Mission Titelverteidigung

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Bei der WM in China sorgen unsere Mädels wieder für Furore. Doch nicht nur Professionalität und Ansehen der deutschen Fußballerinnen sind gewachsen, sondern auch die Konkurrenz.

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Die Bundeskanzlerin hatte lange an ihrer ersten Neujahrsansprache gefeilt, sie wollte Themen wie Arbeitsmarkt, Wirtschaft und die anstehende Fußball-WM der Männer verknüpfen. Zuversichtlich sollte sie sein, und gleichzeitig ohne Heilsversprechen und Fanrethorik. Dann kam dieser Satz, der der erfrischend direkten Merkel so locker über die Lippen ging: „Die Frauenfußball-Nationalmannschaft ist ja schon Weltmeister, und ich sehe keinen Grund, warum Männer nicht das Gleiche leisten können wie Frauen.“ Das saß.
Mitten hinein in die deutschen Wohnzimmer drang dieser Satz, der das Thema Gleichstellung mit des Deutschen liebstem Spielzeug, dem Sport, verknüpfte und die gewohnte Perspektive schlichtweg umdrehte. Denn diesmal hieß es nicht wie üblich: Frauen, ihr könnt ebenso wie die Männer – sondern umgekehrt: Männer, nehmt euch ein Beispiel an den Frauen. Der Frauenfußball, er war endgültig angekommen in der Mitte der Gesellschaft.Als die deutschen Fußballerinnen 2003 in den USA durch ein Golden Goal in der Verlängerung gegen Schweden ihren ersten WM-Titel gewannen, war Birgit Prinz eine der prägenden Figuren und Torschützenkönigin gewesen. Jetzt, wenn Deutschland vom 10. bis 30. September bei der WM in China seinen Titel verteidigen will, führt die 29-Jährige vom 1. FFC Frankfurt die Mannschaft nicht nur als Spielführerin ins Turnier, sondern auch als eine von inzwischen vielen Frauenfußballprofis in Deutschland.
Noch 2003 waren es nur wenige (und die meisten vom Branchenführer 1. FFC Frankfurt) gewesen, die vom Fußballspielen leben konnten. Inzwischen ist der Werbemarkt rund um den Frauenfußball gewachsen, vor allem der um „unsere Weltmeisterinnen“. Vor allem, aber längst nicht nur die Nationalspielerinnen leben inzwischen ganz passabel von den Zahlungen ihrer Bundesligavereine und des DFB.
Nach dem WM-Sieg 2003 bekamen die Siegerinnen nicht nur erstmals ein eigenes Trikot mit einem goldenen Stern für ihren Titel und einen eigens gestalteten Mannschaftsbus. Seitdem haben sie auch einen eigenen Hauptsponsor (den Fruchtgummi-Hersteller Katjes), mehr und mehr öffentliche Auftritte, Fernsehspots und  Marketingverträge plus zunehmend persönliche Werbepartner.So überraschte das Bundesland Baden-Württemberg direkt nach der WM mit einem witzigen Fernsehtrailer, in dem Nationalmannschafts-Regisseurin Renate Lingor – eine gebürtige Karlsruherin – im Ballnacht-Outfit über einen schlammigen Fußballplatz dribbelte und grätschte, dass jedem Fußballfan die Spucke wegblieb.
Rund um die Olympischen Sommerspiele 2004 schickte dann der Hygieneartikel-Hersteller Always die zivil gekleidete Nationalmannschaft für eine Fernsehwerbung in eine italienische Altstadt, wo die Fußballerinnen den Ball gut gelaunt und kunstvoll quer durch die staunenden Passanten die Gassen und Torbögen spielten. Mit der olympischen Bronzemedaille in Sydney hielt die Sympathiewelle für die Nationalfrauschaft an, für die längst auch so mancher Mann schwärmt.
„Es ist erstaunlich, was sich seit dem WM-Sieg getan hat“, sagt Doris Fitschen, ehemalige Rekord-Nationalspielerin und heute in der Marketing-Abteilung für die Frauen-Nationalmannschaft zuständig, „die Frauen-Nationalmannschaft hat sich ganz klar auf dem Markt positioniert“. Ende Juni schließlich zeigten die deutschen Fußballerinnen eine gehörige Portion Selbstironie, als die Tchibo-Kette mit der Nationalmannschaft ausgerechnet Haushaltsartikel bewarb. (Schließlich ist es noch gar nicht so lange her, dass sie als Prämie für die Europameisterschaft vom DFB ein Kaffeeservice bekamen.)
Wochenlang waren die Stürmerinnen Birgit Prinz und Anja Mittag sowie Verteidigerin Annike Krahn und Mittelfeldspielerin Célia Okoyino da Mbabi nun unter dem Motto „Ordnung macht den Weltmeister“ im Fernsehen und auf Plakaten und Broschüren zu sehen, wie sie mit Hilfe von verschiedensten Ordnungsartikeln ihre Sportutensilien verstauen und DFB-Zeugwart Wolfgang Nebel beim Trikotbügeln zugucken.
Kein Wunder, dass der Zulauf an neuen weiblichen DFB-Mitgliedern anhält: 2003 waren noch rund 800.000 Fußballerinnen in Deutschland im DFB organisiert, 2007 sind von den fast 6,5 Millionen Mitgliedern bereits rund eine Million Mädchen und Frauen. Nach dem WM-Sieg und der Einführung des Mädchenfußballprogramms 2005 meldet der DFB weibliche Zuwachsraten im zweistelligen Prozentbereich. Was so manchen Fußballverein überforderte.
„Nach der WM hatten wir zwei Jahre lang einen Aufnahmestopp“, sagt etwa Christine Schmidt, Vorsitzende des Zweitligisten FFC Wacker München. „Wir hatten zunächst einfach nicht die Kapazitäten auf dem Platz und in den Kabinen. Aber das bessert sich jetzt gerade.“
Inzwischen erklärt Theo Zwanziger, DFB-Präsident und bekennender Frauenfußball-Fan, auch nicht mehr, warum er sich des öfteren für ein Frauen-Länderspiel entscheidet, anstatt bei der Männer-Nationalmannschaft im Stadion zu sein: „Ich kann nur jedem empfehlen zu so einem Spiel mal hinzugehen und diese familiäre, freundliche Atmosphäre ohne Gewalt und Pfiffe zu genießen.“ Auch am 22. August, als die deutsche Frauen-Nationalmannschaft bei einem Länderspiel gegen die Schweiz in Koblenz ihr 25-jähriges Jubiläum feierte, war Zwanziger dabei – und ließ dafür die Länderspielreise mit den Männern ins englische Wembley-Stadion sausen.
Doch trotz des Aufschwungs der Nationalmannschaft der Frauen wissen Spielerinnen und Verantwortliche, dass die Stimmung sich schnell ändern kann – sollten die sportlichen Erfolge einmal ausbleiben. Erstmals überhaupt hat der Fußball-Weltverband Fifa bei dieser WM in China Prämien für die teilnehmenden Frauen-Mannschaften ausgelobt. Sechs Millionen US-Dollar sind zu verteilen, die Siegerin erhält davon eine Million Dollar, die Finalistin 800.000, selbst ein Ausscheiden nach der Vorrunde ist noch 200.000 Dollar wert. Doch eine frühe Abreise würde Bundestrainerin Silvia Neid (siehe Porträt Seite 14) und der Mannschaft herbe Kritik bescheren.
Neun Wochen lang hat die Bundestrainerin auf die WM hingearbeitet. Insgesamt 12 Spielerinnen des Weltmeisterteams von 2003 stehen auch jetzt noch in ihrem Kader, darunter so routinierte Spielerinnen wie Kerstin Stegemann, Ariane Hingst, Kerstin Garefrekes, Sandra Minnert, Renate Lingor oder Torfrau Silke Rottenberg. Die langjährige Stammtorhüterin allerdings fährt nur als Ersatztorfrau mit nach China. Nach Rottenbergs Kreuzbandriss hat sich die langjährige Nummer Zwei, Nadine Angerer aus Potsdam, im Duell um die Position zwischen den Pfosten durchgesetzt.
Doch auch wenn die deutsche Mannschaft für China auf reichlich Erfahrung und bei jungen Spielerinnen wie Annike Krahn, Anja Mittag oder Simone Laudehr auf viel Potenzial hoffen kann: Auch bei der internationalen Konkurrenz hat sich in der Zwischenzeit viel getan. Zur verbesserten körperlichen Physis der Mannschaften sind taktisches Wissen und spielerische Fertigkeiten gekommen.
Argentinien, gegen das Deutschland am 10. September in Shanghai die WM eröffnet, gilt da noch als leichtester Gegner in der Vorrundengruppe mit England und Japan, die der amtierende Weltmeister Deutschland dennoch besiegen können sollte.
Im Viertelfinale allerdings wartet auf Neids Fußballerinnen gleich ein Brocken aus der schwersten Gruppe des Turniers: Die Titelanwärterinnen aus den USA, Geheimfavorit Nordkorea oder der WM-Zweite von 2003, Schweden, werden vor Nigeria im Viertelfinale als Gegner erwartet. Schaffen unsere Mädels auch das, erwarten sie hochkarätigen Begegnungen mit dem olympischen Silbermedaillengewinner Brasilien, Gastgeber China oder gegen das wieder erstarkte Norwegen.
„Es wäre arrogant zu denken, wir kommen da einfach so durch. Das wird ein schweres Turnier, aber wir sind gut gerüstet“, warnt Bundestrainerin Silvia Neid, die vom DFB schon zu Jahresbeginn auf dem offiziellen Mannschaftsheft mitgeteilt bekam, was von der Mannschaft erwartet wird: „Projekt Titelverteidigung“ stand da auf dem Deckblatt. Der Druck auf die amtierenden Welt- und Europameisterinnen ist also enorm.
Trainerin Neid hat das Turnier deshalb in vier Etappenziele aufgeteilt: Zuerst der Gruppensieg; danach ein gutes Viertelfinale und damit hoffentlich die Qualifikation für Olympia 2008, für das sich aus Europa nur die drei besten europäischen Mannschaften der WM qualifizieren. Erst dann ginge es mit dem Einzug ins Finale um die Titelverteidigung. „Als amtierender Weltmeister müssen wir uns das zum Ziel setzen“, sagt Neid.
Die Bundeskanzlerin wird die Daumen drücken. Vorm Fernseher. Bei der nächsten Frauenfußball-WM ist sie dann sicher wieder persönlich im Stadion dabei: Sie macht sich gerade stark dafür, dass die nächste Frauenfußball-WM 2011 in Deutschland ausgetragen wird.
Kathrin Steinbichler, EMMA 5/2007

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