Unsere masochistischen Sex-Phantasien
Die sogenannte Sexwelle brachte kaum Befreiung, sondern neue Zwänge: Frauen, das bestätigen auch die Statistiken der Sexualforscher, sind heute so unbefriedigt wie gestern und vorgestern, einziger Unterschied zu früher: Frauen spielen die nicht vorhandene Lust auch noch vor.
Zwei Drittel aller Frauen sind ganz oder phasenweise "frigide" oder besser gesagt: frigide gemacht worden. Kein Wunder. Für die meisten Frauen hat sich schließlich weder die Unwissenheit über den eigenen Körper, noch die Abhängigkeit vom Partner geändert. Und genau das ist es, was die Sexualität zwischen Frauen und Männern belastet. Wie können wir im Bett Partner sein, wenn wir in der Küche, auf der Straße und im Büro Objekt sind?
Frauen, die gründlich über das Problem nachdachten, neigten schließlich dazu, zu glauben, uns Frauen sei die Sexualität ganz und gar ausgetrieben worden, wir seien geschlechtslose Wesen. Sie täuschten sich. Frauen haben durchaus noch Lust. Nur - was sie in der Wirklichkeit heute nicht leben können, leben sie in ihren Phantasien aus. Neuere Untersuchungen zeigen: Zwei von drei Frauen haben sexuelle Phantasien! Und das nicht nur in Tag- und Nachtträumen, sondern auch während der Sexualität mit einem Partner.
Bedenkt man, dass bisher darüber kaum ein Wort verloren wurde, scheint die hohe Zahl überraschend. Doch sie ist deswegen nicht unwahrscheinlich. Schließlich erhalten wir Antworten nur auf Fragen - und wer fragt schon nach Sexual-Phantasien von Frauen, nach ihrer Sexualität überhaupt? Die ideale Frau probt in unseren liberalisierenden 70er Jahren zwar aufgeschlossen und sexy mit ihrem Mann Positionen und Gruppensex, aber was sie selbst will und ob überhaupt, das weiß sie nicht.
Im Zuge der Emanzipations-Debatten veröffentlichten mehrere Frauen in letzter Zeit Arbeiten zu dem Thema Sexualphantasien. So die Psychologin Barbara Hariton, die in New York darüber promovierte und herausfand, dass 65 Prozent der von ihr befragten Frauen "erotische Phantasien" beim Geschlechtsverkehr mit ihrem Partner haben (Mann oder Frau).
An erster Stelle standen dabei Gedanken an einen anderen Mann (eine andere Frau), an zweiter 7ergewaltigungsVisionen, an dritter "Perversitäten". Sehr häufig stellten die Frauen sich auch Geschlechtsverkehr mit mehreren Männern gleichzeitig vor oder voyeuristische Situationen, in denen sie selbst beobachtet wurden oder anderen zusahen. Die amerikanische Journalistin Nancy Friday, aus deren Buch wir auf der folgenden Seite Auszüge veröffentlichen, wertete mehrere tausend Frauen-Briefe aus. Dabei fand sie heraus, dass die Mehrzahl der weiblichen Sexualphantasien masochistischer Natur sind.
Was heißt das? Bedeutet es, dass wir Frauen geborene Masochistinnen sind, Lust an der Unterwerfung haben? Nein. Die Amerikanerin Robin Morgan und die Deutsche Margarete Mitscherlich vertiefen in den nachfolgenden Analysen die Frage und kommen unabhängig voneinander zu teilweise gleichen Schlüssen:
1. Unsere Phantasien sind Produkte der sozialen Verhältnisse. Sie spiegeln die Tatsache der weiblichen Unterlegenheit in einer männerbeherrschten Gesellschaft.
2. Phantasiertes besagt nichts über real Gewünschtes. Das Gegenteil kann der Fall sein. Eine Frau, die sich lustvoll vorstellt, vergewaltigt zu werden, will deswegen noch lange nicht wirklich vergewaltigt werden.
Alle Aussagen zeigen, dass die Phantasien von den Frauen fast immer als sexuell befriedigend und luststeigernd empfunden werden. In manchen Fällen kommen Frauen nur dank dieser Phantasien zum Orgasmus.
Sind Sexualphantasien also etwas Positives, was nur endlich ausgesprochen werden muss und worüber man sich freuen kann? Nicht unbedingt. Denn gerade da, wo es masochistische Phantasien sind, stehen sie im krassen Gegensatz zu der Würde, für die Frauen heute kämpfen. Wenn wir gleichzeitig heimlich weiter die Unterwerfung suchen - müssen wir uns dann nicht fragen, was los ist mit uns, ob sich das mit unserem neuen Selbstverständnis verträgt?
Und noch etwas: Sexualphantasien während der Intimität mit einer anderen Person wirken sich nicht zwangsläufig bereichernd aus, sondern können auch störend zwischen Menschen stehen: Vor das Gesicht des anderen schiebt sich die Phantasie, die nicht selten überhaupt nichts mit dem Gegenüber zu tun hat. All diese Fragen sollten wir uns stellen. Die Antworten kennen wir noch nicht. Fest jedoch steht, dass wir jetzt nicht einfach sagen können: Wir haben Phantasien, wie wunderbar! Wir müssen es nur endlich eingestehen! Dann macht uns Spaß, worunter wir bisher gelitten haben!
Das ist zu simpel. Es trägt weder der Widersprüchlichkeit unserer Phantasien, noch der unserer Gefühle Rechnung. Schließlich gibt es zwar Frauen, die ihre Sexualphantasien subjektiv als beglückend empfinden, aber es gibt auch solche, die unter ihnen leiden. So wie Robin Morgan, die nach vergeblichen Versuchen, sie ganz zu unterdrücken, versuchte, sie zu ändern.
Statt erniedrigende Phantasien weiterhin fatalistisch hinzunehmen, wechselte sie die Bilder. Sie akzeptierte zwar weiterhin die Tatsache, überhaupt Phantasien zu haben, versuchte aber gleichzeitig, sie mit solchen Inhalten zu füllen, die sie weder quälten noch demütigten. Das gelang ihr nur teilweise, es half ihr jedoch, die Ursachen der Phantasien zu begreifen.
Das allerdings wäre ein zweiter Schritt. Der erste muss das Eingeständnis der Existenz dieser Phantasien überhaupt sein. Uns selbst und anderen. Damit Frauen nicht länger allein sind.
Wir finden es darum wichtig, dass uns viele Leserinnen zu dem Thema schreiben (namentlich oder anonym), und uns mitteilen, welche Art von Phantasien sie haben, ob sie darunter leiden oder nicht, und wenn ja, wie sie damit umgehen.