"Wir sind echte 50/50-Eltern!"
Suse Vor der Geburt unseres Kindes hatten Micha und ich exakt die gleichen Möglichkeiten, wir waren ein Mann und eine Frau, junge unabhängige Menschen, wir konnten tagtäglich machen, was wir wollten und wann wir es wollten. Wir waren selbstständig, beziehungsweise freiberuflich tätig, konnten dementsprechend ausschlafen, spät ins Bett gehen, arbeiten, nicht arbeiten, verreisen, Party machen, nüscht machen. Nach der Geburt würde sich das ändern – klar, das hatte man ja schon bei anderen mitbekommen. Aber schon Monate vorher schlich sich bei mir der Verdacht ein, dass das nur zu Lasten einer Person gehen würde – meiner. Es sei denn, wir fingen sofort an, unser Leben nach der Geburt zu besprechen, zu planen, zu organisieren.
Micha Ich hasse es, Verantwortung zu übernehmen. Ich schlafe gern aus. Ich lebe gern nach meinem eigenen Zeitplan. Ich kann nicht kochen. Ich räume nie auf. Und ich finde dieses Leben gut und habe überhaupt keine Lust mich in puncto Lebensqualität auf irgendwelche Kompromisse einzulassen.
Der war doch selber noch ein Kind!
Suse Als ich schwanger wurde, waren Micha und ich seit einem Jahr und drei Monaten ein Paar, wir wohnten jeder in einer WG, ohne Kind wären wir nie zusammen gezogen. Das wäre bis dahin – zart formuliert – eine Horrorvorstellung gewesen. Mit Micha zu wohnen ist nicht gemütlich, denn er mag es zwar heimelig, aber er ist nicht bereit, irgendwas dafür zu tun. Das bedeutet: Micha kocht nie. Micha geht für jede Mahlzeit essen und wenn nicht, dann schmiert er sich (selten) ein Brot. Micha ist ein Chaot, in seiner damaligen WG kam es zum Eklat wegen seiner Faulheit und Unordnung – die Konsequenz: Micha zahlte eine Putzfrau. Wie sollte ich mit so einem erstens zusammenleben und zweitens ein Kind aufziehen?! Der war doch selber noch ein Kind!
Unter diesen Umständen war es programmiert, dass ich zu Hause zur „meckrigen Mutti“ werden würde, bzw. gemacht werden würde. Ich, der wandelnde Vorwurf, Micha, das wandelnde schlechte Gewissen. Davor hatte ich Angst. Denn was würde vermutlich geschehen: Ab dem ersten Tag nach der Geburt wäre ich die Melkmaschine, das Versorgungstier, würde nur zwei Stunden am Stück schlafen und das mindestens vier Wochen lang bzw. ohne dass ein Ende abzusehen ist. Parallel müsste ich Micha zu jeder Haushaltstätigkeit auffordern müssen und loben für die Erledigung. Aber das will ich alles nicht! Ich will ihm nicht sagen, was zu tun ist, ich will, dass er das selber sieht! Ich sehe es doch auch! Und: Ich krieg doch nicht alleine dieses Kind. Er kriegt es doch auch. Also sollten sich gefälligst zwei Leute Gedanken darüber machen, was zu tun ist, um es zu versorgen.
Micha Als Suse im sechsten Monat schwanger war, dämmerte mir so langsam, dass mein schönes Leben durch das kommende Kind bald zu Ende sein würde. Alle Welt erklärte mir süffisant lächelnd, dass mit einem Kind nun mal das wilde Leben vorbei und die durchfeierten Nächte gezählt seien. Ich fühlte mich wie kurz vor der Einlieferung in den Knast. Durch meine Faulheit und meine zu Hause erlernte Macho-Art würde zwischen Suse und mir ein „Regime des schlechtes Gewissens“ entstehen und zusätzlich zur knapper werdenden Zeit müssten wir nervige, liebestötende Gespräche über die Unausgewogenheit der Haushalts- und Kinderpflichten führen. Bei aller Liebe: Das würde zur Trennung führen.
Suse meinte: „Eigentlich stelle ich es mir einfacher vor, wenn ich das Kind allein aufziehe. Dann müsste ich mir nicht zusätzlich noch Gedanken um die Beziehung machen.“ An diesem Punkt hätte alles schon enden können – hat es aber zum Glück nicht. Wir haben aus der Erkenntnis eine Idee gemacht: Lass es uns doch genau so machen! Jede und jeder ist einen Tag lang wie „alleinerziehend“ – und am nächsten Tag ist der/die andere dran! Unser „Modell“ war geboren – noch vor dem Kind!
Suse Wie oft habe ich – von Freundinnen, Kolleginnen und Hebammen, darunter Eltern und vor allem jede Menge Nichteltern – zu hören bekommen: Aber „das Kind gehört doch zur Mutter …“, die „enge Bindung aus dem Mutterleib kann ein Vater nicht ersetzen …“ Bei keinem anderen Thema hatte ich bisher erlebt, wie begeistert und mit wehenden Fahnen junge, aufgeklärte, moderne Großstädterinnen mich in traditionelle Rollenklischees schicken wollten. Ich weiß jetzt: Es gibt keinen Unterschied zwischen dem Vater und mir. Außer dass ich stillen kann und er nicht. Ein Detail!
Unser Modell: Wir haben angefangen, uns Regeln fürs Zusammenleben und Elterndasein aufzustellen. Wir teilen uns die Kinderbetreuung tageweise: Montag Micha, Dienstag Suse, Mittwoch Micha, Donnerstag Suse und so weiter. Also hat einer in der einen Woche drei und in der nächsten vier Tage kinderfrei.
Es gibt keinen Unterschied zwischen dem Vater und mir
Wer das Kind hat, muss ausnahmslos alles tun, was zu Haushalt und Kind gehört: Wickeln, Füttern, Bespaßen, Aufräumen, Einkaufen, Putzen, Waschen ... „Schichtwechsel” ist um 20 Uhr. Das heißt, wenn das Kind um 19:55 Uhr schreit, ist eineR dran, um 20:05 der oder die andere – ohne dass ein Wort darüber verloren werden muss.
Das Thema: Zusammenwohnen hat sich überraschend problemfrei entwickelt. Micha bezahlt eine Putzkraft und kauft sich so von drohenden Ordnungs-Diskussionen frei. (Keine emanzipatorische, aber vorerst eine Lösung.) Dann hat bei uns jedeR sein eigenes Zimmer mit eigenem Bett – das schafft Rückzugsraum und macht das Zusammenschlafen im Vergleich zur alternativlosen Ein-Bett-Variante zu etwas Besonderem.
Dieses tageweise Abwechseln geht natürlich nur, weil wir beide selbstständig bzw. freiberuflich sind. Suse als freie Journalistin, Micha mit einer eigenen Internetfirma. Beide können wir selbst wählen, an welchen Tagen wir arbeiten. Wir verdienen durchschnittlich, zahlen wenig Miete und halten nicht viel von Konsum.
Auf der einen Seite soll also unser Modell Gerechtigkeit zwischen uns herstellen. Aber wir glauben, dass auch unsere Tochter davon profitieren wird. Nicht nur, dass sie jeden Morgen ein ausgeschlafenes Elternteil vorfindet, das den neuen Tag mit ihr als gern gesehenen Ausgleich zum vorherigen Arbeitstag versteht, sondern es bietet ihr auch eine breitere Palette an Role Models. Wir denken, dass wir durch unsere Aufteilung der Kinderbetreuung unserer Tochter glaubwürdig vorleben, dass es normal ist, dass Männer und Frauen sich gleich viel und gut um Kinder kümmern; dass außerdem beide Geld verdienen und beide ein individuelles Leben führen können.
Micha Ja – die Kindertage sind eine willkommene Abwechslung, aber meine Nicht-Kindertage sind mir dennoch lieber – sie sind stressfreier. Ich hatte also die Wahl: Entweder würde ich meine Freiräume täglich und mühselig gegen Suse erkämpfen müssen und das Kind würde sich immer wie eine Last anfühlen, oder ich gäbe freiwillig die Hälfte meiner Zeit ab, um die andere Hälfte komplett frei zu verbringen. Ich habe mich für Letzteres entschieden und bekomme dafür die Möglichkeit, garantiert jeden zweiten Tag nur das zu tun, was ich möchte, ohne mich mit jemanden abzustimmen oder für etwas rechtfertigen zu müssen.
Suse Nachdem wir vier Wochen mit dem Säugling zu Hause ein Leben wie unter der Käseglocke gelebt haben, ich alle drei Stunden gestillt habe, Micha sie gewickelt, Tee gekocht, wir geschlafen, gegessen, Besuch empfangen, wieder gestillt und gewickelt haben … machte sich langsam ein ordentlicher Koller breit – Zeit für unser Modell. Aber auch wenn meine Ausflüge wegen des Stillens zeitlich stark eingegrenzt waren, gab es jeden zweiten Tag welche. Ich ging zum Sport, ins Kino, in Buchläden, ins Restaurant essen, traf mich mit FreundInnen. Und ich fühlte mich nur die ersten paar Male ein bisschen komisch und dann immer selbstverständlicher. Ein ungutes Gefühl hab ich eigentlich immer nur dann bekommen, wenn Leute fast schon entsetzt reagiert haben, wenn sie mich ohne Kind sahen. Im Laufe der Monate verkehrte sich dieses Entsetzen bei meinen Gegenübern in so eine Art Respekt: „Toll, dass du ausgehst, obwohl dein Kind erst drei Monate alt ist!“ Jedes einzelne Wort in diesem Satz bitte ich euch, auf der Zunge zergehen zu lassen und anschließend zu überlegen, ob ein junger Vater so einen Satz jemals zu hören bekommen hat.
Micha Seitdem Suse schwanger war, hatte ich vor folgender Situation Angst: Wir sitzen beide am Abend zu Hause, sie stillt das Kind. Ich will eigentlich mit meinen Freunden in die Kneipe. Ich kann ja nicht stillen und eigentlich nichts tun. Ich traue mich aber nicht zu gehen, weil ich Suse nicht das Gefühl geben will, dass ich sie alleine lasse. Wenn ich doch gehe, kann ich den Kneipenabend nicht genießen und werde aus schlechtem Gewissen früh wieder zurückkommen … Was mir den Spott der Kumpels einbringt: „Ja, ja, Papa muss nach Hause“. Diesen Zustand nenne ich „Regime des schlechten Gewissens“, ich habe ihn schon bei vielen Familien beobachtet. Mit unserer Aufteilung kann es dieses Problem nicht geben. Denn sie regelt, wer an welchem Tag verantwortlich ist. Sätze wie „Kannst du bitte jetzt mal wickeln, ich hab‘s die letzten drei Mal gemacht!“, gibt es bei uns nicht. Unsere klare Teilung sorgt dafür, dass ich jeden zweiten Tag komplett frei bin und an diesen Tagen mein altes Leben, das ich so liebte, leben kann.
Äh, du sitzt hier - und wo ist dein Kind!?
Suse Ich erinnere mich noch sehr gut an mein allererstes Ausgehen am Abend. Die Geburt war drei Wochen her, es war ein warmer Frühlingsabend. Ich bin mit einer Freundin verabredet, wir trinken Limobier am Landwehrkanal. Mein erster Alkohol, mein erster Zug an der Zigarette meiner Freundin … Ich bin aufgeregt und fühle mich, als wäre ich trotz schwerer Grippe mit Fieber auf eine Technoparty gegangen. Denn ich bin Mutter. Seit nicht ganz vier Wochen. Eine Bekannte mit sieben Monate altem Baby in der Manduka und alkoholfreiem Getränk in der Hand läuft vorbei, genau in dem Moment, als ich (den) einen (einzigen) Zug von der Zigarette nehme: „Wo ist denn dein Kind?“ – „Zu Hause, Micha und ich mussten mal raus. Meine Schwester babysittet.“ Ertappt hebe ich zu meiner Verteidigungsrede an: „Ja, das ist total cool, ich weiß ja genau, wann Meta immer trinkt, da kann ich gut planen und zwischendrin wacht sie auch nicht auf und für den unwahrscheinlichen Fall, dass doch, bin ich ja in fünf Minuten zu Hause.“ Zur perfekten Rabenmutter werde ich, als eine weitere Bekannte mich direkt begrüßt mit: „Äh, du sitzt hier, trinkst Alkohol und wo ist dein Kind!?“ Ich erkläre es, bekomme wieder einen befremdeten Blick zur Antwort, daraufhin ein schlechtes Gewissen, radele mit Herzrasen viel früher als geplant nach Hause und atme erst auf, als sich die Wohnungstür hinter mir schließt. Denn nur hier gehöre ich hin – so die Botschaft dieses Abends.
Micha Wenn jemand monate- oder jahrelang rund um die Uhr so gut wie allein ein Kind betreut, dann macht das was mit der Person. Das Kind wird Lebensinhalt Nummer eins. Und dann reden diese Mütter über die Konsistenz der Kinderkacke, über Milchflaschensysteme und die Eigenarten der Kleinen. Bei uns war das so: Suse und ich redeten mit Inbrunst über die Konsistenz der Kinderkacke! Weil es uns ja beide jeweils jeden zweiten Tag betraf. Aber: Wir führten jeder auch noch unser altes Leben. Suse macht und ist immer noch all das, weshalb ich mich damals so unsterblich in sie verliebt habe. Wir entdeckten also ein Thema (das Kind) gemeinsam und erhielten uns gleichzeitig die ursprüngliche Basis unserer Beziehung (unser altes Leben). Eigentlich kam uns unser Aufteilungs-Modell gar nicht außergewöhnlich vor. Doch die Reaktionen unseres Umfelds waren unerwartet heftig. Anstatt sich unsere Ideen anzuhören, haben uns Freunde, Bekannte und Familien belächelt und gesagt: „Das klappt auf Dauer eh nicht“. Meine Mutter kommentierte: „Das ist doch Quatsch! Einer muss das Geld verdienen, der andere das Kind betreuen“ – obwohl sie selbst neben drei Kindern und einem Haushalt auch immer eine eigene Firma gemanagt hat. Wenn ich mit Meta kurz nach der Geburt allein unterwegs war, haben mich Freunde vorwurfsvoll gefragt, wo denn die Mutter sei. Später, als langsam Gewöhnung eintrat, kam die Frage, ob ich heute wieder „die Mutti machen“ würde. Nein, ich bin der Vater.
Die Reaktionen unseres Umfelds waren heftig
Suse Je älter das Kind wird, desto entspannter werden die Reaktionen von außen. Ich habe diese Mutterrolle angenommen und ich hab sie so gern angenommen! Ich liebe dieses Kind, ich bin wahnsinnig gerne seine Mutter. Ich habe es neun Monate gestillt, ich koche gesunden Gemüsebrei, ich kaufe, obwohl wir Berge von Klamotten aus der Verwandtschaft bekommen, ständig Klamotten im Secondhandladen nach, ich lese ihr Bücher und sing ihr Lieder vor, lerne Ukulele für sie (und mich), bin stundenlang mit ihr im Tragetuch spazieren gegangen, damit wir uns möglichst nah waren und verbringe die gleichen Stunden heute mit ihr auf den Spielplätzen dieser Stadt. Ich gehe auf in dieser „Mutterrolle“. Jeden zweiten Tag.
Micha Wenn wir unser Modell erklären, stellt das Gegenüber aller Wahrscheinlichkeit nach diese Frage: „Macht ihr dann nie etwas gemeinsam?“ Anfangs haben wir uns über diese Frage gewundert und geantwortet: „Na klar, warum denn nicht? Wir sind doch beste Freunde und machen gern vieles zusammen.“ Aber nach einem Jahr müssen wir differenzierter antworten. Die Hürde ist größer geworden, freie Zeit für Familien- oder Paar-Aktivitäten abzugeben. Zwar trennen wir unsere Romantik von der Alltagsorganisation und laufen damit weniger stark Gefahr, dass im Namen der Liebe Erwartungen, Verpflichtungen und Ungleichheiten entstehen. Aber auch nach einem Jahr abwechselnder Kinderbetreuung fühle ich mich noch immer weniger verantwortlich für das Projekt Familie. Das führt zu Konflikten und äußert sich darin, dass es eben Suse ist, die sich informiert, welches Essen Meta als nächstes gegeben werden kann, welche Kleidergröße sie aktuell hat und ich zwar häusliche Aufgaben übernehme, Suse sie mir aber auftragen muss.
Ich gehe auf in dieser „Mutter-rolle“. Jeden zweiten Tag.
Suse Unser Kind ist jetzt über ein Jahr alt und ich kann leider nicht behaupten, wir wären mit unserem Modell im Paradies der Gleichberechtigung angekommen. Wir haben immer noch ständig mit „Arbeitsteilungsproblemen“ zu kämpfen. Mit dem Modell haben die aber nichts zu tun. Das mit der Zeiteinteilung funktioniert super. Aber während ich alles, was das Kind betrifft, in mein Leben integriere und gerne Klamottenberge der neuen Kindergröße sichte und sortiere, Breie aus Biogemüse koche und einfriere, Metas Wäsche eben wasche, wenn ihr Wäschekorb voll ist, einen Fahrradsitz besorge, ein größeres Kinderbett, Windeln kaufe und eine neue Trinkflasche, Sauger auskoche und Schnuller, währenddessen macht Micha von all dem einfach nichts. Und wenn, dann nur nach mehrmaliger Nachfrage und Aufforderung, was immer öfter zu einem „dann kann ich es auch gleich selber machen“ und dementsprechend schlechter Laune meinerseits führt. Ich werde dann zu der meckrigen Mutti (gemacht), die ich nicht sein wollte.
Micha Außerdem haben wir festgestellt, dass selbst eine perfekte 50/50-Aufteilung zwischen uns beiden keine wirkliche Gleichberechtigung bedeuten würde. Denn dadurch, dass die Gesellschaft von Frauen eher erwartet, sich um die Kinderaufzucht zu kümmern als von Männern, hat Suse nicht die gleiche Verhandlungsposition. Anders gesagt: Ich fühle mich oft so, als wäre ich ja schon sehr gnädig, dass ich die Hälfte meines Lebens abgebe. Denn das ist vielleicht mehr, als der Durchschnitts-Vater gibt, aber kommt bei Suse als Argument natürlich nicht an. Nach einem Jahr haben wir also ein Bewusstsein für eine gleichberechtigte Elternschaft gewonnen; aber Gleichberechtigung herrscht leider noch nicht.
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Der Text ist ein gekürzter Auszug aus "The Mamas and the Papas - Reproduktion, Pop & widerspenstige Verhältnisse" (Hrsg. Annika Mecklenbrauck und Lukas Böckmann, Ventil Verlag).