Traumhaft

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Wenn Männer Mütter wären, dann würde das alles ganz anders gewuppt – behauptet Nürnberger, der Ehemann von Petra Gerster.

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Männer wie ich haben ja des Öfteren so Tagträume, in denen sie sich beispielsweise ausmalen, was eigentlich passieren würde, wenn sich über Nacht eine biologische Revolution ereignete und plötzlich die Männer die Kinder bekämen. Ich weiß es. Ich hab’s nämlich geträumt: Das Problem der Vereinbarkeit von Familie und Beruf würde innerhalb einer einzigen Legislaturperiode komplett gelöst werden.

Der schwangere Vorstandsvorsitzende von Daimler oder BMW würde bis eine Woche vor der Geburt seine Geschäfte wahrnehmen, eine Woche später gebären und drei Tage später mit einer bunten Limousine von seiner Fahrerin abgeholt werden. Im Auto säße eine bestens ausgebildete Erzieherin, welche das Baby morgens in Empfang nähme und mit in die Vorstandsetage von Daimler oder BMW führe. Die Limousine wäre zwischenzeitlich umgebaut worden zu einem babygerechten Auto mit Wickelkommode, Windelfach, Abfalleimer, Cre­me, Öl und allem, was man als Baby halt so braucht.

Am Vormittag peitschte der Vorstandsvorsitzende in der Hälfte der sonst üblichen Zeit die erste Morgenkonferenz durch, danach zöge er sich zusammen mit einigen anderen Vorstandsmitgliedern, die auch frisch geboren haben, in einen Raum zurück, um dort sein Baby zu stillen. Dort, in der Intimität der Stillgruppe, würden dann die wesent­lichen Personalentscheidungen gefällt. Männer mit Kind hätten bei diesen Entscheidungen immer die besseren Karten.

Das Betriebsklima wür­de sich enorm verbessern, denn Männer mit Kind würden sich nicht mehr so wichtig nehmen wie Männer ohne Kind. Männer mit Kind würden plötzlich merken, dass es ein Leben außerhalb des Jobs gibt, dass die Welt größer und reicher ist als das Unternehmen, das sie bisher für ihre Welt gehalten haben.

Sie hätten nicht mehr so viel Zeit und auch nicht mehr so viel Lust, in abendlichen Rotweinrunden zu kungeln und zu intrigieren. Die im Unternehmen anwesenden Kinder würden die Männer sanfter stimmen und vielleicht auch jene überflüssigen Konferenzen, Tagungen und Symposien als das erscheinen lassen, was sie sind: Veranstaltungen, deren hauptsächlicher und geheimer Zweck darin besteht, Seilschaften zu knüpfen und einander mächtig zu imponieren.

Ein paar Monate später käme das Baby in eine betriebliche Krabbelgruppe, nach drei Jahren in den betrieblichen Kindergarten, von wo aus die Kinder ihre Mamas und Papas regelmäßig an ihren Arbeitsplätzen besuchen dürfen. In diesem Kindergarten wüchse es zweisprachig auf, und Ausländerkinder lernten dort ­automatisch Deutsch. Das Unternehmen sorgte dafür, dass ausreichend qualifiziertes Personal für diese Kinderbetreuung zur Verfügung steht und den Kindern alles geboten wird, was für eine optimale frühkindliche Bildung nötig ist. Sportstätten, Hallenbäder, Konzertsäle, Musikinstrumente, Lehrer, Therapeuten, Psychologen – das alles wäre da.

Das Unternehmen verspräche auch jenen Eltern eine sichere Rückkehr an ihren Arbeitsplatz, die sich für die ersten drei Jahre ihres Kindes lieber eine Auszeit nähmen, als sie in die betriebliche Krabbelgruppe zu stecken. Das Unternehmen hielte intensiv Kontakt zu diesen Mitarbeitern und würde sie im dritten Jahr durch Fortbildungskurse so weit vorbereiten, dass der Wiedereinstieg keine Probleme verursacht.

Natürlich würde die Sache auch begrifflich unheimlich aufgepeppt. Niemand spräche mehr von „Nur-Hausmann“ oder „Hausmann und Vater“, wenn sich Männer massenhaft ganz auf die anspruchsvollen Aufgaben in Haushalt und Erziehung konzentrierten. Vielleicht würde man sie als „Wir-AG“ bezeichnen oder als „Zukunfts-Agentur“.

Ich persönlich würde ja eher den ­Begriff „Zivi“ auf mich und meine Tätigkeit anwenden, denn das genau leiste ich: Zivildienst, Dienst an der Zivilisation. ­Politiker könnte das Wort auf die durchaus glorreiche Idee bringen, Zivis in jeden Haushalt zu schicken, damit sie dort putzen, kochen, waschen, bügeln und gelegentlich auch mal einen duftenden Pflaumenkuchen backen.

In ehrgeizigen Unternehmenskulturen würde man die vielfältigen Anforderungen an Hausmänner und Väter auf mehrere Köpfe verteilen und sich dafür phantasievolle Bezeichnungen ausdenken. Bei Bertelsmann hieße ein Hausmann vermutlich „Executive Coordinator of Family Synergies“, und der Vater, der einen besonderen Ehrgeiz für eine kreative Küche entwickelt, wäre so etwas wie ein „Chief Creative Officer“. Es gäbe wahrscheinlich auch Kurse in Hauswirtschaft, die dann aber „Family Management and Controlling“ hießen und in die auch die Zivis geschickt würden. Davon würden sie dann später, wenn sie selber eine Familie gründen, ein Leben lang profitieren. Und deren Kinder auch.

Es gäbe betriebliche Kinderfeste, Sportfeste, Sommerfeste, es gäbe sorgfältig ausgewählte Erzieher, Lehrer und Psychologen, die mit den Kindern in den Abenteuer-Urlaub führen, die sich um Behinderte, Lernschwache, Hochbegabte und sonst wie auffällige Kinder kümmerten.

Nach sechs Jahren käme ein Teil der Kinder in eine Ganztagsschule in der Nähe des Unternehmens, ein zweiter Teil ginge in eine Halbtagsgrundschule und verbrächte die Nachmittage wieder in der Nähe des elterlichen Arbeitsplatzes in einer betrieblichen Kinder-Nachmittags- und Hausaufgabenbetreuung. Die Unternehmen würden Patenschaften für solche Schulen übernehmen, an denen besonders viele Kinder ihrer Angestellten unterrichtet und erzogen werden.

Durch die enge Verzahnung der Unternehmen mit Krabbelgruppen, Kindergärten, Schulen, Kinderbetreuung stiege die personelle Flexibilität. Angestellte des Unternehmens könnten ein paar Jahre lang in der Kinderbetreuung oder an Schulen arbeiten, Lehrer und Erzieher könnten ins Unternehmen wechseln.

Für die Erziehung eines Kindes braucht es ein ganzes Dorf, sagt ein afrikanisches Sprichwort. Diese bei uns kaputtgegangenen Dorfstrukturen entstünden neu, wenn rund ums Unternehmen Wohnungen für die Angestellten gebaut, Vereine gegründet, Kneipen und Läden angesiedelt würden. Jeder Mitarbeiter hätte nicht nur das Unternehmen im Blick, sondern das Ganze, in dem das Unternehmen eingebettet ist. Die Zahl der persönlichen Bekanntschaften stiege. Die Anonymität aus den Städten verschwände, das Leben kehrte in die Städte zurück.

Der Vorstandsvorsitzende würde darauf achten, dass Familienväter genügend freie Zeit für ihre Familien haben, würde diese möglichst selten versetzen und dafür sorgen, dass den Vätern aus ihrer eingeschränkten Mobilität und Flexibilität keine beruflichen Nachteile entstehen.

Die Politiker würden dafür sorgen, dass Familien sich nicht mehr in Hasenställe zwängen müssen, sondern geräumige Wohnungen zu bezahlbaren Preisen bekämen, Bürgermeister bauten kindgerechte Stadtteile, durch die man zu Fuß schlendern könnte, aus den Supermärkten verschwände die Quengelware, das Fernsehen brächte nur noch pädagogisch wertvolle Sendungen ohne Werbung. Kinos, Theater, Restaurants, Kaufhäuser nähmen einem für die Zeit der Vorstellung, des ­Essens oder des Einkaufens die Kinder ab, und in ganz Europa wäre es Touristik-­Unternehmen und Hotels verboten, ausgerechnet während der Ferien die höchsten Urlaubstarife zu verlangen.

Es ist wirklich ein Jammer, dass Männer keine Kinder bekommen können.

Der Autor ist selber Vater von drei Kindern. Sein Text ist ein Auszug aus: „Wenn Männer schwanger würden – Ein Friedensangebot“ (Rowohlt, 7.90 €).

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