Frauen und Militär: Flintenweiber

Artikel teilen

Für deutsche Männer ist es eine Ehre, das "Vaterland" zu verteidigen - und sie werden selbst als Kriegsdienstverweigerer geachtet (die Zahl der Verweigerer stieg in den letzten 20 Jahren um das Zwölffache). Für Frauen ist es eine Schande, Soldatin zu sein - und sie werden als "Flintenweiber" verspottet.

Anzeige

Immer mehr junge Frauen wehren sich dagegen. So antworteten 44 Prozent der 16-29-jährigen Allensbach auf die Frage: "Sind Sie dafür oder dagegen, dass Frauen freiwillig bei der Bundeswehr auch an Waffen ausgebildet werden?" mit einem uneingeschränkten: Dafür! Und in der Gesamtbevölkerung ist jedeR Dritte dafür, (darunter mehr Männer als Frauen). In der Politik aber sind Linke wie Rechte strikt dagegen und nur Liberale und einige Konservative dafür. Leben wir wirklich in einer Zeit der "Militarisierung", wie manche behaupten? In der alten BRD ging ein Fünftel des Gesamthaushaltes in die Verteidigung, im neuen Deutschland sind es nur noch ein Zehntel.

Die Bundeswehr wird abgebaut, 1996 hat sie 340.000 Soldaten (1991 waren es 580.000), darunter 2.849 Soldatinnen - nur bei den Sanitätern und im Musikkorps, ohne Zugang zu Waffen und Karriere. Begründet wird das vom Gesetzgeber mit der "Natur der Frau". Ein solches Berufsverbot für Frauen gibt es nur noch in Deutschland. In unseren Nachbarländern, in Skandinavien und in den USA haben Frauen uneingeschränkten freiwilligen Zugang. Finnland hatte sogar schon eine Verteidigungsministerin, und Frankreich hat eine Marinekommandeurin. Und in Norwegen übernahm gerade die erste U-Boot-Kapitänin der Welt das Kommando. Nachfolgend eine Reportage aus dem Kasernen-Alltag im Westerwald, ein Bericht aus einer Militär-Akademie in den USA, ein Emma-Kommentar von 1984 und eine Diskussion in Bonn.

Ein frostiger Wintermorgen im "schönen Westerwald", über dessen "Höhen der Wind so kalt pfeift", wie es in dem deutschen Volkslied heißt, das die deutschen Wehrmachtssoldaten fern der Heimat so gerne sangen. Der Zweite Weltkrieg ist 50 Jahre vorbei, und Soldaten marschieren wieder durch den Westerwald. Keine "Angriffskrieger" mehr, sondern dieses Mal "Bürger in Uniform".

Sie trotten einen Feldweg bei Rennerod entlang, mit geschulterten Gewehren und schwerem Gepäck, in oliv-grünen Tarnanzügen. Zweige stecken an den Helmen, die Gesichter sind unter dem schwarzen Schmier der Kriegsbemalung kaum zu erkennen. Je ein Soldat sichert die Gruppe vorne und hinten, die anderen sechs tragen eine Bahre auf ihren Schultern und scheinen unter der Last fast zusammenzubrechen, sie schwitzen und ächzen.

Die Bahre wurde "behelfsmäßig" zusammengebaut, eine wacklige Konstruktion aus zwei dünnen Kiefernstämmen, die längs auf zwei Querästen ruhen. Dazwischen eine Plastikplane. Sie hängt tief durch unter dem Gewicht des Verletzten.

Da knallt es. Schüsse von rechts aus dem Wald. Es knackt im Unterholz. Der Feind prescht durchs Gebüsch auf den kleinen Trupp zu. Der bleibt verdattert stehen, verharrt hilflos auf der Stelle, weiß nicht, wohin. "Runter mit der Trage!" brüllt Zugführer Kölschbach: "Geht in Deckung! Sonst ist euer Arsch weg." Und: "Wenn ihr angegriffen werdet, müsst ihr schießen!" Die Soldaten lassen den Verletzten fallen und flüchten panisch auf das freie Feld zur Linken des Weges. Im Ernstfall wären sie jetzt alle tot gewesen. Doch dies ist zum Glück nicht der Ernstfall, dies ist eine Übung: ein sogenannter "Geländetag" im zweiten Monat der Grundausbildung für Rekruten.

"Bisher wurden sie noch nie vom Feind überrascht", entschuldigt Zugführer Kölschbach, der - wenn er nicht gerade brüllt - sanftmütig wirkt, seine Zöglinge, und scheucht einen von ihnen zu der Trage zurück. Er muss sich schützend über den Verletzten legen. Doch halt! Er? Nein, sie! Auf den ersten Blick ist es nicht zu erkennen, doch beim zweiten wird klar: Dieser Soldat ist eine Frau.

Auch "der Feind" ist eine Feindin. Er heißt "Frau Feldwebel Alt", ist "stellvertretender Zugführer" und ließ sich bei der Attacke aus dem Hinterhalt von einem männlichen Rekruten unterstützen. "Als wir die andere Gruppe überfallen haben", meldet Frau Feldwebel Alt, "ist die Verletzte leider abgestürzt. Sie hat eine Gehirnerschütterung." Den Herrn Feldwebel Kölschbach lässt das kalt. "Krieg ist die Hölle", sagt er lakonisch.

In der Renneroder Kaserne ist die 9. Kompanie des Sanitätsbataillons V. untergebracht, eine Ausbildungskompanie mit 43 "Stammsoldaten" und 189 Rekruten, die hier im schönen Westerwald ihre dreimonatige Grundausbildung für den Sanitätsdienst der Bundeswehr absolvieren: 156 Männer und 33 Frauen. Hier pauken sie Anatomie und Recht; hier üben sie das Versorgen von Wunden und das Anlegen von Verbänden; hier lernen sie Karten, und den Kompass zu lesen, zu marschieren, zu kriechen und zu gleiten. Und - sie lernen Schießen.

2.849 weibliche Soldaten (das Wort "Soldatin" kennt die Bundeswehr nicht) dienen zur Zeit in der deutschen Armee. 19 tröten, trommeln und pfeifen im Militärmusikdienst, der Rest rackert sich im Sanitätsdienst ab: rund 450 Sanitäts(unter)offiziers-Anwärterinnen in der Ausbildung, über 800 weibliche Sanitätssoldaten, mehr als 1.000 weibliche Sanitätsunteroffiziere und 320 Sanitätsoffiziere (darunter ein weiblicher General-Arzt, 215 Ärztinnen, 69 Zahnärztinnen, 12 Veterinärmedizinerinnen und 29 Apothekerinnen).

Bis Mitte der 70er Jahre war die Bundeswehr eine reine Männerbastion. Erst 1975 durften sich Medizinerinnen und Apothekerinnen als Sanitätsoffiziere freiwillig verpflichten. Da in den 80er Jahren die Zahl der Wehrdienstverweigerer unaufhörlich stieg und der Rekrutenmangel zu grassieren begann, wurden im Juni 1989 die ersten Abiturientinnen als Sanitätsoffiziersanwärterinnen aufgenommen.

Am 1. Januar 1991 öffnete die Bundesregierung auch die Laufbahngruppen der Mannschaften und Unteroffiziere im Sanitäts- und Militärmusikdienst für Frauen. "Wir hier in Rennerod haben keine Nachwuchssorgen mehr", strahlt Hauptmann Manfred Schumacher, Chef der 9. Kompanie: "Die Frauen füllen die Lücken."

Weibliche Soldaten als Lückenfüllerinnen können genauso gut schießen wie ihre männlichen Kameraden, denn auch die Kameradinnen müssen im Ernstfall sich selbst und die Verwundeten verteidigen, die ihnen anvertraut sind. Welche Waffe sie dabei benutzen, ist ihnen freigestellt: Es kann ein Gewehr oder eine Pistole sein, ein Maschinengewehr oder eine Maschinenpistole, ja, sogar eine Panzerfaust. Schießen müssen sie, aber zur kämpfenden Truppe dürfen sie trotzdem nicht, denn das verbietet - angeblich - das Grundgesetz.

Darin heißt es: "Männer können vom vollendeten 18. Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden." Und: "Kann im Verteidigungsfalle der Bedarf an zivilen Dienstleistungen im zivilen Sanitäts- und Heilwesen sowie in der ortsfesten militärischen Lazarettorganisation nicht auf freiwilliger Grundlage
gedeckt werden, so können Frauen (...) herangezogen werden. Sie dürfen auf keinen Fall Dienst mit der Waffe leisten."

Diejenigen unter den Politikerinnen, die sich mit Händen und Füßen gegen den freiwilligen Dienst von Frauen in der kämpfenden Truppe wehren, berufen sich dabei auf diesen Satz. Der "Dienst an der Waffe" - das ist der Knackpunkt. Doch dieser Knackpunkt ist nur ein scheinbarer und deshalb ein scheinheiliger, da weibliche Sanitätssoldaten ja "Dienst an der Waffe" leisten, wenn auch nur "zur Selbstverteidigung".

Doch selbst dieser kleine Unterschied ist eigentlich keiner, da die gesamte Bundeswehr keine "Angriffsarmee" mehr, sondern eine "Verteidigungsarmee" ist. Auch die kämpfende deutsche Truppe darf heutzutage nur "im Verteidigungsfall" zum Einsatz kommen. Und auch, wenn ein Sanitätssoldat oder eine Sanitätssoldatin "aus Notwehr" schießt, fließt Blut, sterben Menschen und sind die Grenzen zwischen "Verteidigung" und "Angriff" fließend, wie wir wissen ...

Der Renneroder Kompaniechef Manfred Schumacher, der seit 1991 "gute Erfahrungen mit Frauen" macht, versteht die "Bonner Politiker" nicht: "Das mit dem Dienst an der Waffe bezieht sich doch nur auf den zivilen Bereich. Dass Frauen keinen freiwilligen Dienst in der Kampftruppe leisten dürfen, das steht überhaupt nicht in der Verfassung." Für den Berufssoldaten ist der einzige Grund, der gegen weibliche Soldaten spricht, das "männliche Denken":

"Schwanzgesteuert!" Dem "Bürger in Uniform" mit dem Dienstgrad eines Hauptmanns ist klar, dass der Ausschluss von Frauen aus der kämpfenden Truppe "ein rein deutsches Problem" ist. Der Renneroder Kompanie-Chef ist selbst nicht ganz frei vom "schwanzgesteuerten" Männerdenken. Denn "Frauen in einem Panzer an vorderster Front" kann er sich "nur schlecht" vorstellen: "Aber das ist rein emotional."

Feldwebel Kölschbach hat überhaupt keine Vorbehalte: "Rationale Gründe gegen kämpfende Frauen in der Truppe gibt es nicht. Auch die Muskeln sind kein Argument. Letztes Jahr hatten wir eine Rekrutin, sowas hab' ich noch nicht erlebt. Die schleppte Lasten alleine, die sonst nur zwei Männer schaffen." Und die eher kleinen und zarten Frauen, weiß Kölschbach, gleichen die fehlende Körperkraft "durch Zähigkeit und Ausdauer" aus: "Die entwickeln einen unglaublichen Ehrgeiz."

1991 hat Hauptmann Schumacher "mit dem Kommando über die 9. Kompanie in Rennerod auch die ersten Frauen übernommen". Allein die Nachricht von ihrer Ankunft hat den Männeralltag in der Kaserne schlagartig verändert. Kompanie-Chef Schumacher und sein Stellvertreter Spieß Hering wußten anfangs nur, "dass sie kommen".

Aber die beiden hatten keine Ahnung, "wieviele", und noch schleierhafter war ihnen, "wie wir das mit der getrennten Infrastruktur hinkriegen sollten". Die Frauen brauchten eigene Toiletten und eigene Duschen, Eimer für Tampons und Binden mussten her und zu allem Überfluß auch noch Gardinen, da die Rekrutinnen im Erdgeschoß der Mannschaftsunterkunft untergebracht werden sollten, durch dessen Fenster man von außen alles sieht.

Geld gab es nicht für die "getrennte Infrastruktur", Improvisation war gefragt. Duschen und Toiletten wurden durch Milchglasscheiben abgetrennt. Spieß Hering: "Doch dann entdeckten wir, dass man durch die Scheiben noch die Silhouetten erkennt. Da haben wir das Ganze mit schwarzer Folie beklebt." Die Sache mit den Eimern war kein Problem, dann schon eher die mit den Gardinen. Der Spieß hat sie schließlich vom Speicher seiner Schwiegermutter geholt und eigenhändig aufgehängt.

Die leicht vergilbten Spitzenstores prangen heute noch vor den Erdgeschossfenstern der Mannschaftsunterkunft auf dem Gelände der Renneroder Kaserne, obwohl die Frauen längst in den ersten Stock umgezogen sind. Dort leben sie Stube an Stube mit den männlichen Rekruten und teilen sich mit ihnen geschwisterlich Duschen und Toiletten. "Sexuelle Übergriffe" in der Kaserne sind bislang nicht zu beklagen. Da kommt's schon eher mal vor, dass die Soldatinnen draußen vorm Kasernentor von zivilen Männern als "NATO-Matratzen" beschimpft werden. Hauptmann Schumacher: "Hier drinnen musste ich noch kein einziges Mal disziplinarisch einschreiten."

Nach dem Schock des Dritten Reiches gab's beim deutschen Militär einen Bruch mit der Vergangenheit. Wenn die "Bürger in Uniform" auf dem Renneroder Kasernengelände antreten, stehen sie nicht zackig in Reih und Glied wie die Amerikaner oder die Franzosen, sondern schief und krumm, wie vom Westerwälder Wind gebeutelt.

Die Läufe der Gewehre sind nicht diszipliniert gen Himmel gerichtet, sie ragen kreuz und quer in die Luft. Vielleicht wird's ja bei den Sanis lascher gehandhabt als in der kämpfenden Truppe ...

Und eine Tragbahre teilt man scheint's leichter mit einer Frau als das Steuer eines Panzers, U-Boots oder Bombers. Bei den Panzergrenadieren, bei der Luftwaffe und in der Marine säh's mit der Frauenfreundlichkeit vermutlich anders aus. Doch da dürfen hierzulande die Frauen ohnehin (noch?) nicht hin. Und
Major Ruess, Leiter der Presseabteilung im Wehrbereich IV, der die Emma-Reporterinnen nach Rennerod begleitet hat, findet das auch richtig so.

Zwar hat er nichts gegen "die Öffnung anderer Bereiche der Bundeswehr für Frauen", aber die kämpfende Truppe soll Männersache bleiben, denn: "Die natürliche Aufgabe der Frau ist doch eher das Kinderkriegen und das Muttersein. Das verträgt sich nicht mit dem Kampf an der Front."

Die Renneroder Sani-Offiziere hingegen scheinen stolz darauf zu sein, "keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen zu machen". Und doch fallen kleine Unterschiede auf. So nennen die Rekruten ihr Gewehr, "meine Frau" - die Rekrutinnen sagen "mein Mann".

Auch die Stuben der Frauen sehen anders aus. Zwar sind sie genauso spartanisch eingerichtet wie die für die Männer: jeweils drei doppelte Etagen-Betten, ein Tisch mit sechs Stühlen, sechs Spinde. Doch in den Frauen-Stuben stehen Blumen auf den Tischen, und Kuscheltiere hocken auf den Betten. "Theoretisch dürften auch die Männer ihre Teddy-Bären mit in die Kaserne bringen", sagt Spieß Hering.

"Aber das würden sie niemals tun, auch wenn sie zuhause sechs Teddies auf dem Bett sitzen haben. Das wäre unmännlich." Seit die Frauen da sind, wird in der Renneroder Kaserne auch mal geweint. Spieß Hering: "Früher hat mich das verunsichert, wenn die Mädels heulten. Deshalb habe ich sie geschont. Aber heute bekommen sie genauso harte Anschisse wie die Jungs."

Und noch ein Unterschied wird (nicht nur) in Rennerod gemacht: Weibliche Soldaten in der Bundeswehr dürfen lange Haare haben, und es ist ihnen ausdrücklich gestattet, "dezenten Schmuck zur Ausgehuniform" zu tragen. Das ist den Männern nicht erlaubt. Wird es zu viel mit der Weiblichkeit, sieht der Renneroder Zugführer Feldwebel Kölschbach rot, von Drill hält er viel, aber von Schönheits-Drill überhaupt nichts.

Ihn ärgert, dass einige Rekrutinnen die drei Monate Grundausbildung als "Diät-Kur" nutzen: "Die fressen nichts, weil sie dünner werden wollen, und fallen bei Übungen im Gelände um wie die Fliegen." Bei den Mahlzeiten stellt sich Feldwebel Kölschbach deshalb neben den Diät-Aspirantinnen auf und passt auf, dass sie genug essen: "25 Kilo Gepäck kann man nur schleppen, wenn man satt ist."

Dass ein paar Rekrutinnen die Sache missverstehen, liegt nicht nur an ihnen selbst, sondern auch an den "Anwerbern", die als "Wehrberater" in den Kreiswehrersatzämtern oder in den vier "Freiwilligen-Annahmestellen" sitzen,  und an den Werbe-Broschüren vom Bundesverteidigungsministerium. Darin heißt es zum Beispiel: "Der Sanitätsdienst der Bundeswehr bietet Frauen vielseitige und herausfordernde Tätigkeitsfelder.

Das Sanitäts- und Gesundheitswesen der Bundeswehr erfüllt ärztliche, zahnärztliche, tierärztliche, pharmazeutische und lebens- mitteltechnische Aufgaben. Das heißt auch: Heilfürsorge, Gesundheitsvorsorge, Lebensmittelhygiene und wehrmedizinische Forschung. Frauen als Sanitätsunteroffiziere sind die ausgebildeten, fachkundigen und verlässlichen Helferinnen der Ärzte (oder Ärztinnen), Zahnärzte, Apotheker und Veterinäre."

Manch eine denkt, via Bundeswehr könne sie endlich ihren "Traumberuf" Arzthelferin ergreifen. Hauptmann Schumacher: "Die kommen hierher und glauben, dass ihnen gleich hinterm Kasernentor der weiße Kittel angezogen wird." Der Renneroder Kompanie-Chef kritisiert, dass die Broschüren "im Ausdruck zu weich" sind und "das Soldatische" nicht genug betonen.

Auch ein paar jungen Soldatinnen kommt gerade "das Soldatische" viel zu kurz. Die 23jährige Jacqueline zum Beispiel, die mit ihren 1,55 "der kleinste Mensch" in der Renneroder Kompanie ist und die "fehlende Körperkraft durch hartes Training ausgleicht", versteht nicht, warum Frauen "nur eingeschränkt" zur Bundeswehr dürfen. Für sie ist der Sanitätsdienst nur eine Notlösung: "Ich wollte Soldatin werden. Das Militärische hat mich gereizt. Das mit der Medizin interessiert mich eigentlich nicht so." Sie ist "unbedingt dafür", dass Frauen auch zur kämpfenden Truppe zugelassen werden: "Bei den Amerikanern geht's doch auch. Warum nicht bei uns?"

Die 20jährige Jana hat Arzthelferin gelernt und sich dabei "gelangweilt": "Das ist immer dasselbe." Auch sie interessiert "vor allem das Soldatsein", sie würde gerne zu den Panzergrenadieren gehen, wenn sie dürfte. Dass der "Dienst an der Waffe" nichts für Frauen sein soll, versteht sie nicht: "Wir werden hier ja auch an der Waffe ausgebildet, und ich schieße gern." Die gleichaltrige Sandra war früher Köchin und fand das auch "öde": "Ich will mein Land verteidigen."

Wenn sie die Ausbildung hinter sich haben, möchten alle drei "in Krisengebiete gehen", nach Bosnien vielleicht, "um das anzuwenden, was wir hier gelernt haben". Doch wie Krieg wirklich ist, das weiß keine von ihnen. Wie eine Schusswunde aussieht, ein von Granatsplittern halb weggerissenes Gesicht oder ein durch eine Tellermine zerfetztes Bein.

Das Unterrichtsprogramm in Rennerod ist reine Theorie, geübt wird an Modellen. "Praktisch wissen wir auch nicht, wie man tötet", sagt ein männlicher Rekrut, "das verdrängen wir doch."

Würden die Frauen im Ernstfall auf einen Menschen schießen, und ist ihnen bewusst, dass auch sie erschossen werden könnten? Die jungen Soldatinnen schweigen. Das haben sie anscheinend noch nie zuende gedacht. Übers Töten und Sterben wissen die Männer in Rennerod besser bescheid. Den meisten Frauen sei nicht klar, "wie gefährlich" auch der Sanitätsdienst ist, sagt Zugführer Feldwebel Kölschbach: "In letzter Konsequenz könnte jede nach einem Einsatz in der Kiste nach Hause transportiert werden."

Wie der erste deutsche Soldat, der nach dem Zweiten Weltkrieg "out of area" fiel. Er war ein Sanitäter und kam im Oktober 1939 in einem kambodschanischen Krankenhaus um, auf das Bomben geworfen wurden. Im Sanitätsdienst zu sterben oder in der kämpfenden Truppe - macht das für den toten Menschen einen Unterschied? In der "Kiste" sind selbst Männer und Frauen gleich.

Draußen auf den windumbrausten Höhen des viel begröhlten Westerwaldes ist es inzwischen Mittag geworden. Nach einer kurzen Pause mit Eintopf aus dem Henkelmann muss der kleine SoldatInnen-Trupp, der heute im Gelände übt, den nächsten Verwundeten bergen. Er liegt zwischen Baumstümpfen und Grasbulken auf einem Hang am Rand eines Waldes.

Ein Rekrut und eine Rekrutin sollen ihn "reinholen". Die beiden robben aus der Deckung hinaus ins offene Feld. Sofort nimmt "der Feind" sie unter Beschuss. Doch sie lassen sich nicht beirren, kriechen auf allen Vieren weiter, bis sie bei dem Verletzten sind. Sie zerren und ziehen an ihm und bekommen ihn nicht hoch. Sie schaffen es nicht, weil sie völlig fertig sind, entkräftet und ausgelaugt. Auf dem Heimweg zur Kaserne, der im Laufschritt zurückgelegt werden muss, fängt eine an zu weinen. "Ich kann nicht mehr", schluchzt sie.

Vor ein paar Tagen haben sie einen "Orientierungsmarsch" hinter sich gebracht. Mitten in der Nacht wurden sie "alarmmäßig" geweckt und mussten 30 Kilometer gehen mit 25 Kilo Gepäck. Die Frauen und Männer, die das Ziel erreichten, ohne schlapp zu machen, wurden dort von einem neuen Befehl überrascht: "Rennen Sie 3.000 Meter nach Kompass!"

Spaß hat das nicht gemacht. Weder den Soldatinnen noch den Soldaten. Und wie erst soll das im "Ernstfall" werden, wenn schon das "Üben" so fertig macht? Aber auch diese Frage stellt sich für die männlichen Soldaten nicht anders als für die weiblichen. Krieg ist wirklich die Hölle. Für alle Menschen.

Artikel teilen
 
Zur Startseite