Seyran Ateş: Mit dem Tode bedroht
Mitte Juni 2017 eröffnete in Berlin-Moabit die Ibn-Rushd-Goethe Moschee und löste einen weltweiten Medienwirbel aus. Die Moschee, die sich selber als liberal bezeichnet, macht in der Tat einiges anders als man dies von traditionellen Moscheen gewohnt ist. Frauen und Männer stehen hier gemeinsam im Gebet, Frauen müssen kein Kopftuch tragen und sind in allen Funktionen den Männern gegenüber gleichgestellt, und homosexuelle Gläubige sind herzlich in die Gemeinde eingeladen. Doch damit nicht genug – auch die Trennung der islamischen Strömungen sind in dieser Moschee aufgehoben. Hier beten Sunniten und Schiiten gemeinsam. Auch Aleviten sind Teil der Gemeinde.
„Verpisst euch endlich aus unserem Land“
Dem Medienwirbel folgte ein Sturm emotionaler Reaktionen, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Während uns die einen lobpreisten und in uns einen Hoffnungsschimmer für die islamische Welt sahen, wurden wir von anderen verteufelt, beschimpft und mit dem Tode bedroht.
Es dauerte keine 24 Stunden, bis uns türkische Medien als Fethullah Gülen Moschee bezeichneten und zu Terroristen deklarierten. Nur wenige Tage später meldete sich auch die Alazhar Universität aus Kairo durch das Büro für Fatwa-Angelegenheiten – eine theologische Größe des sunnitischen Islams – und erklärte uns zu Extremisten. Denn das, was wir da taten, war für die Gelehrten der Universität nicht mit dem Islam vereinbar. Auch wenn sie dafür keine theologischen Begründungen liefern konnten. Und natürlich durfte auch der schiitische Islam dazu nicht schweigen. In einer Predigt des islamischen Zentrums Hamburg wurde den Gläubigen erzählt, dass wir keine Muslime seien und sie, die Gläubigen wüssten, was zu tun sei, wenn Menschen wie wir den Islam schlecht machten.
Es waren diese Stellungnahmen und andere Berichte, die insbesondere auf Facebook eine Welle an Hasskommentaren und Beleidigungen auslösten. Nationalistische Türken fühlten sich von Erdogan dazu angestachelt, die Ehre der Türkei und des Islams zu verteidigen. Konservative bis fundamentale arabische Muslime fühlten sich berufen, uns zu erklären, was Allah mit uns in der Hölle anstellen würde. Und insbesondere die Männer ließen ihre sexuellen Gewaltphantasien an mir, Seyran Ateş, aus. Es war und ist nach wie vor wirklich ekelhaft.
Da war er also, der immer als so friedlich und integrationsfähig bezeichnete konservative Islam Deutschlands. Man hätte erwarten können, dass sich die Imame und Vertreter der muslimischen Verbände in dieser Situation einschalteten und ihre Anhänger zur Mäßigung aufriefen. Leider geschah nichts dergleichen. Insbesondere auf Verbandsebene herrschte Schweigen im Walde. Und wir wissen, dass in einigen Moscheen der Hass und die Ablehnung auch noch angestachelt wurden.
„Ich fick deine schäbige Fotze"
Das traurige an dieser Welle des Hasses war, dass keiner dieser Muslime bereit war für eine inhaltliche Auseinandersetzung mit unseren theologischen Grundlagen. Es hat bis heute kein einziges Angebot zum friedlichen Dialog über unsere Glaubensgrundsätze von einem Kritiker unserer Moschee gegeben. All das geschah damals im Ramadan – ein für die Muslime heiliger Monat, der ganz besonders an die Mäßigung und Friedfertigkeit der Muslime appelliert. Es war an Widersprüchlichkeit nicht zu überbieten. Da beleidigten und bedrohten uns „die wahren Muslime“ und warfen uns vor, dass wir den Islam nicht richtig verstanden hätten.
Neben den sexuellen Gewaltphantasien gab es zahlreiche sehr aggressive Kommentare, Fotos und verunglimpfende Collagen. Einige Sätze wollen wir hier mal Ausschnittsweise wiedergeben:
„Verpisst euch endlich aus unserem Land.“
„Du bist eine Marionette von Juden.“
„Ich fick deine schäbige Fotze, du Scheiß Zionisten Schlampe.“
„Du redest über den Islam? Ich wünsche dir den schnellen Tod.“
„Lebensmüde die Frau … ihre Nahtoderfahrung war wohl nicht genug.“
„Die erfindet ihre eigene Religion, die Religion des Teufels. Denn homosexuell wird im Islam verboten!!! Wie kann dann eine schwule Sau Muslim sein???“
Interessanterweise mischte bei den Kommentaren auch die Familie Omeirat aktiv mit, ein libanesischer Familienclan, der den Berliner Strafverfolgungsbehörden sehr bekannt ist. Dass insbesondere solche Leute sich als Hüter der Religion aufspielen und uns im Namen der Religion drohen, macht einen traurig und fassungslos zugleich.
Trotz der riesigen Zahl an hasserfüllten Kommentaren und Drohungen machten wir uns als Moscheegemeinde die Arbeit, jeden einzelnen Kommentar bei Facebook zu melden und bei der Polizei anzuzeigen. Das Ergebnis war ernüchternd und schockierend zugleich. Kein einziger (!) Kommentar wurde von Facebook gelöscht oder verfolgt. Stattdessen bekamen wir diese Botschaft: „Wir haben uns den Kommentar angesehen und festgestellt, dass er gegen keinen unserer Gemeinschaftsstandards verstößt, verstehen aber, dass er dich und andere trotzdem beleidigt. Niemand sollte auf Facebook Kommentare oder Beiträge sehen müssen, die er/sie als hasserfüllt empfindet, deshalb möchten wir dir dabei helfen, derartige Inhalte in Zukunft nicht mehr angezeigt zu bekommen.“ Wir können also einstellen, dass wir den Kommentar in Zukunft nicht mehr sehen müssen. Nach dem Motto: Aus den Augen aus dem Sinn. Dem Nutzer, der dies gepostet hat, passiert jedoch nichts! Wir waren fassungslos!
Neben der Meldung bei Facebook hatten wir die Kommentare auch bei der Polizei zur Anzeige gebracht. Und hier folgte die nächste Ernüchterung, die uns dann teilweise resignieren ließ. In den meisten Fällen teilte uns die Staatsanwaltschaft mit, dass sie die Verfahren ohne strafrechtliche Ermittlungen eingestellt habe. Entweder waren die Kommentare ihrer Meinung nach von der Meinungsfreiheit gedeckt oder die Kommentare waren nicht geeignet, „den öffentlichen Frieden zu stören“. In einem Fall wurde ein Mann ermittelt, der dann aber sofort mit großen Gesten sein Bedauern ausdrückte, woraufhin das Verfahren eingestellt wurde. Die meisten Täter konnten jedoch nicht ermittelt werden, weil FB und Twitter die wahren Identitäten der Straftäter nicht preisgibt und wir somit gegen Fake-Identitäten kämpfen müssen, die nur in der Sicherheit der Anonymität drohen können.
Auch wenn es uns gegen den Strich geht: Wir machen uns inzwischen kaum noch die Mühe, gegen Hass und Hetze im Internet vorzugehen. Auf der Facebookseite der Moschee löschen wir entsprechende Kommentare oder blockieren die Nutzer auf unserer Seite. Die Hoffnung auf die Hilfe von Facebook oder der Staatsanwaltschaft haben wir inzwischen begraben. Man muss bedenken, dass jede einzelne Anzeige uns mindestens eine halbe Stunde Arbeit gekostet hat, wir also viele Stunden an Zivilcourage aufgebracht haben, um der Hetze im Netz entgegen zu treten. Wenn dieses Engagement aber so wenig gewollt zu sein scheint, dann ziehen wir uns an der Stelle zurück. Es gibt in der realen Welt genug zu tun.
Seyran Ateş und Marlene Löhr
Dieser Text erschien zuerst auf resonanzboden.com, dem Blog der Ullstein Buchverlage.