Keinen Bock auf Vatersein
Sie sind der Elefant im Wohnzimmer, den bisher niemand sehen wollte. Während die Demoskopen sich über die Frauen den Kopf zerbrechen, sind die Männer in einem stillen Zeugungsstreik.
Die Debatte um die Greisenrepublik Deutschland dreht sich allein um die Frau und ihre Gründe, keine Kinder zu wollen. Über den Mann ohne Kind wissen wir dagegen fast nichts. Dabei gibt es mehr Männer als Frauen ohne Kinder.
Es ist gar nicht so lange her, da zählten Begriffe wie demografischer Wandel zum Fachvokabular von Rentenexperten, Kinderkriegen galt als Privatangelegenheit – und Frauen, die keine hatten, waren irgendwie modern. Seit sich jedoch das Wort von der Greisengesellschaft und ihren dramatischen Folgen herumgesprochen hat, treibt die K-Frage – die Frage, warum wir immer weniger Kinder bekommen – die Deutschen um. Unter öffentlichem Rechtfertigungsdruck steht besonders die Frau: die Frau ohne Kind. Man addiert ihre Ansprüche, untersucht ihre Wertvorstellungen, beleuchtet ihre Lebensentwürfe, analysiert ihr postfeministisches Bewusstsein.
Der kinderlose Mann hingegen ist in dieser Rechnung der Demoskopen eine bislang unbekannte Größe. Über ihn wissen wir fast nichts; und auch nichts über seine Beweggründe, keine Kinder zu wollen. Dieser Tage hat nun eine Allensbach-Untersuchung über die Einstellung junger Männer zur Familie auch nach den Ursachen für bewusste Kinderlosigkeit gefragt – und von 60 Prozent der Herren die Antwort erhalten, es seien „andere Gründe“ als finanzielle, berufliche oder die ungelöste Situation der Kinderbetreuung. Jedoch hat es das Institut versäumt, bei diesen „anderen“ verschwiegenen Gründen nachzuhaken – dabei ist die Zurückhaltung der Männer in der Kinderfrage das eigentlich Spannende.
Es liegt nämlich nicht in erster Linie an den Frauen, dass es in Deutschland seit Mitte der neunziger Jahre mehr Paare ohne Kinder gibt als je zuvor. Erstmals trifft dies auch für Ehepaare zu. Dieser Trend zur Kinderlosigkeit liegt jedoch mindestens ebenso sehr an den Männern wie an den Frauen. Denn die Kinderfrage wird fast immer von zweien entschieden. Will einer der beiden nicht mitziehen, findet die Angelegenheit nicht statt.
Hierzulande bislang praktisch unbekannt ist die Tatsache, dass es heute in allen Altersgruppen der nach 1940 Geborenen deutlich mehr kinderlose Männer gibt als kinderlose Frauen: Jeder vierte 45- bis 50-jährige Mann ist kinderlos, bei den Frauen sind es nur halb so viele. Unter den männlichen Akademikern ist sogar jeder zweite nach 1965 Geborene noch ohne Nachwuchs, bei den Akademikerinnen ist es nur jede dritte. (Am Rande sei bemerkt, dass laut Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, DIW, vor allem FDP-Anhänger im besten Alter bis 45 Jahre besonders zeugungsunwillig sind; bei den Älteren ab 46 nehmen die Grünen-Anhänger die kinderlose Spitzenposition ein.)
Dennoch stehen stets die kinderlosen Frauen und nie die Männer im Mittelpunkt der Diskussion über den Geburtenrückgang. „Gebärstreik“, beklagt die Hamburger Journalistin Meike Dinklage, „dieses Wort kursiert ewig. Zeugungsstreik, davon hat man noch nie etwas gehört. Wer die Gebärmutter hat, hat die Verantwortung. Dass die Männer die Macht haben, ihr Veto einzulegen und die Zeugung zu verweigern, ist weit weniger in die Köpfe eingesickert.“
Von selbst wagt sich der kinderlose Mann, dieses obskure Objekt der Statistik, nur selten aus der Deckung. In ihrem aufschlussreichen Buch ‚Der Zeugungsstreik – Warum die Kinderfrage Männersache ist‘ hat Meike Dinklage, Jahrgang 1965 und selbst kinderlos, nun etwas Licht in die dunkle Gefühlslage männlicher Kinderverweigerer gebracht. Sie ist durchs Land gereist und hat Männer zu ihrer Kinderlosigkeit befragt, denn: „Wie kann es angehen, dass Kinderlosigkeit bei Frauen nur als biologisch begründete Entbehrungstragödie akzeptiert wird, während der Mann mit der Einsamer-Wolf-Nummer durchkommt?“
Ihre Vermutung, dass die Mechanismen der gewollten Kinderlosigkeit bei Männern wesentlich subtiler sind als bei Frauen, bestätigt die Lektüre der aufgezeichneten Gespräche – und lässt frau ratlos zurück. Freilich, da gibt es bewusst kinderlos lebende Männer wie beispielsweise Dietmar Bartz, der in einem „Rechenschaftsbericht“ in der Wochenzeitung Die Zeit öffentlich forderte, dass „die Wunschlosigkeit in gleichem Maße respektiert wird wie der Wunsch“. Die Kinderfrage, klagt der Autor, habe immer wieder seine Beziehungen zerstört: „Ich kenne das argwöhnische Horchen der Frau auf das Ticken der biologischen Uhr, die Bedrückung über den langsam aufziehenden Großkonflikt, das stille Leiden und die Wutanfälle wegen Schwangerschaftsvorenthaltung“ – aber: „Ich kann das Recht am eigenen Kind nicht abgeben.“
Meike Dinklage indes begegnete bei ihrer Recherche über die männliche Befindlichkeit vor allem jenen Später-vielleicht-Männern, bei denen sich die Kinderlosigkeit einfach irgendwie eingeschlichen hat. Sie hegen keinen gesteigerten Pessimismus gegen die Welt wie noch in den achtziger Jahren, als man die Umweltverschmutzung zur Begründung gegen Nachwuchs bemühte, oder die Folgen der Globalisierung in den Neunzigern. Diese Männer verschleppen die Vaterschaft, schieben den Gedanken auf, sind sich nicht sicher, ob sie wirklich Nachwuchs wollen.
„Meine Argumente für oder gegen Kinder sind ein amorpher Brei“, sagt der 42-jährige Fotograf und Kinderbuchautor Jan Jepsen. „Ich will vielleicht Kinder, aber der Punkt ist: Ich kann mich nicht entscheiden.“ Er würde sich wohl schwer tun damit, „seine Freiheit zu opfern“, fürchtet Jespen: „Man muss viel aufgeben, im Zweifelsfall sich komplett, und an die Stelle der Selbstverwirklichung tritt die des Kindes.“
Bundesfamilienministerin Renate Schmidt vermutet schon seit längerem, dass es am Ende die Männer seien, die bei der Entscheidung für oder gegen ein Kind häufiger den Ausschlag geben. „Weil viele Männer nicht zwischen Spaß und Freude unterscheiden können“, wie sie bei Gelegenheit erklärte – zumindest dann nicht, wenn die Freude Mühe bereite.
Studien haben ergeben, dass sich Männer auch in Industriestaaten tatsächlich noch immer als Haupternährer der Familie fühlen, selbst wenn die Frau über ein höheres Einkommen verfügt. Für ihr Selbstverständnis scheint dieses male-bread-winning-Prinzip, also die Frage, ob sie es sich alleine leisten können, eine Familie zu ernähren, von eminenter Bedeutung. Auch wenn das angesichts diskontinuierlich verlaufender Erwerbsbiografien und schlechter Arbeitsmarktlage sehr lange dauern kann.
Die Frauenbewegung erschütterte diese klassische Männerrolle. Die Folgen sind Verunsicherung und die Suche nach der „Männlichkeit“, mit bisweilen tragikomischen Effekten: wie teure Autos oder Abenteuerreisen zum Südpol. Weil Männer, sagen Psychologen, oft einfach ratlos sind, was Mannsein bedeutet, und daher auch nicht wissen, was Vatersein sein soll.
Während Frauen Monat für Monat an die Möglichkeit einer Schwangerschaft erinnert werden und der biologische Zeitrahmen ihnen zudem klare Grenzen nach hinten setzt, existiert bei Männern keine Grenze zwischen dem Zustand des Mannes ohne Kind und dem des potenziellen Vaters. So bleibt der Mann ohne Kind auch im öffentlichen Bewusstsein einfach ein Mann „noch ohne Kind“ – auch wenn er auf die fünfzig zugeht. Danach gilt er dann als potenzieller später Vater. Frauen über dreißig hingegen kommen auf dem Beziehungsmarkt ganz schlecht an, weil sie, wie es ein spätpubertierender Vierzigjähriger formulierte, diesen Ich-will-ein-Kind-Blick haben. Besonders schlechte Karten auf dem Bazar des Zwischenmenschlichen haben es freilich Frauen mit Kinderwunsch und Hochschulabschluss.
Von den 37- bis 40-jährigen Akademikerinnen haben nach jüngsten Erhebungen 43 Prozent im Westen keine Kinder und 24 Prozent im Osten. Dabei wünschen sie sich im selben Maße Kinder wie ihre Altersgenossinnen. Doch die so genannte „Homogamie“, wie Wissenschaftler die Einhaltung der sozialen Grenzen bei der Partnerwahl bezeichnen, macht der weiblichen Bildungselite einen Strich durch die Rechnung:
Während Akademiker nicht selten unter ihrem Bildungsstand heiraten – also der Chef seine Sekretärin oder der Arzt die Krankenschwester –, und dabei häufig auf Frauen stoßen, die sich bereitwillig an ihr Leben anpassen, wünschen sich Akademikerinnen überwiegend einen Akademiker zur Nachwuchsproduktion, von dem sie zudem ein hohes Maß an Beteiligung im Unternehmen Familie einfordern – doch genau das ist bei den Herren dieser Republik nicht unbedingt erwünscht.
Manche der Männer, die Dinklage interviewt hat, hoffen paradoxerweise, dass das Schicksal sie von der Last der Entscheidung befreit, und sei es eine ‚dea ex machina‘, die sie mit einer Schwangerschaft vor vollendete Tatsachen stellt. Gleichzeitig ist es Fakt, dass die Hälfte der ledigen Alleinerziehenden von ihrem Partner während der Schwangerschaft verlassen wurde – der latenten Unentschiedenheit folgt also oft der überstürzte Rückzug.
Es gibt natürlich auch Männer, die von ihrer Familie verlassen wurden; Männer, die irgendwann keine Kinder mehr zeugen können; Männer, die keine Frau finden – oder die gar nicht wissen, dass sie längst Vater sind. Doch die meisten wollen einfach keine. „So werden die Männer, auf dem indirekten Weg des Aussitzens, Vertagens, Hinterfragens, zu den Entscheidern der Kinderfrage in der Biografie ihrer Partnerinnen“, bilanziert Väterforscherin Dinklage. „Und der Zeugungsstreik zur machtvollen Demonstration einer Männergeneration auf Selbstsuche.“
Für das Phänomen des überforderten Mannes, dem es nicht mehr gelingt, sich aus eigener Kraft festzulegen, wurde der treffliche Begriff ‚Hugh-Grant-Komplex‘ kreiert. Tatsächlich versteht sich der britische Schauspieler, dieser Bub jenseits der 40, wie kein anderer im Film und im wirklichen Leben auf die ‚Grundsätzlich sage ich nicht nein‘-Diplomatie. Die trotzig zur Schau gestellte Kindsköpfigkeit, die Unsicherheit sich selbst und dem Leben gegenüber wurde durch Hugh Grant chic. Liz Hurley, die ehemalige Freundin des Schauspielers, hat mittlerweile übrigens von einem anderen Mann ein Kind bekommen. Und Hugh Grant betont neuerdings in Interviews, dass er sich eine Freundin wünsche – „gern auch mit Kind“. Wie praktisch.
Die Autorin, 35, ist Redakteurin der FAZ, verheiratet und hat einen Sohn.
Dieser Artikel gehört zum Dossier: KinderKinder.