Die Golferin schlägt wie ein Mann
Sie gilt als der Panther auf dem Golfplatz und die Queen bei den Werbeeinnahmen - dabei hat sie noch nie ein Turnier gewonnen.
Schauplatz Ko Olina, ein trockener Golfplatz mit bräunlichem Gras, 25 Meilen entfernt von Honolulu. Diese staubige Einöde ist ihr Zentrum, der Ursprung des märchenhaften Erfolges. Nachmittags Punkt 14.30 Uhr, wenn die Schule von Punahou zu Ende ist, sieht man Michelle Wie hierhin mit Vater Byung-Wook (kurz BJ) und Mutter Hyun Kyong (kurz Bo Wie) zu den täglichen Trainingsstunden eilen. Das war schon immer so, seit das südkoreanische Einwandererpaar – selbst beide erstklassige Golfer – vor zwölf Jahren beschlossen hat, ihre vierjährige Tochter zum Golfprofi zu machen.
"Tennis oder Golf – das schien uns für Michelle passend", sagt Vater BJ, Professor an der Universität von Honolulu. Weil sich die Tochter auf dem Tennisplatz als zu lauffaul erwies, konzentrierte man sich früh aufs sprintfreie Golfen. An dem täglichen Trainingsritual hat sich seit zwölf Jahren nichts geändert – allein der Status der Tochter ist inzwischen ein anderer. Michelle Wie ist ein Superstar. Man sagt, sie werde die Welt des Golfsports verändern.
Tritt die 16-Jährige an bei einem Turnier, folgen ihr die Fans zu Tausenden. Da steht sie dann, meist in kurzen, bunten Röckchen, engen T-Shirts, baumelnden Ohrringen. Ganz der amerikanische Teenager. Doch mit dem ersten Golfschwung wird eine Athletin aus ihr, wie sie das Damengolf bisher nicht kannte. Der Schwungradius der hoch gewachsenen Michelle Wie, die mit ihren 1,83 Meter Körpergröße die Konkurrenz meist überragt, ist gewaltig. Den Ball drischt sie mit ungeheurer Wucht. Schier endlos fliegt die weiße Kugel, weiter als bei vielen männlichen Profis.
"Sie ist wie ein Panther. Sie versprüht Power und Athletik." Das sagt David Leadbetter, die Nummer 1 unter den Golftrainern dieser Welt. "Sie hält den Schläger, als wäre sie mit ihm verschmolzen." Und: "Wenn Sie Probleme hat, dann haut sie erst richtig drauf."
Anders als ihr männlicher Gegenpart Tiger Woods zu Amateurzeiten hat sie – trotz zahlreicher Spitzenplatzierungen – übrigens noch nie ein Turnier gewonnen. Dafür hat sie wie er die Rolle des Grenzgängers übernommen: Wo der Superstar Woods die Golfwelt an ein farbiges Gesicht gewöhnte, streitet Superstar Wie den Geschlechterkampf. Wie selbstverständlich steht sie neben den Männern am Abschlag, die Augen blitzen, die Züge sind hart konzentriert. Und dann sagt sie Sätze wie: "Ich mag keine Begrenzungen." Oder: "Mein Ziel ist es, überall auf der Welt jeweils den besten Wettkampf zu bestreiten. Manchmal werden das Frauenturniere sein, manchmal Veranstaltungen, die eigentlich für Männer gedacht sind."
Wer solche Äußerungen für Überspanntheiten eines Teenagers gehalten hat, sieht sich seit Herbst 2005 eines Besseren belehrt. Da wechselte die Hawaiianerin ins Profilager. Und die Saison 2006 beweist, dass Wie längst zum globalen Star geworden ist: 14 Turniere bestreitet sie in diesem Jahr, sowohl gegen Frauen wie Männer. Im September spielt sie ein Herrenturnier in der Schweiz. "Ich finde das wundervoll. Das ist es, was ich immer wollte."
Angst vor dem Wettbewerb mit den Männern kennt Michelle Wie nicht, von klein auf träumte sie den Traum, ein Turnier der Herren zu gewinnen. Zuletzt hat sie Anfang Mai bei der SK Tele¬kom Open in Korea die Qualifikation für die zwei Endrunden eines Herrenturniers geschafft – das ist in der Geschichte des Damengolfs vor ihr nur einer Frau gelungen. "Wenn ich mit den Männern spiele, weiß ich oft nicht genau, was passiert", verriet sie. "Ich bin dann in keiner sehr gemütlichen Lage. Aber das macht mich am Ende zu einer besseren Spielerin."
Die Reaktionen der Konkurrenz auf Wies Suche nach dem geschlechterübergreifenden Wettkampf sind gemischt. Ein Großteil der Golfdamen hält sich bedeckt. Die Golfherren beginnen, ihr anfängliches Unbehagen angesichts der weiblichen Konkurrenz zu verlieren – vor allem deshalb, weil sie festgestellt haben, dass Michelle Wies Auftreten für reichlich Publicity sorgt.
"Alle Leute sind von ihr fasziniert. Sie wollen sehen, was sie erreichen kann", sagt Turnierdirektor Clair Peterson von der John Deere Classic, wo Wie im vergangenen Jahr antrat. 10.000 Fans verfolgten die Runde des Mädchens, die Turniereinnahmen stiegen brutto um 40 Prozent auf 2,8 Millionen Dollar, die TV-Zuschauerzahl lag bei zwei Millionen, 54 Prozent mehr als 2004. "Das ist riesig. Das ist ein Tiger-Rating", triumphierte Kevin Landy , zuständiger TV-Produzent des Fernsehkanal USA Network.
Das Interesse der Öffentlichkeit hat aus der jungen Golferin längst eine Marke gemacht. Bei ihrem Wechsel ins Profilager standen Firmen wie Sony und Nike mit Verträgen in Höhe von zehn Millionen Dollar pro Jahr parat, mehr als Superstar Tiger Woods bei gleicher Gelegenheit kassierte. Inzwischen hat sich die William Morris Agency, ansonsten auf Hollywoodstars spezialisiert, der Vermarktung der jungen Dame angenommen. "Ein Naturtalent vor der Kamera", schwärmt man dort, "für den roten Teppich wie gemacht." Es hilft, dass die 16-Jährige mit dem tiefschwarzen, langen Haar und der schlanken, athletischen Figur auch optisch ein Hingucker ist.
Grenzen, nein Grenzen gibt es für diese Dame kaum. Und das, obwohl das Märchen der Michelle Wie doch gerade erst begonnen hat.
Petra Himmel, EMMA 5/2006