Intersexuelle bei Olympia: Ist das fair?

Imane Khelif reckt siegesgewiss die Faust. Foto: imago images/Joel Carrett
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Die Boxerin weigert sich, Khelif nach der Bekanntgabe der Entscheidung über den Sieg die Hand zu schütteln. Sie fällt im Ring weinend auf die Knie. Angelas Trainer: „Das ist gefährlich, was hier passiert. Ich will nicht für das Olympische Komitee urteilen und ich weiß, dass das Thema schwierig ist. Aber dieser Kampf war unfair.“ Olympia hat den ersten Skandal. Er ist ein Schlag ins Gesicht für alle Frauen.

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Angela Carini während des Kampfes: Das hier ist einfach nicht fair!

Imane Khelif aus Algerien undLin Yu‑ting aus Taiwan waren bei der Box-WM 2023 ausgeschlossen worden, weil ihre DNA-Tests ergeben hatten, dass sie keine Frauen seien und XY-Chromosomen haben. Verschiedene Medien berichten, Khelif sei intersexuell. Weder von Khelif selbst, noch vom algerischen Olympischen Komitee gibt es dazu eine Aussage. Es liegt die Vermutung nahe, dass sie ohne sichtbare männliche Sexualorgane zur Welt kam, aber aufgrund ihres männlichen Chromosomensatzes eine männliche Pubertät durchlaufen und sich dementsprechend körperlich männlich entwickelt hat. Der Internationale Boxverband (IBA) bestätigte damals: Zu gefährlich für die Gegnerin. Denn: Die Schlagkraft bei Boxern, die eine männliche Pubertät durchlaufen haben, ist laut Studien im Vergleich zu Frauen um 162 Prozent höher.

Die Teilnahme von Imane Khelif und Lin Yu-ting bei den Olympischen Spielen 2024 ist ein enormes Politikum. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hatte sich eigentlich aus der Affäre gezogen, keine eindeutigen Regeln für intersexuelle und Trans-AthletInnen festgelegt und die Verantwortung für die Teilnahme in die Hände der einzelnen Sportverbände gelegt.

Also hatte zum Beispiel der internationale Schwimmverband „World Aquatics“ beschlossen, dass nur Transfrauen an Profi-Wettkämpfen teilnehmen dürfen, die vor der Pubertät transitioniert haben und deren Testosteronspiegel dauerhaft dem einer durchschnittlichen Frau ähnelt. Die bekannte US-Trans-Schwimmerin Lia Thomas durfte aus diesem Grund nicht in Paris starten.

Die Teilnahme von Imane Khelif und Lin Yu-ting bei Olympia 2024: ein enormes Politikum

Auch der internationale Leichtathletikverband „World Athletics“ schloss sich an: „Transfrauen in der Leichtathletik, die erst am Ende der Pubertät in den Frauensport einsteigen, könnten auf Anhieb alles gewinnen, was zu gewinnen ist. Ein durchschnittlicher Kugelstoßer würde als Frau zur überragenden Stoßerin – allein schon wegen ihrer männlichen Muskularität und der Lungenkraft.“

Die Verbände für Radsport, Gewichtheben oder Rugby sehen es genauso: „Es gilt, die weibliche Kategorie zu schützen“ und „Wettbewerbsverzerrung zu unterbinden“. Das gilt umso mehr, als dass Frauensport überhaupt erst in jüngster Zeit zum Männersport aufgeschlossen hat. Nach 124 (!) Jahren sind die Spiele in Paris die ersten mit Geschlechterparität. (Mehr dazu in der aktuellen EMMA)

Imane Khalif
Imane Khelif im September 2023. Foto: Instagram/ImaneKhelif

Seit Jahren versuchen Sportlerinnen, sich gegen die Teilnahme von Transfrauen zu wehren. Sie werden dafür postwendend als „transphob“ gebrandmarkt und laufen Gefahr, wichtige Sponsoren zu verlieren. Sie verlieren Chancen auf Titel, jahrelanges hartes Training ist für die Katz. Auch Angela Carini trainierte jahrelang für ihre zweite Olympia-Teilnahme. „Ich bin noch nie so hart geschlagen worden“, sagte sie in der anschließenden Pressekonferenz.

Box-Weltmeisterin Regina Halmich: Lasst diesen Scheiß!

Auch der Fall der südafrikanerischen  Läuferin Caster Semenya sorgte für heftige Diskussionen. Semenya wurde, wie Boxerin Imane Khelif, bei der Geburt als Mädchen eingetragen. Sie ist jedoch intersexuell, hat also ebenfalls XY-Chromosomen und schlug aufgrund ihrer hohen Testosteronwerte ihre Gegnerinnen um Längen. "World Athletics" beschloss daraufhin, dass Semenya ihren Trestosteronspiegel medizinisch an den durchschnittlichen Wert von Frauen anpassen müsse. Caster Semenya klagte dagegen und verlor mehrmals. Sie gewann zwar vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (allerdings vor allem aus formalen Gründen), doch der Welt-Leichtathletikverband muss das Urteil nicht anerkennen, was er auch nicht tat: "Wir sind nach wie vor der Ansicht, dass die DSD-Regelungen ein notwendiges, angemessenes und verhältnismäßiges Mittel zum Schutz des fairen Wettbewerbs in der Frauenkatagorie sind."    

Warum das IOC nun gerade beim Boxen, dem martialischsten Sport aller Olympia-Disziplinen, die Regeln aufweicht, ist schlicht nicht zu begreifen. IOC-Sprecher Mark Adams begründet die Entscheidung wie folgt: „Wir geben keine Kommentare zu Einzelfällen ab. Jede Starterin in den Frauenkategorien erfüllt die Teilnahmebedingungen. Sie sind laut ihres Passes Frauen. Sie sind nach den Regeln des Verbands teilnahmeberechtigt. Sie sind Frauen.“

Deutliche Worte zu der zweifelhaften Premiere im Boxen fand Ex-Tennisprofi Martina Navratilova. „Die Frau verliert so oder so - wenn man kämpft, kann man sich schwer verletzen. Oder man kämpft aus Protest nicht, und viele Jahre des Trainings sind umsonst. Es ist zum Kotzen und das IOC ist schuld daran!“ Und auch Box-Weltmeisterin Regina Halmich kommentiert auf Instagram: „Lasst diesen Scheiß!“

Dieser Text wurde am 4. August aktualisiert.

PS vom 3. August 2024: Inzwischen wurde bekannt, dass Imane Khelif offenbar nicht psychisch trans-, sondern physisch intersexuell ist, also keine eindeutigen äußerlichen Geschlechtsmerkmale hat - aber doch einen XY-Chromosomensatz. Genauere Informationen dazu fehlen allerdings noch immer, da weder Imane Khelif noch das Internationale Olympische Komitee sich dazu äußern. Das ändert an der berechtigten Kritik an der Entscheidung des IOC allerdings nichts. Trotz Khelifs eventueller Zuordnung als „weiblich“ bei der Geburt (kein sichtbarer Penis) hat er/sie eine männliche Pubertät durchlaufen, wie man dem Körper überdeutlich ansieht. Khelif dürfte also nicht gegen Frauen antreten. 

Genau das hatte der Internationale Boxverband berechtigterweise so entschieden. Er kritisiert darum das IOC in seiner aktuellen Erklärung scharf: „Am 24. März 2023 disqualifizierte die IBA die Sportlerinnen Lin Yu-ting und Imane Khelif von den IBA Women's World Boxing Championships New Delhi 2023. Diese Disqualifikation war eine Folge ihrer Nichterfüllung der in den IBA-Regeln festgelegten und festgelegten Teilnahmekriterien für den Frauenwettbewerb. Diese Entscheidung, die nach sorgfältiger Prüfung getroffen wurde, war äußerst wichtig und notwendig, um das Maß an Fairness und größtmöglicher Integrität des Wettbewerbs aufrechtzuerhalten. Zu beachten ist, dass die Sportlerinnen keiner Testosteronuntersuchung unterzogen wurden, sondern einem gesonderten und anerkannten Test, dessen Einzelheiten vertraulich bleiben. Dieser Test ergab schlüssig, dass beide Sportlerinnen die erforderlichen Teilnahmekriterien nicht erfüllten und im Vergleich zu anderen weiblichen Teilnehmerinnen Wettbewerbsvorteile hatten.“ Der Boxverband ist „besorgt über die inkonsistente Anwendung der Teilnahmekriterien durch andere Sportorganisationen, darunter auch jene, die die Olympischen Spiele beaufsichtigen. Die unterschiedlichen Regelungen des IOC zu diesen Angelegenheiten, an denen die IBA nicht beteiligt ist, werfen ernsthafte Fragen sowohl hinsichtlich der Fairness der Wettkämpfe als auch der Sicherheit der Athleten auf.“

 

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