Flöttmann gegen EMMA
Warum EMMA in einem Prozess, in dem sie eigentlich im Kern Recht behielt, trotzdem 60 Prozent der Kosten tragen muss.
Angefangen hatte alles am 13. Juni 2005. An diesem Tag liefen unter Journalistinnen die Drähte heiß. Hast du das schon gelesen, was da heute in der FAZ (Frankfurter Allgemeine Zeitung) steht? Die meisten hatten nicht, denn es handelte sich um einen ganzseitigen Beitrag in der Rubrik „Die Gegenwart“, also die Art von Seiten, die man rausreißt, um sie „später mal“ zu lesen.
Doch nun beugte sich auch die EMMA-Redaktion über Seite 7 – und verstand die Aufregung. Selbst die FAZ-LeserInnen – die ja nicht unbedingt im Verdacht stehen, zur Speerspitze der Emanzipation zu zählen – bombardierten in den darauf folgenden Wochen die FAZ-Redaktion mit kritischen Briefen.
Denn was da ein gewisser Dr. Holger Bertrand Flöttmann im Ressort von Ex-FAZ-Redakteur Volker Zastrow (heute FAS) verzapft hatte, unterschritt weit das Maß der gewohnten Polemik gegen die Emanzipation der Frauen.
In einem veritablen verbalen Amoklauf hatte der Autor bei den modernen, berufstätigen Frauen eine „Infantilneurose“ diagnostiziert samt „vertrockneten Seelen“ und einem großen „Ablehnungs- und Hasspotenzial gegen die Familie mit verdienendem Vater, hegender Mutter und Kindern“. An allem schuld sei „der Feminismus“, denn der habe „das Bild der Frau über ihre Weiblichkeit, ihre Fruchtbarkeit, über ihr Muttersein zerrissen“. Und als ganz persönlich verantwortlich machte der Arzt und Therapeut übrigens Alice Schwarzer und Simone de Beauvoir ausfindig.
Die Empörung war breit – doch nur EMMA handelte. Wer ist Dr. Flöttmann? fragten wir uns. Wir schickten einen erfahrenen Kollegen (und übrigens stolzer Vater einer Tochter) nach Kiel zur Recherche. Was Fred Grimm dort herausfand, war dann in der Januar/Februar-EMMA 2006 zu lesen.
Und was da zu lesen war, war erstaunlich. Dr. Flöttmann, 61, schreibt nicht nur in diesem (Un)Geist, er handelt auch danach. Seit vielen Jahren ist er im Frauennotruf und bei Kieler TherapeutInnen ein bekannter, wenn auch nicht gerade geachteter Name. Denn immer wieder wandten sich Ex-Patientinnen von Flöttmann um Rat und Hilfe an Notruf und andere Therapeuten.
So wusste der Kieler Psychotherapeut Friedhelm Kirchhofer über Flöttmann zu berichten: „Personen, die eine Therapie bei ihm abgebrochen haben, berichten mir und vielen meiner Kollegen nicht selten als Grund für den Abbruch über unangemessene Verhaltensweisen von Dr. Flöttmann. Wenn sich diese Menschen dann zur Fortsetzung einer Therapie entschließen, muss zunächst zerstörtes Vertrauen wieder aufgebaut werden.“ (EMMA 1/06).
In Kiel gibt es also seit langem ein Problem, das trotz der Proteste von Frauennotruf und Therapeuten bisher nicht gestoppt werden konnte. Und zu beklagen sind nicht nur vergangene Gebaren, sondern zu befürchten sind auch zukünftige.
Sechs Wochen nach Erscheinen des Berichtes in EMMA Ende 2005 erhob Flöttmann überraschend spät Einspruch, genauer gesagt: sein Anwalt, Dr. Claas-H. Soehring, der – so klein ist die Welt – auch der Hausjustiziar der FAZ ist. Er erklagte eine Einstweilige Verfügung. Seither darf EMMA den Artikel von Fred Grimm nur noch mit geschwärzten Stellen weitergeben. Und seither geht das Tauziehen um die Beweisbarkeit des Wahrheitsgehaltes des Textes.
19 Monate lang wurde recherchiert, argumentiert und gestritten. Am 14. September 2007 dann akzeptierte EMMA einen „Vergleich“. Aber was für einen! EMMA muss 60 Prozent der Anwalts- und Gerichtskosten zahlen – und der saubere Herr Flöttmann 40 Prozent. Was eigentlich absurd ist. Denn der Kern der Berichterstattung von EMMA – die fragwürdigen Therapiemethoden des Herrn Flöttmann, wurde durch die monatelange Recherche nicht nur bestätigt, sondern weit übertroffen. Der von Flöttmann ebenfalls verklagte Kollege Kirchhofer darf die zitierten Behauptungen weiterhin verbreiten.
Doch wie auch Der Spiegel in seinem Bericht vom 17.9.2007 über den Fall befand: Es war ein „Verfahren voller absurder Spitzfindigkeiten und doch exemplarisch für die Schwierigkeiten des deutschen Presserechts“. Nämlich die Schwierigkeit, nicht nur das Wesentliche einer Behauptung, sondern auch jedes noch so kleine Detail nicht nur sorgfältig recherchiert zu haben, sondern auch wirklich juristisch hieb- und stichfest beweisen zu können. Und vor allem die Absurdität, dass die Gerichte im Presserecht nicht qualitativ, sondern quantitativ zu entscheiden scheinen. Es zählte bei diesem Prozess nicht etwa die Schwere der jeweiligen Behauptung, sondern nur die Anzahl – wie jeweils schwerwiegend oder geringfügig auch immer.
Bei den umstrittenen – und von EMMA teilweise verlorenen – Tatsachenbehauptungen geht es zum Beispiel um Punkte wie diese: Flöttmann lehnte PatientInnen mit Piercing ab – was EMMA beweisen konnte. Oder: Anfang der 90er Jahre hätten Frauengruppen gegen Flöttmann demonstriert – belegen konnte EMMA nur eine Demonstration vor Flöttmanns Praxis. Etc. etc.
Im Kern allerdings wurden die Befürchtungen von EMMA durch die zusätzlichen Recherchen nach der Veröffentlichung, wie gesagt, weit übertroffen. Deshalb hält EMMA die Behauptung, dass Dr. Flöttmann höchst problematische Behandlungsmethoden hat, die in so manchem Fall nicht nur gegen die Richtlinien seines Berufsstandes verstoßen, sondern auch die PatientInnen verstören, aufrecht.
EMMA und Der Spiegel sind ihrer Informationspflicht nachgekommen, über einen Therapeuten zu berichten, bei dem nicht nur die veröffentlichte Meinung skandalös ist, sondern auch die Behandlungsmethoden fragwürdig sind. Nun ist es an der örtlichen Presse in der Stadt Kiel wie im Raum Schleswig-Holstein, dem Stein des Anstoßes nachzugehen. Denn was Dr. Flöttmann bundesweit so von sich gibt, ist eher lächerlich als gefährlich – und eigentlich viel besser als in der FAZ in dem Zentralorgan der neuen Rechten, die „Junge Freiheit“, aufgehoben. Und genau da hat Flöttmann auch im letzten Sommer ein Interview gegeben exakt in dem Tenor, den auch sein FAZ-Elaborat hatte.
PS: Der Prozess von Flöttmann gegen EMMA wird EMMA eine fünfstellige Summe kosten (die genaue Summe erfahren wir noch vom Gericht). Da dieser Prozess nicht nur EMMA, sondern alle angeht, kann sich jede und jeder an den Kosten beteiligen: EMMA Verlag, Commerzbank Köln, BLZ 37040044, Konto-Nummer 5053400, Stichwort: Prozesshilfe Kiel.
EMMA 6/2007