Tödliche Lebensschützer

Dr. Slepian starb vor den Augen seiner Familie.
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Der Anruf reißt den New Yorker Gynäkologen Richard Hausknecht, 68, mitten in der Nacht aus dem Schlaf. Der Doktor hört die Stimme eines weinenden Babys. Die Tonbandaufnahme wird jäh unterbrochen, ein Unbekannter schreit in die Muschel: "Du Mörder, du Babykiller, jetzt bringen wir dich um!"

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Für Hausknecht ist der Kampf ums eigene Überleben zu einem 24-Stunden- Kraftakt geworden. In seiner 20jährigen Laufbahn hat der Gynäkologe, der Abtreibungen vornimmt, schon viele anonyme Morddrohungen erhalten. Gewöhnen kann er sich an sie nicht. Denn: Er muß tatsächlich jeden Tag damit rechnen, daß zu allem entschlossene Abtreibungsgegner ihre Drohung wahrmachen.

"Keine Pistole, kein Sicherheitszaun, keine Stahltür schützen mich vor diesen Fanatikern", weiß Hausknecht. Auch nicht die kugelsichere Weste, die ihm seine erwachsene Tochter vor drei Jahren geschenkt hat. "Wenn die einen umbringen wollen, dann schaffen die das auch. Barnett Slepian haben die schließlich auch gekriegt", fürchtet Hausknecht, Leiter der New Yorker Organisation für geplante Elternschaft.

Die tödliche Kugel eines Heckenschützen traf Dr. Barnett Slepian am 23. Oktober in seinem Haus in Amherst, einem Vorort von Buffalo im Norden des Staates New York. Der durch das Küchenfenster gefeuerte Schuß tötete den Arzt vor den Augen seiner Familie.

Slepian ist seit 1993 das bislang letzte von sieben Mordopfern militanter Anhänger der Pro-Life-Bewegung. Die Nationale Gesellschaft für Schwangerschaftsabbruch (National Abortion Federation) registrierte 1997 landesweit 14 Bomben- und Brandanschläge auf Kliniken, elf Morddrohungen und 2.829 Drohanrufe sowie Haßbriefe.

"Der Kampf nimmt an Härte zu", meint Patricia Baird-Windle, 64, die in Florida zwei Abtreibungskliniken führt. Seit Jahrzehnten schon steht sie auf der Abschußliste von aggressiven Abtreibungsgegnern. Obwohl der Schwangerschaftsabbruch in den USA bereits vor 25 Jahren legalisiert wurde, sind die Kliniken von Baird-Windle immer wieder Ziel von Brand- und Bombenanschlägen. Die Belastung für Personal und Patientinnen ist so immens, daß in den vergangenen zehn Jahren mehr als ein Dutzend Ärzte die Kliniken verlassen haben.

Gegen mehrere Abtreibungsgegner hat Baird-Windle Klagen angestrengt. Sie scheue sich auch nicht, vor das Oberste Bundesgericht in Washington zu ziehen, betont sie. Schutz vor der Militanz ihrer Gegner darf sie von den örtlichen Sicherheitskräften allerdings nicht erwarten. "Die kommen doch erst, wenn es zu spät ist."

Tatsächlich hatte Lynne Slepian, die Frau von Barnett Slepian, mehrere Tage vor dem Attentat die Polizei von Amherst um Schutz gebeten. Allerdings umsonst.

"Nicht einmal die Regierung wagt es, gegen die einflußreichen Abtreibungsgegner vorzugehen", beschwert sich Hausknecht, der ebenfalls bis heute vergebens auf den angeforderten Polizeischutz wartet. Dabei müßten die Strafverfolgungsbehörden wissen, daß Gefahr im Verzug ist: Die Pro-Life-Radikalen diffamieren via Internet.

"Die Abtreibungsgegner haben eine Datenbank angelegt, in der jede Person registriert ist, die in den vergangenen sieben Jahren meine Praxen besucht und wieder verlassen hat. Die gesammelten Daten erscheinen als Steckbrief unter www.christiangallery.com im Internet", berichtet Baird-Windle.

Betreiber der Web-Seite ist Neal Horsley, 54, Computerberater im Bundesstaat Georgia. Er beschimpft Frauenärzte, Politiker und Prominente, die das Recht auf Abtreibung verteidigen.

Er schimpft sie "Babyschlächter" und vergleicht sie mit Kriegsverbrechern im Zweiten Weltkrieg. Die "Babyschlächter" sollen, so Horsley, endlich vor ein Abtreibungstribunal gestellt werden. "Menschen, die ungerechtfertigt Menschenleben töten, müssen die Konsequenzen tragen können, egal, was das Oberste Bundesgericht und die Regierung sagen", verkündet Horsley und fordert damit auch Justizministerin Janet Reno heraus. Die läßt inzwischen Staatsanwälte und FBI-Agenten gegen die Abtreibungsgegner ermitteln.

Das Reno-Fahndungsteam hält Neal Horsley nicht davon ab, weiter zu agitieren. "Unser Ziel ist es, jede Person hier namentlich zu erwähnen, die an dem Geschäft des Babyschlachtens beteiligt ist. Schicken Sie uns Ihre Beweise", fordert er die Leser seiner Web-Seite in einem Appell zur Kooperation auf.

Auch Emily Lyons steht auf Horsleys Abschußliste. Der Vermerk zu ihrem Namen: "Verwundet". Die 41jährige Krankenschwester wurde im Januar bei einem Bombenanschlag auf eine Abtreibungsklinik in Birmingham (Bundesstaat Alabama) lebensgefährlich verletzt. Obwohl Emily Lyons, Mutter von zwei Mädchen, wegen bleibender Gesundheitsschäden nie wieder richtig lesen und schreiben und auch nie wieder ihren Beruf ausüben kann, läßt sie sich nicht einschüchtern. Mit Vorlesungen auf Pro-Choice-Veranstaltungen engagiert sie sich heute stärker als je zuvor für die "freie Wahl" der Frauen.

"Vor dem Attentat hatte ich einen Job. Jetzt ist dieser Job zu meiner Lebensaufgabe geworden. Wer mich daran hindern will, muß mich umbringen."

Die Autorin ist die USA-Korrespondentin von Focus, wo dieser Text zuerst erschien.

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