Tag der Niederlage
Am 23. Mai werden die 1.206 Mitglieder der Bundesversammlung im Berliner Reichstag den Bundespräsidenten wählen – denn dass es mal wieder ein Mann wird, scheint inzwischen sicher. Auch wenn jeder dritte dieser Wahlmänner eine Frau ist. Was aber keine große Rolle spielt, denn die Frauen werden sich auch bei dieser Wahl uneingeschränkt der Parteiräson oder ihren ureigensten Interessen beugen.
Die 1.206 setzen sich zusammen aus den 603 Bundestagsabgeordneten und aus 603 Delegierten der Bundesländer. Da in letzteren die CDU/CSU die Mehrheit hat, wird nicht Rotgrün bestimmen, wer ins Schloss einzieht, sondern Schwarzgelb. Beim letzten Mal war es umgekehrt. Darum hatte die CDU/CSU 1999 eine Frau vorgeschlagen, Dagmar Schipanski, damals noch kräftig unterstützt von Angela Merkel. Erwartungsgemäß ist die heutige Wissenschaftsministerin von Thüringen es nicht geworden.
Diesmal hat der rotgrüne Kanzler eine Frau ins Spiel gebracht, einen Tag vor Bekanntwerden der von Alice Schwarzer im September letzten Jahres angezettelten Initiative: für Rita Süssmuth von der CDU. Die wollten, laut Forsa, auch 20 Prozent aller Deutschen. Nur eine/r will sie auf keinen Fall: ihre eigene Partei. Also ist auch Angela Merkel diesmal nicht dafür.
Wobei bei Merkel auch immer noch die irrationale Befürchtung eine Rolle spielen mag, eine Bundespräsidentin wäre hinderlich für eine Kanzlerkandidatin. Vor allem aber spielt das interne Machtgerangel der Konservativen eine Rolle – Merkel contra Stoiber – sowie das Kräftemessen mit der FDP: Merkel contra Westerwelle.
Was will Westerwelle? Die Frage beschäftigt zur Zeit allen Ernstes Berlin. Vermutlich irgendwie immer noch 18 Prozent. Aber immerhin: die Liberalen Frauen sind die einzigen, die Mitte Januar nochmal die Option Frau für Schloss Bellevue ins Spiel brachten. Dabei fiel der Name Cornelia Schmalz-Jacobsen. Aber die soll inzwischen auch schon längst wieder out sein.
Und die Frauenvereinigungen der anderen Parteien? Die Sozialdemokratinnen mit dem unaussprechlichen Namen (Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen, kurz AsF)?
Schweigen. Die Frauen-Union der CSU? Schweigen. Und die CDU-Frauenunion? „Wir werden keine öffentliche Personaldiskussion führen.“ Aber wenigstens die Grünen? Schweigen. Und die PDS? Friedhof.
Ja, Kinder, wenn noch nicht mal die Politikerinnen sich für eine Bundespräsidentin stark machen…
Im rotgrünen Wahlprogramm hatten sie uns schon 1998 versprochen: Einer der drei Spitzenposten geht auf jeden Fall an eine Frau. Die Spitzenposten sind Kanzler, Bundespräsident und Bundestagspräsident. Alle drei sind heute Männer.
Weder Politik noch Medien wollen an der Spitze eine Frau, das ist klar. Die Überlegung ist bestenfalls ein Pausenfüller. Und das Drittel Frauen, das heute in den Parlamenten sitzt, wagt noch nicht mal zu mucken, aus Angst, sich lächerlich zu machen mit der Forderung.
Aufschlussreich auch zu sehen, wie bei den Umfragen manipuliert wird. Nach Rita Süssmuth, der Favoritin vom letzten Jahr, wird in diesem Jahr gar nicht mehr erst gefragt. Bestenfalls werden in Meinungsforschung und Meinungsbildung noch Frauen präsentiert, die es eh nicht werden können. Wie jüngst die Zeit, die „Drei Frauen für das Schloss Bellevue“ vorschlug: Annette Schavan (Daumen runter, weil: nicht verheiratet). Jutta Limbach (Daumen runter, weil: falsche Partei). Cornelia Schmalz-Jacobsen (Daumen runter, weil: von der eigenen Partei schon wieder verworfen).
Bei Redaktionsschluss von EMMA, Mitte Februar, steht noch nicht fest, wen die Parteien präsentieren werden, auch wenn vieles auf Schäuble hindeutet. Eine Frau wird nur dann zur Wahl stehen, wenn ihre Wahl garantiert aussichtslos ist (also als Kandidatin von Rotgrün). Und ein Mann wird mal wieder ins Schloss Bellevue einziehen. Wäre ja auch wirklich übereilt: Im Jahr 2004 eine deutsche Bundespräsidentin. Schließlich ist die Erringung des Frauenwahlrechts ja erst 85 Jahre her.
EMMA März/April 2004