Sie schickte ihren Sohn in den Tod

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Berlin, August 1914. Während in den Straßen die Soldaten unter dem frenetischen Jubel der Menschenmassen im Gleichschritt an die Front ausrücken, herrscht in der Spandauer Wohnung der Familie Kollwitz ein erbitterter Streit. Grund: Sohn Peter will in den Krieg. Erfasst von der patriotischen Euphorie, die im Kaiserreich tobt, will auch er sich freiwillig melden, wie so viele seiner Freunde.

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Der Junge ist erst 18, also nicht volljährig. Er fleht seine Eltern an, ihm die Erlaubnis zu geben. „Das Vaterland braucht meinen Jahrgang noch nicht, aber mich braucht es!“ brüllt er. Vater Karl, ein Armenarzt, ist entsetzt. Mutter Käthe ist – dafür. 

Käthe Kollwitz ist schon damals eine bekannte Künstlerin. Und sie ist nicht ­gerade kaisertreu. Im Gegenteil: Es ist ­bekannt, dass sie den Sozialdemokraten nahesteht. In ihren Bilderzyklen über Bauernkriege und Weberaufstand hat sie immer wieder Armut und Elend der ­einfachen Bevölkerung angeprangert. Wilhelm II. verspottet ihre zerschlissenen Arbeiter und hungernden Kinder als „Rinnsteinkunst“. 

Doch in diesen Wochen hat die allgegenwärtige Kriegspropaganda sogar die Frau ergriffen, die wir heute mit ihrem berühmten „Nie wieder Krieg“-Plakat als die große künstlerische Mahnerin gegen den Krieg kennen. Aber als Deutschland am 1. August 1914 Russland und zwei Tage später Frankreich den Krieg erklärt, ist sogar Kollwitz ergriffen, wenn die Propagandisten vom Krieg als „reinigendes Stahlbad“ schwärmen. Wenn es heißt, dass der „Einkreisung“ Deutschlands durch den „Erbfeind“ Frankreich im Westen und die „slawische Flut“ im Osten jetzt endgültig der Garaus ­gemacht werden müsse.

„Ich muss etwas zu meiner veränderten Einstellung zum Krieg sagen“, schreibt Kollwitz in ihr Tagebuch. „Zum ersten Mal empfand ich die ­absolute Gemeinsamkeit des Volkes. Ich empfand ein Neu-Werden in mir. Als ob nichts der alten Wertschätzungen noch standhielte, alles neu geprüft werden müsse.“ Sie überredet ihren Mann Karl, die Einverständniserklärung für den gemeinsamen Sohn zu unterschreiben. 

Am 10. Oktober 1914 – Peter ist seit wenigen Tagen, gemeinsam mit fünf Millionen deutschen Männern, an der Front – nehmen die deutschen Truppen Antwerpen ein. Auf dem Weg zum Erbfeind Frankreich marschiert Deutschland völkerrechtswidrig durch das neutrale Belgien, das unerwartet Widerstand leistet. Der Durchmarsch, der in neun Tagen erledigt sein soll, dauert nun schon zweieinhalb Monate, und die Zivilbevölkerung bekommt die Wut der deutschen Besatzer durch Plünderungen und Massaker zu spüren. Als Antwerpen fällt, notiert Käthe Kollwitz in Feierlaune: „Zum ersten Mal in unserem Leben hängen wir Sozialdemokraten, die wir bewusst sind und bleiben, die schwarz-weiß-rote Fahne des Kaisers aus der Stube. Das gilt unserem Peter und Antwerpen.“ 

Zwei Wochen später ist Peter tot, gefallen in Flandern. Und seine Mutter ist tief erschüttert: „Tod fürs Vaterland, das spricht sich so hin. Welch furchtbare Tragödie, welch Triumph der Hölle verbirgt sich hinter der glatten Maske dieser Worte.“ 

Es mag verwunderlich scheinen, dass es erst dieses persönlichen Dramas bedarf, um bei der Sozialistin Kollwitz die patriotische Blase platzen zu lassen. Aber es ist typisch. (...)

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Dossier: Frauen für den Frieden

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August 1914: Deutschland hat Russland und Frankreich den Krieg erklärt – und es herrscht allgemeine Euphorie. Alle scheinen ergriffen vom vaterländischen Kriegstaumel, auch Deutschlands Dichter und Denker, von Thomas Mann bis Max Planck. Sogar die Künstlerin und spätere Kriegsgegnerin Käthe Kollwitz jubelt mit in der Kriegsbegeisterung – bis ihr 18-jähriger Sohn Peter vier Wochen nach Kriegsbeginn fällt.

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Ohne den Männlichkeitskult kein Krieg

Es erfordert ungeheuren Mut, sich gegen den einstimmigen Chor der Kriegsbegeisterten zu stellen. Einer der wenigen Menschen, die ihn haben, ist Lida Gustava Heymann. Die Hamburger Patriziertochter ist eine der bedeutendsten Protagonistinnen des radikalen Flügels der Frauenbewegung. Sechs Wochen nach Kriegsbeginn veröffentlicht sie ein flammendes Plädoyer gegen die „entsetzlichen Gräuel“ und „giftigen Blüten des Völkerhasses“ und für sofortigen Frieden.

Heymann und ihre Mitstreiterinnen gehören zu der winzigen Minderheit, die es wagen, sich konsequent gegen den Krieg zu stellen und die ganzen Kriegsjahre über auch Kontakt zu den Pazifistinnen in den "Feindesländern" zu halten. Diese Minderheit besteht fast ausschließlich aus „Radikalen“, also den antibiologistischen Vertreterinnen der Frauenbewegung. Während die „Gemäßigten“ um Gertrud Bäumer dem Kaiser treu ihre Gefolgschaft zusagen und an der Heimatfront als Teil der Kriegsmaschinerie einen „Nationalen Frauendienst" aufbauen, organisieren Frauen wie Lida Gustava Heymann, Anita Augspurg und Minna Cauer internationale Friedenskongresse.

Was können wir aus den Weltkriegen der Vergangenheit für die Bürgerkriege der Gegenwart lernen? Unbeirrbare Menschlichkeit! EMMA erzählt in ihrer aktuellen Ausgabe die ebenso beeindruckende wie spannende Geschichte des weiblichen Widerstandes gegen den Kriegswahn und druckt die hellsichtigen und hochaktuellen Originaltexte der Kriegsgegnerinnen nach – von Bertha von Suttner bis Hedwig Dohm.

Damit schließt EMMA die Lücke, die in der Berichterstattung über den Ersten Weltkrieg klafft: Die Pazifistinnen, die ihren Einfluss bis in höchste Regierungs- und Kaiserkreise geltend machten und deren Texte und Forderungen angesichts der kriegerischen Weltlage ungebrochen aktuell sind, werden in all den Berichten und Dokumentationen mit keinem Wort erwähnt.

Was können wir
für die Kriege
der Gegenwart
lernen?

Ohne Männlichkeitskult und Weiblichkeitswahn kein Krieg. So ist das auch heute wieder, in Zeiten der Gotteskrieger und zwangsverschleierten Frauen. Umso suspekter war es den Kriegsherren schon damals, dass die Frauen jetzt, da die Helden an der Front kämpften, in die Männerberufe stürmten. Millionen Männer fehlten und Frauen übernahmen ihre Jobs: Sie hatten weder das Recht auf Besitz, noch das Wahlrecht. Aber sie fuhren nun Droschken und Straßenbahnen, sie übernahmen Bäckereien und Bauernhöfe, sie trugen die Post aus und zündeten Laternen an.

Es sind auch die Frauen an der „Heimatfront“, die schon bald nicht mehr wissen, wie sie mit den immer knapper werdenden Lebensmitteln ihre Familien satt bekommen sollen. Sie organisieren mutige Proteste und Hungermärsche.

Und schließlich: EMMA gibt mit einer Chronik einen Überblick über Entstehung und Verlauf des Ersten Weltkriegs – von Bertha von Suttners bahnbrechendem Antikriegs-Roman „Die Waffen nieder!“ von 1889 bis zum visionären Nachkriegs-Kongress der „Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit“ 1919, der den nächsten Weltkrieg bereits prophezeit – zu Recht.

Die aktuelle EMMA mit dem Dossier "Frauen für den Frieden 1914 bis 2014" - ab 26.6. im Handel. Ausgabe im EMMA-Shop bestellen

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