Iran: Die Betrogenen
Die jungen Männer strahlen. Guerilla-Look mit Blumen in den Gewehrläufen - so ziehen sie vorbei: Helden der Revolution, zu Tausenden auf dem Weg zum ersten großen Militäraufmarsch. Die alte Diktatur ist tot, die neuen Herren demonstrieren ihre Macht. Ganz ähnlich muß das ausgesehen haben in Portugal, in Kuba, in Algerien.
Sie waren meine ersten Begegnungen auf dem Weg vom Teheraner Flughafen zum Hotel. Als ich sie sah, musste ich daran denken, dass es noch vor wenigen Wochen Frauen waren, die bei Demonstrationen in den vordersten Reihen gingen. Tief verschleiert. So auch am 8. November 1978, dem berüchtigten "Schwarzen Freitag", wo allein an diesem Tag 4000 Schahgegner auf der Straße erschossen wurden, darunter 700 Frauen. Damals stand in Springers Welt übrigens nicht: "Jetzt schießen sie auch auf Frauen." Damals waren Menschenrechtsverstöße des prowestlichen Schahs, waren Folter und Beachteiligung kein Thema für weite Teile der westlichen Presse.
Der Schleier wurde zum tragischen Symbol
Nun machen die "armen iranischen Frauen" und ihr "verzweifelter Protest" plötzlich Furore in einer Presse, der einheimischer Frauenprotest sonst keine Zeile, geschweige denn eine Schlagzeile wert ist. Warum? Um uns zu zeigen, dass wir Frauen hier froh sein können, nicht verschleiert gehen zu müssen? Um ein Regime zu diskreditieren, unter dem die Menschen auch nicht frei sein werden, schon gar nicht die Frauen, das aber für viele bedeutend lebbarer sein wird als das vorhergehende?
Diese Fragen und noch viel mehr stellten sich mir vor der Reise. Doch so schwer es schien, die Dinge aus der Ferne zu beurteilen, so sicher war es, dass hier etwas Unerhörtes passierte: Zum ersten Mal in der jüngeren Geschichte stellten Frauen noch in der Stunde Null auch die Frage nach ihrem Schicksal! Zum ersten Mal in einem so dramatischen historischen Augenblick demonstrierten Frauen öffentlich: Wir sind nicht bereit, bei der Verteilung der gemeinsam erkämpften Freiheiten zurückzustehen! Und wir sind schon gar nicht bereit, zusätzliche Unfreiheiten hinzunehmen!
Der Schleier wurde zum tragischen Symbol: einst Zeichen des Kampfes gegen die Zwangsverwestlichung, ist er jetzt Zeichen einer neuen Unterwerfung. So kommt es, dass Frauen, die früher aus Protest gegen den Schah den Schleier trugen, jetzt aus Protest gegen den Schleier auf die Straße gingen.
Das sind Dinge, die wir in diesen drei Tagen begriffen haben. Wir: die 18 Frauen des zu diesem Anlaß hastig in Paris gegründeten "Komitees zur Verteidigung der Rechte der Frauen". Eingeladen von niemandem, gekommen aufgrund der Hilferufe einiger iranischer Frauen.
Schon am Flughafen empfing uns eine Gruppe erstaunter Auslandskorrespondenten. Bis zuletzt hatten sie nicht damit gerechnet, dass wir überhaupt ins Land gelassen würden. Schon gar nicht an diesem Morgen des 19. März, an dem am selben Ort und zur selben Stunde Kate Millet nach einer Abschiebehaft von 20 Stunden zwangsweise via Okzident geschickt worden war.
Bei ihrer Ankunft in Paris sprach die amerikanische Feministin, die - eingeladen von iranischen Feministinnen - zehn Tage lang streitbar am Frauenprotest, an Meetings und Demonstrationen teilgenommen hatte, dann von der "schrecklichsten Erfahrung" ihres Lebens und vom "Polizeistaat" Iran (so zitiert vier Tage später in der internationalen Ausgabe des "Kayhan", der größten Tageszeitung des Landes).
Harte Worte, die vielleicht auch dazu beitrugen, dass wir Frauen vom Komitee zwar zunächst reserviert, dann aber plötzlich auffallend zuvorkommend behandelt wurden - bis hin zum Empfang bei den politischen und religiösen Führern des Landes, bei Ajatollah Taleghani und Chomeini sowie dem Ministerpräsidenten Bazargan.
Was uns denn die Herren gesagt hätten, wurde ich nach meiner Rückkehr oft gefragt. Nun, das Übliche. Wobei es zwei Sorten von Patriarchen gibt im Iran: die Hemmungslosen, nämlich die Religiösen, die uns wie Taleghani auf die Frage nach den Rechten der Frau schlicht antworteten: "Das erste Recht der Frau ist das auf einen Ehemann, das zweite das auf die Mutter- schaft"; und die Taktischen wie Ministerpräsident Bazargan, der grundsätzlich "selbstverständlich" für Gleichberechtigung ist, konkret in allem ausweicht und sich ansonsten gern auf den "natürlichen Unterschied" beruft: "Mann und Frau sind komplementär." Das klingt in Teheran nicht anders als in Bonn.
Das Bemerkenswerte an diesen Begegnungen waren wohl nicht die gewechselten Worte, sondern war die Tatsache, dass sie überhaupt stattfanden: dass Regierungschefs in bewegten Krisenzeiten 18 Ausländerinnen empfangen, die öffentlich im Ausland verkündet hatten, sie kämen aus Sorge um die Lage der Iranerinnen.
Eine Geste, die ohne Zweifel nicht nur der ausländischen Imagepflege, sondern auch der inländischen Beruhigung galt. Denn die neuen Herrscher waren ein wenig voreilig gewesen, hatten gar zu rasch Platz genommen im Herrensattel und den Frauen die Steigbügelhalter-Position zugewiesen.
Nur eine Minderheit der Iranerinnen
ist anfangs beunruhigt
Und sie, die iranischen Frauen selbst? Nur eine Minderheit ist beunruhigt, die Mehrheit vertraut den neuen Machthabern. Das wurde uns klar in diesen drei Tagen, in denen wir zahlreiche Frauen aus verschiedensten politischen Lagern trafen.
Da ist Kateh, die Feministin, die schon jetzt Angst hatte, in unser von Chomeini-Garden bewachtes Hotel zu kommen. Wir trafen sie und ihre Freundinnen versteckt, in wechselnden Wohnungen. Diese Frauen sind fast ausnahmslos vor wenigen Wochen oder Monaten aus dem Exil zurückgekommen, ihre Vorstellung von Emanzipation ist importiert. Und dennoch sind auch sie pro Chomeini ("Wir verehren ihn alle sehr für das, was er für den Iran getan hat") und halten auch sie die Befreiung der Frau und den islamischen Glauben für vereinbar ("Im Koran steht nichts gegen Frauen").
Da ist die europäisch gekleidete Studentin, der wir auf dem Universitätsgelände begegneten, und die uns auf die Frage nach dem Schleier antwortete: "Na und? Wenn's den Frauen gefällt ... Was jetzt zählt, ist die Revolution und sonst nichts."
Da ist die persische Französischlehrerin, zufällig auf der Straße kennen gelernt, deren Mutter schon keinen Schleier mehr getragen hatte, und die selbst den Schador nur bei Protestdemonstrationen gegen den Schah trug. Am 8. März war sie eine der Frauen, die spontan auf die Straße gingen: gegen den Schleierzwang und die neue Einschränkungen von Frauenrechten. Nun aber sagte sie zögernd: "Das ist jetzt alles nicht mehr so wichtig. Wir müssen erst unser Land aufbauen."
Da sind die kichernden jungen Mädchen auf der Straße, unter deren knöchellangem schwarzen Schador gerade noch die Jeans und die bunten Tennisschuhe vorblitzen. Daneben in der Zeitung die Meldung, die Ehefrauen der Minister Bazargans hätten erklärt, sie hätten den Schleier nie getragen und hätten auch in Zukunft nicht die Absicht, es zu tun.
Und da sind die tiefverschleierten Frauen der gerade gegründeten Islamischen Frauenunion. Auch sie erkämpften den Umsturz, nicht selten mit der Waffe in der Hand. Auch sie hoffen auf volle Gleichberechtigung im politischen und beruflichen Leben ("Wir können uns sehr gut vorstellen, dass eine Frau eines Tages Ministerpräsident unseres Landes wird!").
Und dennoch halten sie, ganz nach der offiziellen Männerversion, die Frauenproteste des 8. März für Komplotte der Savak (Geheimdienst des Schahregimes) und der CIA. Und sie alle - egal ob sie jetzt für oder gegen den Schleier kämpfen -, sie alle werden betrogen werden! Sie werden ein weiteres tragisches Exempel liefern dafür, dass Menschen, die nicht für ihre eigenen Rechte kämpfen, vergessen werden. Doch wenn sie es merken, wird es zu spät sein. Denn sie haben sich ihren Protest zu gutgläubig wieder ausreden lassen. Und sie haben keine eigene Organisation, ihre Ohnmacht zeigt sich schon jetzt.
Bereits in den Wochen vor dem endgültigen Sturz des Schahs stellten Perserinnen öffentlich die Frage: Was wird danach mit uns Frauen? Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Vor dem Machtwechsel noch um diplomatische Formulierungen bemüht, verloren die Ajatollahs danach keine Zeit mehr. Ajatollah Schiriat Madari, als "liberal" bekannt, führte den ersten Schlag: Im "Kayhan" erklärte er, in einer islamischen Republik könnten Frauen nicht mehr Richter sein, denn sie seien bekanntermaßen zu emotional.
24 Stunden später widersprachen zehn Richterinnen in derselben Zeitung energisch. Und wenige Tage danach veröffentlichte die winzige Teheraner Feministinnengruppe, die maximal einige Dutzend Aktivistinnen zählt, eine Anzeige im "Kayhan". Zum "internationalen Tag der Frau" suchte das frischgegründete "Komitee zur Organisation des 8. März" Mitstreiterinnen. Kateh: "Wir dachten, das könnte ein Anfang sein."
Reaktion: zirka 40 Briefe, 300 Frauen beim ersten Treffen am 24. Februar und - die ersten Schwierigkeiten. Für eine zweite Versammlung bekamen die Frauen schon keinen Raum mehr. Argument: "Der Koran verbietet den 8. März."
Und schon erfolgte der bisher spektakulärste Angriff auf die Frauen. Aus der "heiligen Stadt" Chom verkündete Chomeini erneut den Schleierzwang, die Aufhebung der Koedukation und die Annullierung des Familiengesetzes, das unter dem Schah zumindest theoretisch die Scheidung möglich gemacht, die Vermögensverhältnisse zwischen den Geschlechtern einigermaßen gerecht geregelt und dem Mann statt vier "nur noch" zwei Frauen zugestanden hatte.
Von diesem Tag an sprachen die Ansagerinnen im Fernsehen die Nachrichten verschleiert ...
Tausenden Büroangestellten wurde der Zugang zur Arbeitsstelle verweigert
Zur Explosion fehlte nur noch ein Funke. Der flog am Morgen des 8. März. Ausgerechnet. Tausenden von weiblichen Büroangestellten wurde an diesem Tag der Zugang zu ihren Arbeitsstellen verweigert: "Geht erst mal nach Hause und zieht euch anständig an, statt so nackt herumzulaufen." Nackt meint: ohne Schleier. Manche Frauen wurden auch tätlich angegriffen, Eiferer schnitten ihnen die Haare ab.
Schon eine Stunde später zogen 20 000 bis 30 000 Frauen durch die Straßen Teherans. Sie skandierten: "Wir sind Iranerinnen und lassen uns nicht länger an Ketten legen!" und "Ohne die Frauenbefreiung ist die Revolution sinnlos gewesen!" und "Wir haben nicht gegen die alte Diktatur gekämpft, um uns einer neuen Diktatur zu beugen."
Die Chomeini-Garden schossen. Allerdings nicht auf die Frauen, wie in der hiesigen Presse fälschlicherweise berichtet wurde, sondern in die Luft und zum Schutz der Frauen, die von einzelnen Männern angegriffen, geschlagen und an den Haaren gezerrt wurden. Die Antwort: "Wir haben keine Angst!"
Dieser erste Protest war noch ganz euphorisch: heiter in der Sicherheit, dass sie, die alten Kampfgefährtinnen, Gehör finden würden.
Am nächsten Morgen, Freitag, Sit-in im Universitätsgelände. Trotz Regen trägt keine Frau ein Kopftuch. Am Samstag 50.000 Frauen bei der Demonstration. Viele rauchen, auch Nichtraucherinnen. Protest gegen Ajatollah Chomeinis Ermahnung: "Eine iranische Frau raucht nicht auf der Straße" (vertraute Töne in deutschen Ohren ...).
Der Frauenprotest erreichte die Provinzstädte
Am Montag, dem 12. März, hat der Frauenprotest bereits die Provinzstädte erreicht, bis hin in den Kurdistan. Und siehe da, dieselben Männer, deren Differenzen sich in Ermangelung des gemeinsamen Außenfeindes in den ersten Wochen der neuen Machtverteilung rasch gezeigt hatten, sie alle, vom Mullah (islamischer Priester) bis zum Fedayin (nichtreligiöse Revolutionäre), waren sich plötzlich einig: "Der Frauenprotest muss aufhören! Er schadet der islamischen Revolution und nutzt nur der Savak und dem CIA." (Auch das vertraute Töne in den Ohren derer, die unbequem und konsequent sind in den Stunden der Veränderung: egal, ob es sich bei der russischen Revolution um die Matrosen von Kronstadt oder beim iranischen Umsturz um die Frauen Teherans handelt.)
Doch: eine Männergesellschaft, ein Wort. Und die Frauen? Sie gehorchten. Wieder einmal. Sie, die Kampfgewohnten, waren überzeugt oder eingeschüchtert. Einige auch verzweifelt. So wie die Schülerin, die sich am Morgen des 13. März die Pulsadern aufschnitt. Oder die geschiedene Sekretärin, die auf dem Rückflug neben mir saß, und mir über Athen anvertraute: "Ich bin auf der Flucht. Ich gehe nicht zurück. Ich habe Angst."
Nur eine verschwindende Minderheit, ein paar Tausend Frauen vielleicht, begreift die Hoffnungslosigkeit der Lage. Sie lassen sich auch von der taktischen Abwiegelung der vom heftigen Protest überraschten Ajatollah keinen Sand in die Augen streuen: Nicht der Schleier sei Zwang, sondern nur "die züchtige Kleidung" - was auch immer das sein mag.
Hunderttausende sind, wie die Französischlehrerin, halb optimistisch, halb resigniert. Die weite Mehrheit der Perserinnen aber ist tief im islamischen Glauben verwurzelt und hat volles Vertrauen zu den neuen Herren. Noch.
Sie werden repräsentiert von der Islamischen Frauenunion, mit deren Vertreterinnen wir uns einen Vormittag lang unterhielten. In diesem Kreis gehört den Traditionellen das Wort. Wortführerin ist die schador-gewandete Azam Taleghani, Tochter des Ajatollah und Heldin des bewaffneten Widerstandes. Zahrah Hejazi, Tochter Bazargans, die im Gegensatz zu den meisten Iranerinnen in dieser Runde europäisch gekleidet ist und das bunte Kopftuch sichtbar improvisiert umgeschlungen hat, ist auffallend zurückhaltend und ergreift das Wort nur zum Übersetzen.
Fast all diese Frauen sind übrigens berufstätig, sind Ärztinnen, Lehrerinnen, Chemikerinnen. Auch das wurde deutlich: bei der Frauenfrage teilen sich die Lager im Iran weniger nach Gebildeten und Analphabeten oder nach Stadt und Land, sondern eher nach westlich Infizierten und im Orientalischen Verhafteten.
In so vielem haben sie mir imponiert, diese Frauen der Union, so wie sie vor mir saßen mit ihren würdigen und starken Gesichtern. Sie glauben an die Verwirklichung einer klassenfreien Gesellschaft im Iran, an das Ende von Unterdrückung und Ausbeutung. Sie glauben an ihre maßgebliche gesellschaftliche Beteiligung auch in der Zukunft.
Tahez Labaf, Ärztin und Mutter zweier Kinder, beruft sich bei ihrer Definition von der Freiheit des Menschen allein dreimal auf Jean-Paul Sartre. Gleichzeitig aber verteidigt sie ungebrochen das Recht des Mannes auf Polygamie (zum Teil mit fast rührenden Rechenexempeln, Stil: Wenn nach einem Krieg weniger Männer ... Oder: Kinder müssen dann nicht mehr ins Waisenhaus. Oder: Alternde Frauen sind so nicht einsam ...).
Tahez ist es auch, die uns freundlich die Exekution der ersten Homosexuellen bestätigt. "Homosexualität verstößt gegen den Islam, weil sie gegen die Gesellschaft gerichtet ist: sie ist nur Begierde und nicht Ausdruck eines Kinderwunsches."
Diese Frauen, die nicht selten in den Kerkern des Schahs gefoltert wurden, erläutern uns detailliert, wie in Zukunft "beim einmaligen Vorkommen" von Homosexualität die Prügelstrafe angewandt werden wird und, "wenn es zur Gewohnheit wird", die Todesstrafe. Bei Männern und Frauen. Ganz gleichberechtigt.
"Die Unterdrückung des Schah kam für uns Iraner von außen und war so offensichtlich und gewalttätig, dass man sich dagegen wehren konnte. Die religiöse Unterdrückung aber kommt vom Volke selbst und wird von der Mehrheit der Iraner selbst blindwütig gutgeheißen, denn sie fanden nur diese Form der Auflehnung gegen die Schreckenstyrannei." Das schrieb die Iranerin Anoucha Hodes in der letzten EMMA. Wie recht hat sie.
Sie glauben sich so fest auf der Seite der Gerechten, dass sie Unrecht noch nicht einmal mehr erkennen. Und sie haben vom Westen nie Alternativen geboten bekommen. Die scheinbare Liberalisierung unter dem Schah-Regime war nicht mehr als eine Fratze. Wenn der Schah-Vater den Frauen einst durch Soldaten gewaltsam den Schador vom Körper reißen ließ, so ist das nicht besser als Chomeinis neues Diktat.
Wie überhaupt die Arroganz der Christen, die alles Islamische schlicht als "mittelalterlich" abtun wollen, schwer erträglich ist. Denn es ist nicht alles schlecht, was islamisch ist. So einfach ist das nicht.
Farideh Ahmadian von der Frauenunion erzählt mir von ihren Erfahrungen in Frankreich, wo sie zusammen mit ihrem Mann vier Jahre lang gelebt hat. Die tiefgläubige 26-jährige hat auch dort ihren Schador nicht abgelegt. Zum Hohn und Spott ihrer Umwelt. "In der Mensa haben sie mir sogar einmal Joghurt auf den Kopf gegossen und an meinem Schleier gerissen." Warum Farideh so daran festhält? "Weil Allah es so will" - eine Antwort, der wir an irgendeinem Punkt der Gespräche immer wieder und überall begegneten ... Und Farideh weiter: "Weil ich kein sexuelles Objekt sein will! Ich möchte von den Männern respektiert werden!"
Sie haben vom Westen nie Alternativen geboten bekommen
Bei Farideh bin ich am nächsten Tag, dem islamischen Neujahrstag, zum Mittagessen eingeladen. Ihr Mann, ein Physiker, ist auf Dienstreise. Sie ist Hausfrau und Mutter zweier Kinder. Ihr einstöckiges lichtes Haus liegt im privilegierten Norden der Stadt. Sie muss nicht, wie so viele in diesem vom Schah erbarmungslos ausgebeuteten Land, zu acht, zwölf Personen in einem 20-Quadratmeter-Raum hausen.
Farideh ist sehr heiter an diesem Tag. "Das ist unser erstes islamisches Neujahrsfest! Vor einem Jahr sprach zu dieser Stunde noch der Schah, und mein Bruder war im Gefängnis..." Farideh war eine der Frauen, die am Schwarzen Freitag in der ersten Reihe gingen - im Arm ihre kleine Tochter, und unter dem Schador ein Küchenmesser.
Farideh sagt: "Mein Haus ist mein Paradies" und - ich glaube es ihr. Sie glaubt so tief und ist so unberührt von Zweifeln, dass sie wahrscheinlich dieses ihr Leben in Hingabe und Demut und den- noch auf ihre Weise glücklich verbringen wird. Oder wird sie zu denen gehören, die eines Tages aufwachen, erkennen werden, dass sie betrogen wurden? Und die sich dann auf ihre alte Kampftradition besinnen?
Farideh glaubt an das Recht von Frauen auf Berufstätigkeit und würde doch nie darauf drängen. Sie sieht auch nicht die ökonomischen Interessen des Irans, der schon jetzt drei Millionen Arbeitslose hat, und schon darum versuchen wird, die Frauen zurück ins Haus zu drängen.
Und wer soll das verhindern? Das Sagen haben in diesem Land heute weder die Frauen, noch die Arbeiter, noch die Intellektuellen. Das Sagen haben die Baazaris - die kleinen Kaufleute - und die Religiösen. Mullahs besetzen alle strategischen Posten, Mullahs sind auch Vorsitzende der neugegründeten Arbeiterzellen, in denen übrigens ausschließlich Männer sind, versteht sich. Obwohl es heute zwei Millionen Arbeiterinnen im Iran gibt.
Ich verbringe trotz alledem heitere Stunden mit Farideh. In vielem kann ich sie so gut verstehen, in anderem ist sie entwaffnend: Was soll ich entgegnen auf das Argument "Allah will es so"? An der Tür sagt sie mir zum Abschied dreimal "Allah ist groß" - Allah o Akbar. Und ich weiß, dass auch sie von Allahs Jüngern betrogen werden wird. Denn Farideh und ihre Schwestern waren gut genug, um für die Freiheit zu sterben. Sie werden nicht gut genug sein, in Freiheit zu leben.
ALICE SCHWARZER