Alice Schwarzer schreibt

Macht Prostitution frei?

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„Was die Prostituierte in Wahrheit verkauft, ist nicht Sex, sondern ihre Entwürdigung. Und der Käufer, ihr Kunde, kauft nicht Sexualität, sondern Macht." -Kate Millett.

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„Du kriegst dabei ein Wahnsinnsmachtgefühl. Männer kommen Dir als armselige, lächerliche, kleine Wichte vor. Es hängt alles von Dir ab. Du machst ihnen was vor, und das brauchen sie." — Larissa, 30, abgeschlossenes Studium, in der TAZ über ihre neugesammelten Erfahrungen in der Gelegenheitsprostitution.

„Es gibt kein richtiges Leben im Falschen." — Adorno.

Sind wir alle Huren?
Zwei Bücher erschienen jetzt zu dem Thema Prostitution. Beide aus den Reihen der Frauenbewegung, beide aus Berlin. Doch haben sie nicht mehr als das Thema gemein; denn sie markieren die jeweils äußersten Pole der Frauenbewegung, deren Spektrum heute von der engagierten Analyse bis zur enragjerten Propaganda reicht. „An der Front des Patriarchats, nennen Rose-Marie Giesen und Gunda Schumann ihre Untersuchung des Prostituiertenmilieus. „Wir sind Frauen wie andere auch", titelt Pieke Biermann ihre Textsammlung, die vor allem auf einem (einem!) Gespräch zwischen fünf Frauen basiert, von denen vier hauptberuflich oder als Gelegenheitsjob der Prostitution nachgehen (und von denen die Autorin eine ist, beziehungsweise war). Die fünfte arbeitet in Peepshows. So bereichernd und klärend die Arbeit von Giesen/Schumann ist, so überflüssig und manipulativ ist die von Biermann. Da wird mit einer allumfassenden Geste alles in einen Sack gestopft, und dieser durchrüttelte Ramsch dann mit Verkündergeste wieder ausgebreitet.

Es ist längst eine feministische Banalität, daß in einer patriarchalischen Gesellschaft die Frau/Mann-Beziehung hierarchisch ist und weibliche Sexualität immer auch erniedrigbar ist zum Objektstatus („Sie sind lesbisch? Wie aufregend. Wollte ich immer schon mal, zu dritt. . .. Zwischen diesen grundlegenden Erkenntnissen aber und der Verkündung, eigentlich sei doch alles dasselbe, ergo könnten wir auch gleich alle auf den Strich gehen - ja dazwischen liegen Welten. Kurzschlüsse dieser Art sind nicht nur unreflektiert, sondern auch Ignorant den am härtesten Betroffenen, in diesem Falle den Prostituierten, gegenüber.

Ein Beispiel: Da ist Kitty. Sie ist 40 Jahre alt, hat vier Kinder und arbeitet seit über 20 Jahren auf dem Straßenstrich. Jüngst hat einer in der Klasse zu ihrem Sohn gesagt: „Deine Mutter ist ne Nutte!" Darauf hat Kittys Sohn geantwortet: „Wenn ich weiß, daß meine Mutter auf n Strich geht, dann kiek ich se nicht mehr an, dann hau ich ab!" Kitty reagierte darauf ratlos: „Mit den Kindern wird das immer schwieriger."

Und Callgirl Pat. Pat zittert davor, daß ihre Familie etwas erfährt. Und die Salonprostituierte Angie sagt's noch nicht mal ihrem Lebensgefährten, dass sie „anschafft". So steht es, verständlicherweise, bei drei von drei von Pieke Biermann befragten Prostituierten. Also bei 100%(!). Biermann-Schluss: Das sind Frauen, die „mit erhobenem Kopf anschaffen gehen! Weitere Biermannsche Weisheiten: Da alle Sexualität von Frauen Prostitution ist, kann frau auch gleich „anschaffen" gehen. Das bringt dann wenigstens Geld. Und Geld ist die „Befreiung aus dem Sklaventum (der noch umsonst ins Bett gehenden Frau). Um eine drohende Ausbeutung durch Zuhälter braucht sich die anschaffende Frau keine Sorgen zu machen, denn - Zuhälter gibt's nicht. Die sind in Piekes Augen eine Erfindung der Gesellschaft, eine „falsche Frage". Und überhaupt: „Wer ist eigentlich nicht Zuhälter?" räsoniert Pieke, und zur Straßenprostituierten Kitty gewandt: „Deine Kinder sind wohl auch Zuhälter? Die leben doch von dem Geld."

Mit erhobenem Kopf?
Prostituierte sind freie Frauen. Basta. Das glatte Bild störende Fragen werden gar nicht erst gestellt, Widersprüche zugekleistert, Menschen zugeschwafelt. Das ganze wäre nur unerquicklich und nicht weiter der Rede wert, wenn es nicht... ja, wenn es nicht so maßgeschneidert passen würde in die sexuelle Konterrevolte, die da mit Wucht auf uns zurollt. Man sehe sich doch nur die neue Mode an. Längst sind die Dessous in der Kaufhaus-Wäscheabteilung nicht mehr von denen im Sexshop zu unterscheiden.

Da steht nicht etwa die Emanzipation der Huren zur Debatte, sondern die Verhurung der Emanzipation!

Welche Perversität, weitere Frauen zum „Anschaffen" zu ermuntern, statt bereits „Anschaffende" in ihrem beginnenden Kampf um Menschenwürde und Autonomie zu bestärken. Gerade jetzt, wo sich Prostituierte in Frankreich erstmals nicht nur gegen Staat und Gesellschaft, sondern auch öffentlich gegen die eigenen Zuhälter zur Wehr setzen! Gerade jetzt wagt es eine Pieke Biermann, die Existenz von Zuhältern einfach zu leugnen oder zu verniedlichen.

Einer Prostituierten fällt es so schwer wie jeder anderen Frau auch, sich die Ausbeutung im Namen der Liebe einzugestehen, aufgrund ihrer noch stärkeren Isolation und sozialen Ächtung fällt es ihr manchmal sogar noch schwerer. Darum, und auch aus Angst vor Gewalt (siehe September-Emma!) bisher das öffentliche Schweigen der Prostituierten zum Thema Zuhälter. Dabei haben etwa 90 % aller Prostituierten Zuhälter (neueste französische Zahl) - ob sie wollen oder nicht. Wenn das kein feministischer Schritt ist, sich dagegen jetzt zur Wehr zu setzen -welcher wäre es dann?

Im Namen der Liebe?
Richtig ist, dass nicht die Prostituierten pervers sind, sondern die Verhältnisse, die sie möglich (und nötig) machen. Richtig ist, dass auch die Ehe eine Form der Prostitution ist. Falsch und eine unzulässige Gleichmachung ist jedoch der Schluss, es sei alles dasselbe. Vom Sexismus sind Fließbandarbeiterin, Vorzimmerdamen, Straßenmädchen wie Hausfrauen betroffen - diese Betroffenheit jedoch nimmt jeweils spezifische Formen an, und die gilt es genau zu erkennen! Falsch ist auch der Wahn, die krassesten Verhältnisse würden automatisch den krassesten Widerstand hervorrufen (an dieser Theorie sind in diesen Jahrzehnten schon so einige politische Bewegungen gescheitert. . .). Und gefährlich ist es, alles ausschließlich auf die Geldfragen zu reduzieren. Die Dinge sind komplexer. Verweigert wird uns Frauen nicht nur das Recht auf Lohn, sondern auch auf das auf Menschenwürde! Und das eine bedingt wechselseitig das andere.

Das ist nicht nur am Arbeitsplatz Prostitution so. Als zum Beispiel die Verkäuferinnen von Thion- ville in einem wilden Streik Anfang der 70er Jahre ihr Kaufhaus besetzten, taten sie das für so viel mehr als nur die paar Francs zusätzlich am Tag. Sie taten es, weil sie nicht länger für die Kunden lächeln, nicht länger ohne Grund hinter der Theke stehen statt sitzen, sie sich nicht länger von Abteilungsleitern angrabschen lassen wollten. Der Gewerkschaft blieb es, wie so oft im Verlauf von Arbeitskämpfen, auch in diesem Falle vorbehalten, die Revolte auf eine reine Lohnforderung zu reduzieren. Diese längst erkämpften Etappen, das Wissen um das Recht auf Menschenwürde am Fließband wie im Bordell, scheint der zunehmend flotten Spontiscene abhanden gekommen zu sein. Interviewte doch jüngst die TAZ eine dieser privilegierten neuen Gelegenheitsprostituierten (Larissa, 30, abgeschlossenes Studium) und ließ sie unwidersprochen stolz mitteilen, daß sie den Freiern jeden Wunsch zu erfüllen hat, „Du kannst nichts verweigern".

Larissa macht das nichts aus, sie hat sich zu diesem Zwecke ihre eigene kleine Logik zurechtgelegt, und die lautet dann so: „Das (die Prostitution) hat nichts mit Dir als Person zu tun. Da ist ja niemand, für den Du Interesse hast. Das ist was ganz außerhalb deiner Person." - Na schön. Dann wären doch eigentlich die Probleme dieser Welt gelöst. Muß nur noch den Millionen Abhängigen mitgeteilt werden, daß das doch eigentlich „nichts mit ihnen als Person" zu tun habe. Nein, hier sollen weder heute die Arbeitsbedingungen von Prostituierten erträglicher gemacht, noch morgen die Verhältnisse, in denen es selbstverständlich ist, daß Menschen Menschen kaufen, verändert werden. Hier wird lediglich Geld für das eigentlich Unzumutbare gefordert. Geld für Sex wie Geld für Hausarbeit. Wenn's nur bezahlt wird, dann ist die Welt schon wieder in Ordnung. Die Konsumwelt.

Emanzipiert Prostitution?
Nun ist die Konterrevolte leider oft rascher als die Revolte, und wenn wir Hasen angehoppelt kommen, sitzt der Igel so manchesmal schon da. So prompt, wie CDU bis SPD Forderungen nach „Lohn für Hausarbeit aufgegriffen und in ein „Müttergeld" pervertiert haben, so prompt könnte diese Männergesellschaft uns glatt zur Beruhigung auch noch im Ehebett ein paar Groschen zustecken - ein solches Zusatznadelgeld würde nur den Kontum steigern und hätte den netten Nebeneffekt, daß wir verfügbar blieben. Aber: Wird es dann erträglicher? Wird es richtiger, wird es gerechter, nur weil es bezahlt wird?

Ganz im Gegensatz zu solchen Schnoddrigkeiten ist die Arbeit von Rose-Marie Giesen und Gunda Schuman behutsam aber konsequent, engagiert aber ehrlich. Eine genaue Bestandsaufnahme dessen, was Prostitution ideologisch für uns alle und praktisch für die Prostituierten selbst bedeutet. Die Sozialwissenschaftlerinnen befragen umfassend 20 Berliner Prostituierte, differenzieren innerhalb des Milieus und scheuen sich auch vor so Heiklem wie „lesbischer Prostitution und „weiblichen Zuhältern nicht (siehe nebenstehenden Auszug aus ihrem Buch).

Mit „Verachtung aber auch mit „Angst reagiere die Gesellschaft auf Prostituierte, schreiben Giesen/Schumann: „Ausgeburt der Verachtung ist z. B. das Märchen von der Unterschichtsherkunft, dem Schwachsinn oder dem hohen ,Neurotizismusgrad' der Prostituierten. Ausgeburt der Angst ist z.B. der sprichwörtliche ,Männerhaß', ihre ,Triebhaftigkeit' oder .Perversität'. Richtig an diesen männlichen Mythen dürfte sein, dass Prostituierte durch die Übernahme der negativen Identität der Frau starkem gesellschaftlichen Druck ausgesetzt sind, der sie unter Umständen zu erhöhten Anpassungsleistungen in anderen Bereichen (z. B. emotionale Abhängigkeit vom Zuhälter) bringen kann.

Emanzipiert Prostitution? Schon die Frage findet die Prostituierte D. „makaber". Giesen/Schumann insistieren: ist es dann Resignation? Auch nicht. D.: „Ich würde sagen, es ist einfach das bestmögliche Umgehen mit einer Realität, die man jetzt und hier nicht verändern kann: man hat durchschaut, wie die Strukturen verlaufen, und versucht, für sich das günstigste rauszuholen. Alles andere wäre mir irgendwie zuviel." Mir auch.

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