Die Überpapis
Irgendwann durfte man bei Tobias nicht mehr klingeln. Jedenfalls nicht nach 19 Uhr. Oder zwischen zwölf und zwei. "Musst du verstehen", flüsterte Tobias, obwohl wir in einem ziemlich lauten Straßencafé saßen, "der Kleine braucht seinen Schlaf. Der wacht ja schon von meinem Husten auf." Tobias hustete und blickte sich erschrocken um. Ein Reflex. Denn David – auf diesen Namen hatte Tobias sich mit seiner Freundin nach drei Beziehungskrisen und einem Besuch bei einer Wahrsagerin geeinigt –, lag zwei Häuser weiter in seiner Babyliege.
Zum ersten Mal seit ewig hatte sich Tobias abends vor die Tür gewagt und seine Freundin Annett mit dem Kleinen allein gelassen. Wahrscheinlich schlief der längst. "Hoffentlich", brummte Tobias. "Annett bringt nach ihrem Job immer so einen Energieschub rein, das macht den Kleinen ganz unruhig." Ob er mal kurz eine SMS an Annett schreiben dürfte? Nur ein paar Tipps für die Baby-Pflege. Es war die vierte heute Abend. "Ich habe sonst keine Ruhe."
Plötzlich drang ein knarzendes Geräusch aus Tobias' Umhängetasche. Tatsächlich. Mein Freund hatte zu unserem ersten Treffen seit Davids Geburt das Babyfon mitgenommen. Mit viel Fantasie hörte man ein leises Wimmern. "Siehst du!", schimpfte Tobias und sprang auf. "Ich muss sofort hoch. Machst du das mit dem Geld?"
Männer können alles besser: Kochen, Auto fahren, Firmen gründen, Komponieren. Und wenn man sie lässt, sind sie natürlich auch die besseren Mütter. In allen Zeitschriften begegnen einem heute von sich berauschte Väter, die ihre Kinder in die Kamera halten; Männer in Elternzeit, die sich ein paar Wochen lang "den Luxus gönnen", wie es einer von ihnen im Spiegel beschrieb. Spätestens mit der Einführung des Elterngeldes erleben wir die Geburt des Überpapis, der seine innere Glucke entdeckt und den Frauen zeigt, wie man das so macht mit den Kindern.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Jeder Vater, der Elternzeit nimmt, ist erst mal ein Gewinn. So viele sind’s ja auch noch nicht. Doch unter den "neuen Vätern", die frau sich herbeisehnt, seit es Kinder gibt, finden sich immer öfter Exemplare, die ihre Vaterschaft wie ein Erweckungserlebnis zelebrieren. Das klassische Kompensationsprogramm, das man bisher nur von Übermuttis kannte: Wo man sich nicht mehr im Job austoben kann, fließt die geballte Energie in die Arbeit am Kind.
Der Überpapi existiert in den beiden Grundmodellen "Flauschi" und "Roadster". Modell eins, den Flauschi, erkennt man am Acht-Tagebart, an den Essensresten auf dem Pullover (meistens seine eigenen) und den geröteten Augen. Nicht dass Flauschi nicht ausschlafen könnte – vor neun Uhr ist Mami dran –, doch seit er sich tagsüber um das Baby kümmert, ist Flauschi echt geschafft. Immer ist was: Füttern, Ausziehen, Anziehen, Windeln wechseln. Am liebsten würde Flauschi ständig kuscheln, aber die Kleinen zappeln immer so und krabbeln weg. Dabei ist väterliche Nähe soooo wichtig, das hat er in über zwanzig Büchern nachgelesen. "Bringt zehn IQ-Punkte mehr!" Überhaupt sind die Flauschis wahre Plaudertaschen, wenn es um ihre Kinder geht. Nichts bleibt unerwähnt: Trinktechniken ("Der macht die Mutti echt leer.") oder Verdauung ("Rumms! Zwei Pfund. Ganz der Papa.").
Die Frauen der Flauschis sind verzweifelt. Ständig mahnt Flauschi, dass sie das Kind "falsch halten" oder rennt wortlos in die Küche, um Mandelmus zu holen, das sie mal wieder nicht untergerührt hat. Irgendwie haben sich ihre Männer verändert. "Ich kriege meine Tage – er hat Bauchschmerzen. Ich stille – er kriegt Titten. Glaubst du, man kann seine Mama-Gene an einen Kerl übertragen wie eine Krankheit?", hat mich Tobias’ Freundin Annett mal gefragt.
Sie arbeitet als Grafikerin bei einer Werbeagentur. Abends wird es öfter mal spät. Das schlechte Gewissen lastet auf ihr, aber da Flauschi, sorry, Tobias, mit seinem Studium immer noch nicht durch ist, bleibt ihr nichts anderes übrig. "Ich finde es ja ganz gut, dass er so gefühlvoll ist", erzählt sie. Dass Tobias bei der Geburt weinend zusammenbrach und von der Hebamme rausgeschickt werden musste, hat ihre Liebe allerdings ein wenig angekratzt. Und während sie durch Job und Haushalt ("Putzen oder Kochen ist nicht so sein Ding") mittlerweile weniger wiegt als vor der Schwangerschaft, haben sich Tobias einst so markante Wagenknochen längst hinter kleinen Hamsterbäckchen versteckt. Wann sie zum letzten Mal Sex hatten, weiß sie nicht mehr. Tobias möchte nicht, dass der Kleine wach wird und er ihm alles erklären muss. "Was will er dem da erklären? David ist zehn Monate alt?!"
Dass sie so fleischig werden wie die Flauschis, kann dem Überpapi Modell "Roadster" nicht passieren. Jeden Morgen läuft er in seinen Radlerhosen im Park und schiebt den Babywagen vor sich her. Zum Krafttraining im Fitness-Studio nimmt er das Babykörbchen einfach mit. "Die Weiber", weiß er, "stehen drauf".
Was dem Roadster an Einfühlung mangelt, macht er durch akribische Vorbereitung wett. Schließlich hat ihn nur eine Laune der Natur von der Schwangerschaft ausgeschlossen ("Man kann nicht alles selber machen"). Schon zum "Schnuppertermin" auf der Entbindungsstation brachte er einen Stapel Papier voller Daten und Fakten zu PDA und Kaiserschnitt mit ("Aus dem Internet"). Mit misstrauisch verschränkten Armen ließ er den Einführungs-Vortrag der ÄrztInnen über sich ergehen, und fragte fachmännisch nach der "Sectio-Rate". Kaiserschnitt, klärte er die Umsitzenden auf, machen die Ärzte ja nur, weil "es dann mehr Kohle gibt".
Gern schildern Roadster den Geburtsvorgang in allen Details. Schließlich war es das Blutigste, was sie seit dem Verlust ihrer Milchzähne in der Grundschule erlebt haben. Wie früher der Großpapa von Stalingrad erzählen sie von Dammrissen oder Mutterkuchenresten, die auf den OP-Saalboden flocken, und beschreiben den "furchtbaren Schmerz". Als hätten sie ihn selbst erlebt.
Die limitierte "Bugaboo"-Sonderanfertigung für 1.500 Euro ist das Mindeste, mit der sich ein Roadster-Papi blicken lässt. Über sämtliches "Babyzubehör" informiert er sich bei Stiftung Warentest. Ich habe mal einen getroffen, der seinen Sohn auf dem Spielplatz nur mit Helm herumturnen ließ, weil das Klettergerüst "technisch nicht korrekt abgenommen" worden sei.
Da der Roadster-Papi eindrucksvolles genetisches Material mitbringt, zeichnet sich das Genie ihrer Kinder bereits bei ihren ersten Lebensäußerungen ab. "Er kann schon sprechen", jubeln sie, obwohl der Kleine nur vergessen hat, beim Jaulen den Brei herunterzuschlucken. "Grmmmpf!" Wo wir ein ziemlich normales Baby herumtorkeln sehen, erkennt Roadster "außergewöhnliches Bewegungstalent": "Ist schon besser, wenn so ein Kind eher männlich geprägt aufwächst."
Und natürlich weiß Überpapi, Modell Roadster, später auch besser über die Fähigkeiten seiner Kinder bescheid als jeder Lehrer. Grundschullehrerinnen erleben es immer öfter, dass Roadster mit dem Rechtsanwalt droht, wenn sie Sohnemann die Gymnasialempfehlung verweigern, weil der mit neun Jahren nicht mal seinen Namen richtig schreiben kann.
Genug gelästert. Meine Frau hat heute frei und verschwindet grad mit unserer Tochter auf den Spielplatz. Lieber noch mal gucken. Bestimmt zieht sie sie wieder zu warm an.
Fred Grimm hat eine sechsjährige Tochter. Seine Frau arbeitet Vollzeit. Er schreibt, wenn die Kleine in der Schule ist.