Die Welt der Amélie Mauresmo
Warum die Spitzen-Tennisspielerin vier Jahre lang weg vom Fenster war – und wie die homosexuelle Tochter ihre homophoben Eltern überlebt.
Dass es dieses kräftige Mädchen im Tennis einmal weit bringen würde, war schon vor acht Jahren klar. Ungewöhnlich aggressiv prügelte die 16-Jährige auf die Filzbälle ein, gewann die Turniere von Paris und Wimbledon und kletterte auf Platz eins der Junioren-Weltrangliste. Aber erst jetzt ist Amélie Mauresmo auch bei den Profis an der Spitze angekommen. Zur Zeit belegt sie hinter Lindsay Davenport Position zwei der Bestenliste, im vergangenen Herbst war sie kurzeitig sogar die Nummer eins der Welt. Das, was ihren Aufstieg an die Weltspitze so lange verzögerte, nennt die 25-jährige Französin heute freimütig ihr "emotionales Trauma". Denn sie ist lesbisch und hatte die Homophobie in der Tennisszene gnadenlos unterschätzt.
Aufgewachsen ist Amélie Mauresmo in Bornel, einer Kleinstadt nördlich von Paris. Sie war noch nicht vier, als sie vor dem Fernseher Yannick Noahs Triumph bei den French Open verfolgte und mit dem Tennisspielen begann. Sie war begabt, so begabt, dass sie bald nur noch gegen die Jungs spielte und bereits mit acht vom französischen Staat finanziell gefördert wurde. Im Gegensatz zu vielen anderen berühmten Tennisspielerinnen war Amélie nie eine, die für Daddy anschaffen gehen musste. Der Vater, ein Ingenieur und Präsident des örtlichen Rotary Clubs, zeigte sich nie auf dem Tennisplatz. Auch die Mutter interessierte sich nur mäßig für das Hobby der Tochter.
Es war ein genuiner Ehrgeiz, der Amélie antrieb und dazu brachte, bereits mit elf von zu Hause wegzugehen, auf ein Tennisinternat in Südfrankreich. Sie hatte sich ganz eigenständig für den steinigen Weg zur Berufssportlerin entschieden – und lange lief alles nach Plan. Nach den Erfolgen bei den Junioren, gelang Mauresmo 1998 mühelos der Einstieg ins große Tennisgeschäft. Obwohl sie manchmal fast zu ungestüm ans Netz hetzte wie ein "Porsche, der von einer Fahrschülerin gesteuert wird" (Ex-Weltklassespielerin Françoise Durr), gewann sie schon in ihrem zweiten Profijahr ihr erstes Turnier und spielte sich in die Top-Ten der Weltrangliste. Zum Leidwesen mancher Journalisten. Sie verhöhnten das 1,75 Meter große und 69 Kilo schwere Kraftbündel als "unfeminin" oder verdächtigten sie des Dopings.
Doch bald darauf sollte Amélie Mauresmo das Lachen vergehen. Im Jahr 1999 bekannte sie sich zu ihrer Liebe zu der Nachtklub-Besitzerin Silvie Bourdon und posierte küssend mit ihr für die Fotografen der Boulevardpresse. Mit ihrer Liebe zu Frauen war sie nicht die Erste, aber anders als Billie Jean King oder Martina Navratilova, die von ihren Ex-Liebhaberinnen geoutet worden waren, sagte sie es aus freien Stücken. Ein schlechtes Timing, hatten doch gerade die Ära Kurnikowa und die Vermarktung des Frauentennis als "Castingshow für Bond-Girls" begonnen. Mauresmo wurde endgültig die Rolle des unfemininen Monsters zuteil. Martina Hingis bezeichnete die Kollegin als "halben Mann", und in der französischen Satiresendung 'Les Guignols' wurde Amélie Mauresmo als Puppe mit Schwarzenegger-Körper gezeigt, während eine Stimme aus dem Off tönte: "Erstmals in der französischen Sportgeschichte behauptet ein Mann, lesbisch zu sein."
Mauresmos Ex-Trainer Warwick Bashford schließlich witterte gar eine lesbische Verschwörung und faselte etwas von einer mächtigen Frauengruppe, die erst das französische und dann das Welttennis beherrschen wolle. Mauresmo sei, so kolportierte er, einer Gehirnwäsche unterzogen und zum Coming-Out gedrängt worden. Diese Töne sind nicht neu in der traditionell homophoben Tennisszene. Neu war, dass eine Spielerin so hart vorgeführt wurde.
Doch das Mitleid mit Mauresmo hielt sich in Grenzen. Ihre Berufskolleginnen hielten sich mit Solidaritätskundgebungen vornehm zurück. Der Internationale Tennisverband forderte sie auf, nicht mehr in aller Öffentlichkeit herumzuknutschen, und ihre gutbürgerliche Familie brach den Kontakt zu ihr ab. "Ich weiß nicht, ob ich je wieder mit ihr reden kann", ließ sich die Oma zitieren.
Mauresmo begann, sich betont feminin zu kleiden. Und sie schwieg von nun an über ihre Homosexualität. Ihr Ego war von Stund an so angeknackst, dass sie gegen die Besten der Welt kaum mehr gewann. Erst vier Jahre später, 2003, als sie bereits als ewiges Talent abgestempelt wurde, schien sich Mauresmo wieder gefangen zu haben. In einem Interview mit Paris Match sprach sie erstmals über das Trauma, ein homosexuelles Kind homophober Eltern zu sein. Sie ließ sich mit nacktem Oberkörper ablichten und gestand: "Ich habe Komplexe entwickelt, weil ich mich plötzlich für meinen Körper schämte. Heute weiß ich, dass ich hübsch bin."
Seither spielt Amélie wieder so wie damals mit 16; unerschrocken, aggressiv und erfolgreich. Und an ihrer Liebe zu Frauen stört sich scheinbar keiner mehr. Weder die Politiker – Jacques Chirac ehrte sie kürzlich mit einem Empfang – noch die Sponsoren, die Mauresmo treu blieben (Billie Jean King hatte nach ihrem Coming-out 1981 innerhalb von 24 Stunden sämtliche Sponsoren verloren, Martina Navratilova entgingen deswegen rund zwölf Millionen Dollar).
Hat der "L-Faktor" damit endgültig ausgedient? Nicht wirklich. Im vergangenen Oktober ging Amélie Mauresmo beim wichtigsten europäischen Hallenturnier, den Swisscom Challenge in Zürich, an den Start. Doch das Plakat, das für diesen Event warb, zeigte nicht die damals erfolgreichste Tennisspielerin der Welt, sondern die Nummer sieben: Maria Scharapowa, das neue Sexsymbol der Szene.
Michael Krobath, EMMA 3/2005
Porträts & Interviews