscheinlich sogar der erfolgreichste Mensch der Schweizer Filmbranche. Ihr Spielfilm „Traumland“ über die harte Realität in der Prostitution wurde in drei Kategorien für den Schweizer Filmpreis nominiert. Ihr Drehbuch zu „Heidi“ sorgte dafür, dass bis jetzt 3,5 Millionen ins Kino gingen. „Die göttliche Ordnung“, ihr Film über die späte Einführung des Frauenstimmrechts in der Schweiz (EMMA 3/17), wird ein fulminanter Erfolg und mit dem Schweizer Filmpreis für das beste Drehbuch ausgezeichnet. Das stammt von Petra Volpe. Niemand hat das von ihr erwartet, sie hat sich jedes Elementarteilchen ihres Erfolgs selbst ergattert, weil sie musste: „Schreiben und Filmemachen ist für mich die Rettung, sonst würde ich implodieren.“
Petras Mutter, Bäckerstochter, verliebt sich in einen Italiener. Skandal!
Als die Schweizer Männer am 7. Februar 1971 Ja sagen zum Frauenstimmrecht, da interessiert sich Petra Volpes Mutter nicht ganz so dringend dafür. Da ist ihre Tochter noch ein ganz frisches „Bébé“. Der Großvater, Bäcker Schmid, findet eh alles „Güggelmist“, was neu ist. Nein stimmen „kommt billiger“, ist seine Devise.
Petras Vater will sich integrieren, ist in allen möglichen Vereinen, im Kochclub, im Fußballclub. Im Kochclub ist er noch heute, außer ihm gibt es dort keinen anderen Ausländer, er ist der akzeptierte Italiener, aber immer der Italiener, von ihm werden italienische Rezepte erwartet. Seit Jahren arbeitet Petra Volpe an einem Dokumentarfilm über das Leben ihres Vaters.
Die Suche nach dem Fremden und die Abgrenzung davon seien typisch schweizerisch, sagt Petra Volpe. „Als ich für ‚Heidi‘ recherchierte, merkte ich: Es muss gar kein Ausländer sein, die Bewohner eines anderen Tales reichen auch schon. Meine Großmutter kam aus dem Berner Oberland und heiratete nach Suhr, das war die gleiche Katastrophe wie meine Mutter und der Italiener.“
Die Frauenemanzipation streckt ihre glitzernden Fühler bis nach Suhr. Eine gute Freundin von Petra Volpes Mutter lebt als alleinerziehende Frau in Basel, und ihre urbane Unabhängigkeit scheint Petra unfassbar glamourös. Und eines Tages, sie ist zehn oder elf Jahre alt, besucht sie an einem Mittwochnachmittag eine Freundin: „Ihre Mutter nahm ein Schaumbad – an einem Nachmittag! – rauchte und sagte, sie sei jetzt auch emanzipiert. Ihre Mutter, die sonst immer nur wusch, putzte und kochte, lag in der Badewanne! Das war für mich das ultimative Bild von Freiheit.“
Die Idee, den ersten Spielfilm überhaupt über die Einführung des Frauenstimmrechts in der Schweiz zu drehen, kam von Petra Volpes Produzent Reto Schaerli. Es ärgerte Volpe, dass „mir die noch nie gekommen war, denn ich wusste sofort: Klar! Ja!“ Schließlich ging es um einen der wichtigsten Momente der Schweizer Politik des 20. Jahrhunderts. Trotzdem wurde er jahrzehntelang heruntergespielt. „Oder habt ihr in der Schule im Geschichtsunterricht über die Einführung des Frauenstimmrechts gesprochen?“ Nein. „Die Geschichte der Frauen ist immer noch nicht im Kanon.“
Was ein Orgasmus ist? Das lernt Film-Protagonistin Nora in der Frauenszene
Petra Volpe will das ändern. „Wir alle, wir Filmemacherinnen, Journalistinnen, Literatinnen, müssen feiern, müssen uns empören, um einen emotionalen Bezug zu unserer Geschichte und unseren Geschichten herzustellen.“
Wieso sagten und sagen eigentlich so viele Frauen: „Ich bin keine Feministin“? Petra Volpe hat da eine Vermutung. Die hat auch mit Sex zu tun. Weil das Spiel mit Macht und Unterwerfung im Bett durchaus sehr lustvoll sein kann, während es im Alltag nichts zu suchen hat. Und weil Frauen fürchten, dass ihre alltägliche und ihre sexuelle Rolle und ihre Vorlieben nicht mehr vereinbar seien, wenn sie sich Feministin nennen. Petra Volpes Protagonistin Nora in „Die göttliche Ordnung“ jedenfalls lernt erst in der Zürcher Frauenszene, was ein Orgasmus ist. Nach einem entsprechenden Workshop bei einer schwedischen Sexpertin wagt sie endlich, von ihrem Mann einen Orgasmus einzufordern. Volpe kennt die Tabuisierung der weiblichen Sexualität auch aus ihrer eigenen Jugend: „Ich bin so aufgewachsen, dass es hieß: Wenn du bei einer Penetration keinen Orgasmus hast, dann stimmt was nicht mit dir.“
Die Schweizerin ist mit einem Amerikaner verheiratet. Und der versucht gerade, seinen beiden zehnjährigen Zwillingstöchtern klarzumachen, wieso es nötig ist, dass Frauen gegen Trump protestieren. Die Wahl von Trump hat auch „Die göttliche Ordnung“ schmerzhaft aktuell gemacht: „Leider. Mir wär’s lieber, der Film wäre ein historischer Film, der mit Schmunzeln auf ein Stück Schweizer Geschichte zurückschaut, und wir können uns alle sagen: Ha, heute ist alles besser! Aber jetzt sehe ich die ganzen Protestmärsche gegen Trump, und auf den Plakaten stehen die gleichen Slogans wie 1970, wie 1920, wie ganz zu Beginn der Frauenbewegung.“
Marschieren wir also. Ins Kino, zu Nora, Theresa, Vroni und wie sie alle heißen in „Die göttliche Ordnung“.
Simone Meier
Die Autorin ist Kulturredakteurin beim Schweizer Newsportal watson. Von ihr erschien gerade der Roman „Fleisch“ (kein & aber).