Alice Schwarzer schreibt

Signal für die Welt

Artikel teilen

Als am 10. Oktober das Telefon in Paris klingelte und am anderen Ende der Leitung eine Stimme erklärte, sie würde in diesem Jahr den Friedensnobelpreis erhalten - da konnte Shirin Ebadi es einfach nicht glauben. "Es war ein wirklicher Schock", sagte sie. "Ich hatte ein iranisches Filmfestival in Paris besucht und wollte gerade in das Taxi zum Flughafen steigen, als mich die Nachricht erreichte." Erst der heiße Tipp, doch mal das Radio anzuschalten wo die Nachricht von der iranischen Nobelpreisträgerin frisch über den Äther ging konnte Ebadi überzeugen. Der Preis ging tatsächlich an sie, "eine Frau, auf die diese Welt stolz sein kann" (so das Nobelpreis-Komitee).

Anzeige

Ausgerechnet eine muslimische Juristin aus 165 KandidatInnen auszuwählen - und nicht den Papst! - , das war "so kühn wie überraschend", wie die Exil-Iraner und Menschenrechtler Khan und Hashemi schreiben. "Ganz offensichtlich hat sich das Nobel-Komitee entschieden, in den nicht deklarierten Kulturkrieg zwischen dem Islam und dem Westen einzugreifen!"

Das Nobel-Komitee hat das vielleicht nicht zufällig im Jahr 2003 getan, in einem Moment also, wo auch die USA der Meinung sind, die Zeit der Ayatollahs im Iran sei abgelaufen. Sollten sie jedoch mit dieser Wahl die Hoffnung verbinden, die frisch gewählte Nobelpreisträgerin funktionalisieren zu können, haben sie sich getäuscht. Als Befürworterin einer Intervention im Iran ist Ebadi nicht zu gebrauchen. "Ich bin absolut davon überzeugt", erklärte sie, "dass das Schicksal eines jeden Landes in den Händen seiner eigenen Bevölkerung liegt". Da ist es nur konsequent, dass sie auch die Interventionen in Afghanistan und im Irak verurteilt.

Und sie ist auch nicht zu vereinnahmen von den DifferenzialistInnen, die so gerne von den "Unterschieden der Kulturen" und der "Relativität der Menschenrechte" reden. "Die Menschenrechte sind einzigartig und überall gleich", erklärte die Juristin. "Sie können nicht von Land zu Land unterschiedlich ausgelegt werden". Ebadi ist eine "bewusste Muslimin", sie sieht "keinen Gegensatz zwischen dem Islam und den Menschenrechten".

Bei ihrer Ankunft in Teheran erwarteten Tausende und Abertausende Menschen die Friedensnobelpreisträgerin, vor allem Frauen. Statt in tristes Schwarz waren sie demonstrativ in hoffnungsvolles Weiß gehüllt und hatten weiße Blumen in der Hand - aber sie waren selbstverständlich verschleiert, das ist nach wie vor Zwang im Iran. Auf die in dem Zusammenhang fast zynisch anmutende Frage der taz-Korrespondentin in Paris, ob sie in Stockholm am 10. Dezember den Nobelpreis verschleiert entgegen nehmen würde, hatte Ebadi noch in Paris geantwortet: "In meinem Land ist das Tragen eines Kopftuches Pflicht. Also trage ich es. Hier aber habe ich die Wahl. Und da entscheide ich mich dafür, es nicht zu tragen."

Wer, wenn nicht Shirin Ebadi, kennt die bittere Bedeutung des Schleiers. Noch zu Zeiten des Schahs, in denen es "weniger Meinungsfreiheit, aber mehr Emanzipation für die Frauen gab", war Ebadi 1974 zur ersten Richterin in der Geschichte des Irans und zur Gerichtspräsidentin von Teheran ernannt worden. Als die Ayatollahs 1979 die Macht ergriffen, hatte auch sie, wie so viele, eine kurze Zeit lang die Hoffnung auf mehr Demokratie. Sie wurde rasch eines anderen belehrt.

Wie alle Juristinnen ereilte Shirin Ebadi in dem islamischen "Gottesstaat", wo vor Gericht die Aussage einer Frau nur halb so schwer wiegt wie die eines Mannes, 1979 rasch das Berufsverbot. Das hielten übrigens die Nazis in Deutschland 1933 nicht anders. Doch Ebadi ließ sich nicht einschüchtern. Sie kämpfte weiter für die Menschenrechte. Ihr Preis war hoch: Mehrere Male kam die Juristin selbst in die Gefängnisse des Terrorstaates, in denen Folter an der Tagesordnung ist.

Als das islamische Regime die Verhältnisse zwischendurch leicht lockerte, eröffnete Ebadi eine Anwaltspraxis und engagierte sich für die Rechte von Frauen, Kindern und politischen Gefangenen. Sie war dafür bekannt, auch noch Prozesse zu übernehmen, an die sich kein anderer mehr rantraute.

Aufsehen erregte im Jahr 2000 die so genannte Videoaffäre. Via Video hatten Islamisten die Anwältin über ihre Kontakte zu hohen iranischen Führern informiert und gestanden, dass sie beauftragt worden waren, Dissidenten zu ermorden. Die todesmutige Ebadi machte alles öffentlich wurde zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt (auf Bewährung) und erhielt fünf Jahre Berufsverbot.

Die 56-Jährige weiß, wovon sie redet, wenn sie sagt: "Jeder, der sich im Iran für die Menschenrechte einsetzt, muss von der Geburt bis zum Tod um sein Leben zittern. Doch ich habe gelernt, meine Furcht zu überwinden." Ebadi vor allem, selbst Mutter von zwei Töchtern (und auf dem Foto rechts mit Tochter Nargess Tavassolian), verdanken die Iranerinnen, dass auch ihre Männer nach der Scheidung heute Alimente zahlen müssen. Zumindest theoretisch.

Heute hat die Juristin einen Lehrauftrag an der juristischen Fakultät von Teheran - und kann sich jetzt mehr denn je jetzt der uneingeschränkten Bewunderung und auch Ermutigung ihrer Studentinnen sicher sein. Denn in der Welt war ihre Ernennung eine Überraschung, aber in ihrer Heimat ist Ebadi seit langem eine von den Regime-GegnerInnen bewunderte Frau. Neben ihrer Arbeit als Anwältin hat sie auch viel veröffentlicht. Dennoch erlaubten es sich die konservativen iranischen Medien, den Nobelpreis von Ebadi mit keinem Wort zu erwähnen; die fortschrittlichen jedoch feierten sie "als eine große Hoffnung für den Iran". Der Frau, die vor hundert Jahren Nobel zu dem Friedenspreis inspirierte, die österreichische Feministin und Pazifistin Bertha Suttner, hätte die Wahl Ebadis ohne jeden Zweifel sehr begrüßt.

Artikel teilen
 
Zur Startseite