Marjana Karanovic: Sehr viele Frauen

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Haben Sie schon einen Favoriten für den Debüt-Spielfilmpreis?
Nein, ich habe erst drei der acht Wettbewerbsfilme gesehen. Die fand ich alle sehr gut. Ich liebe es übrigens auch, Filme zu sehen, die mir nicht gefallen. Es ist einfach so aufregend, im Dunkeln zu sitzen und einen Film zu sehen. Das ist die pure Freude für mich.

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Freuen Sie sich auch über die rund 20 Filme von Regisseurinnen vom Balkan, die auf dem Festival gezeigt werden?
Natürlich! Bei uns sind die Möglichkeiten zum Filmemachen sehr begrenzt. Das gilt zwar für alle, aber für Frauen besonders. Deshalb muss man weibliche Regisseure mit der Lupe suchen. Aber das wird sich ändern, das ist unvermeidlich.

Für Ihren aktuellen Film haben Sie wieder mit Jasmila Zbanic gearbeitet. In „Na putu“ (Auf dem Weg), der das Festival am Mittwoch eröffnete, geht es um das Erstarken des islamischen Fundamentalismus am Beispiel eines jungen Paares in Sarajewo. Wie erleben Sie heute diese Stadt?
Ich lebe ja in Belgrad, aber ich bin seit neun Jahren jeden Monat in Sarajewo, weil ich dort Theater spiele. Und da sehe ich, dass sich das Straßenbild im Vergleich zur Zeit vor dem Krieg verändert hat. Sehr viele Frauen, vor allem junge, tragen jetzt Kopftücher, einige verhüllen auch ihren ganzen Körper.

Sie selbst spielen eine solche Frau, die Mitglied einer fundamentalistischen Gemeinde ist.
Für viele Charaktere in meinen Filmen kann ich aus mir selbst schöpfen, weil ich die Erfahrung meiner Figur zumindest in Ansätzen teile. Für diese Rolle ging das nicht, denn es war für mich unvorstellbar, dass eine Frau das freiwillig tut. Also habe ich zur Vorbereitung auf die Rolle mit einigen dieser Frauen gesprochen. Sie erklärten mir, dass sie sich sicher fühlen, wenn sie sich verhüllen. Sie halten das für eine Garantie dafür, dass ihr Mann immer brav zu ihnen nach Hause kommt und sie niemals betrügt, dass er sie immer lieben wird, wenn sie Allahs Weg gehen. Diese religiösen Bewegungen haben in unseren postkommunistischen Ländern unter anderem deshalb einen enormen Aufwind, weil die Menschen ihre innere und äußere Sicherheit und ihre Ideale verloren haben. Sie sind in ein Loch gefallen. Bei uns gibt es so viel Korruption, spirituelle wie finanzielle. Das ist ein guter Nährboden. Und gerade die jungen Leute, auch Paare, wenden sich den religiösen Fundamentalisten zu.

Beobachten Sie dieses Phänomen auch in Serbien?
Oh ja. Da gibt es einen enormen Zulauf zu den christlichen serbisch-orthodoxen Gemeinden, die unglaublich konservativ sind. Die Mitglieder sehen übrigens genauso aus wie die islamischen Fundamentalisten: Die Männer tragen lange Bärte und die Frauen Kopftücher. Und diese radikale christliche Bewegung ist eng mit den nationalistischen Bewegungen in Serbien verbunden.

Sie waren die erste serbische Schauspielerin, die nach dem Krieg in einem kroatischen Film mitgespielt hat. Dann haben Sie auch noch die Hauptrolle in „Esmas Geheimnis“ übernommen und eine Bosnierin gespielt, die unter dem Trauma ihrer Vergewaltigung in einem serbischen Lager leidet. Wie waren die Reaktionen darauf?
Sehr unterschiedlich. Auf der einen Seite wurde ich als Verräterin und Hure beschimpft. Auf der anderen Seite gab es Leute, die mir gratuliert haben. Und als „Esmas Geheimnis“ auf dem Filmfestival im serbischen Belgrad gezeigt wurde, haben die Leute minutenlang applaudiert.

Dennoch hat die Entscheidung, diese Rolle zu übernehmen, sicher Mut erfordert.
Nein, für mich war das gar keine Frage. Ich fand das Drehbuch und die Figur großartig. Und ich denke mich nicht als „serbische Schauspielerin“. Zu allererst einmal bin ich eine Frau. Dann bin ich eine Schauspielerin. Und dann bin ich irgendwann vielleicht auch eine Serbin. Abgesehen davon, ist die Geschichte von Esma universell. Es geht in diesem Film ja nicht darum, eine politische Anklage zu führen, sondern darum, welche Folgen der Krieg für Frauen hat und wie wichtig es ist, darüber zu reden. Hinzu kommt: Mit Jasmila Zbanic zu arbeiten, war eine der besten Erfahrungen meiner Schauspielkarriere. Sie ist so ruhig, so analytisch, so gut vorbereitet. Und sie hört zu. Sie will wissen, was ihre Schauspielerinnen und Schauspieler denken. Das ist mir mit anderen Regisseuren, die natürlich alle Männer waren, noch nie passiert. Die haben nichts mit uns besprochen, sondern wollten einfach alles kontrollieren.

Auf dem Internationalen Frauenfilmfestival ist der Balkan diesmal Länderschwerpunkt. Der Krieg ist in diesem Filmen immer noch ein zentrales Thema.
Weniger der Krieg selbst, sondern die langfristigen Folgen. Als der Krieg damals zu Ende war, dachten wir, wir würden jetzt ein komplett neues Leben anfangen. Wir dachten, wir könnten unsere Verletzungen – die körperlichen und emotionalen – schnell vergessen. Das war so naiv. Der serbische Filmbeitrag von Ivana Todorovic zum Beispiel ist eine Dokumentation über einen jungen Mann, der seinen Vater im Krieg verloren hat und mit seiner Mutter aus Kroatien nach Serbien flieht. Als die Mutter stirbt, kommt er in ein Heim, wird später obdachlos und stirbt mit 21 an einer Überdosis. Und die jungen Männer, die heute 18 oder 20 sind und sich heute den Nationalisten zuwenden, haben schon als kleine Kinder den Hass und die Aggression aufgenommen. Sie sind die langfristigen Kollateralschäden des Krieges. Und jetzt stehen die Politiker plötzlich da und sagen: „Oh Gott, was ist das denn? Wie kriegen wir diese jungen Leute in den Griff?“ Als ob man das Problem nicht seit Jahren hätte voraussehen können.

Das Interview führte Chantal Louis.

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Frauenfilmfestival: Wenn Männer zu viel beten

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Das Internationale Frauenfilmfestival zeigt vom 14. bis 18. April (nicht nur) Filme vom Balkan. Es eröffnet mit dem neuen Film der Berlinale-Siegerin Jasmila Žbanić ("Esmas Geheimnis").

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Luna und Amar sind ein junges, modernes Paar. Sie leben in Sarajevo und arbeiten via künstlicher Befruchtung an einem gemeinsamen Kind. Luna ist Stewardess, Amar Fluglotse. Seinen verantwortungsvollen Job im Tower ist er jedoch bald los: Amar, der Ex-Armeekämpfer im Bosnien-Krieg, trinkt zu viel.
Nach seinem Rauswurf droht Amar abzustürzen, doch dann trifft er durch Zufall Bahrija. Er erkennt den alten Kampfgefährten zunächst nicht, denn der trägt jetzt den langen Bart der Wahabiten. Luna verweigert er den Handschlag, seine eigene Frau ist komplett verschleiert. Bald wird er, gegen das Gesetz, eine Minderjährige zur Zweitfrau nehmen.
Dennoch ist Amar fasziniert von der Gemeinde, die ihm mit ihren strengen Regeln Halt zu geben scheint. Je tiefer Amar in die Welt der Fundamentalisten eintaucht, umso entsetzter ist Luna. Verzweifelt sieht sie ihre Beziehung scheitern.
Vier Jahre nach ihrem Goldenen Bären für „Esmas Geheimnis“ hat Jasmila Žbanić einen weiteren Film gemacht, der sich mit den langfristigen Auswirkungen des Krieges befasst. Und wieder geht die bosnische Regisseurin ein großes Thema der Nachkriegsgesellschaft anhand einer kleinen, persönlichen Geschichte an.
Waren es in „Esmas Geheimnis“ die Kriegsvergewaltigungen, deren generationenübergreifende Folgen Žbanić in einem Mutter-Tochter-Konflikt zeigte, wirft sie nun ihren Blick auf die Verzweiflung der kriegstraumatisierten Männer und ihre Anfälligkeit für fundamentalistische Heilsversprechen.
Ein existenzielles Thema nicht nur, aber auch in Bosnien: Im einst säkularen Sarajevo entstehen seit Kriegsende mit finanzieller Milliardenhilfe arabischer Geldgeber so viele Moscheen wie kaum anderswo auf der Welt.
Jasmila Žbanićs „Na Putu“ (Auf dem Weg) eröffnet das „Internationale Frauenfilmfestival“, das vom 14. bis 18. April in Köln stattfindet, und als Länderschwerpunkt diesmal den Balkan gewählt hat. Rund 20 weitere Spiel-, Kurz- und Dokumentarfilme von Regisseurinnen aus Serbien, Mazedonien oder Bulgarien haben die Kuratorinnen Betty Schiel und Rada Šešic bei ihren Reisen durch die Region aufgetan. Ein beachtliches Ergebnis, denn „der Balkan ist ja keine Region, in der die Bedingungen fürs Filmemachen besonders gut wären. Für Frauen gilt das natürlich doppelt“.

Dabei haben gerade weibliche Regisseure viel zu erzählen über das (Über)Leben in den ex-kommunistischen Ländern, die die Frauenfrage für erledigt erklärt hatten und heute mit neuem Machotum, Nationalismus und Armut zu kämpfen haben. „Trotzdem sind die Filme der Balkan-Regisseurinnen oft sehr komisch“, sagt Betty Schiel. „Sie haben diesen schrägen Humor, den man in Notlagen entwickelt, um die Situation irgendwie zu überleben.“
Wie die 94-Jährige in der Kurzdoku „Humoresque“ der Rumänin Diana Deleanu, die nach einem arbeitsreichen Leben die erforderlichen 100 Euro für ihre Beerdigung nicht besitzt. Kurzerhand macht sie sich ein EU-Programm zur Förderung jungvermählter Ehepaare zunutze und heiratet gewinnbringend ihren betagten Gefährten. In „Snow“ der Bosnierin Aida Begić pflegen die Witwen des Dorfes Slavno ihre verstorbenen Familienangehörigen per Pantomime darzustellen, bis sich die Kinder vor Lachen biegen. Die bulgarische Filmemacherin Iglika Trifonova bereichert die Frauen-Filmwelt um eine Kommissarin.

Nur auf eines sind die Festival-Macherinnen nicht gestoßen: Filme, die sich an das Thema Homosexualität wagen. So ist der einzige Film, der im Rahmen des Festival-Programms „Balkan Queer Pride“ gezeigt wird, bezeichnenderweise die Dokumentation über das Sarajevo Queer Festival 2008, das wegen der brutalen Anfeindungen abgebrochen werden musste. In einer Diskussion im Museum Ludwig berichten Aktivistinnen wie Marija Savić von „Gay Pride Belgrade“ oder die Bloggerin Yana Buhrer Tavanier von der „Bulgarian Activist Alliance“ über ihren harten Kampf um Akzeptanz.
Da können auch Edie und Thea ein Wörtchen mitreden. Die aus Holland emigrierte Jüdin und die Ostküsten-Lady aus Philadelphia lernten sich in den 60ern in New York kennen, wo frau beim lesbischen Tanztee aus Angst vor Razzien stets den Mantel anbehielt. Einige Jahre zuvor war Edie von der Schule geflogen, weil ein Polizist sie mit ihrer damaligen Loverin in einem Auto beobachtet hatte.
Heute blickt das Frauenpaar auf ein halbes Jahrhundert Kampf um Homo-Rechte zurück, der für die beiden mit seiner Hochzeit in Toronto ein würdiges Ende findet. „Edie & Thea – A Very Long Engagement“ (von den Macherinnen der preisgekrönten Dokumentation „The Brandon Teena Story“) durfte einer der berührendsten Beiträge zum Festival-Schwerpunkt „begehrt! Filmlust queer“ sein.
Auch in diesem Jahr schreibt das Internationale Frauenfilmfestival, das 2006 aus der Kölner „Feminale“ und der Dortmunder „Femme Totale“ aus Kostengründen fusionieren musste, den mit 10.000 Euro dotierten internationalen Debüt-Spielfilmwettberb aus.
Aus 90 eingereichten Beiträgen wählten die Festival-Macherinnen acht Filme aus, über die nun die Jury entscheidet: die österreichische Regisseurin und Produzentin Barbara Albert, die deutsche Filmredakteurin Jessica Eisermann – und die serbische Schauspielerin und „Esma“- Darstellerin Mirjana Karanović.
EMMA Frühling 2010

 

www.frauenfilmfestival.eu

 

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