Opfer der Opfer: Bordelle für

Dies ist der Blick aus dem damaligen Bordellraum auf den Appellplatz im KZ Mauthausen.
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Am Morgen des 2. Juli 1943 werden Margarethe W. und einige ihrer Mithäftlinge aus dem Strafblock geholt: „Nummer sowieso, Nummer sowieso, nicht zum Arbeitsappell antreten, drinbleiben! Etwas später mussten wir doch raus, mussten uns anstellen.“ Auf dem Vorplatz der Baracke stehen Lagerkommandant Kögel, fremde SS-Leute und ein weiterer Kommandant, den Margarethe W. nicht kennt. Die Männer schreiten die Frauengruppe ab und winken einige heraus, darunter auch Margarethe W. Die 25-Jährige aus Güstrow hatte als Köchin auf einem Gut bei Rostock gearbeitet und eine Liaison mit einem Gastwirt im Nachbarort, einem „Halbjuden“, begonnen: „Rassenschande“.

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Sie erinnert sich: „In einem Raum mussten wir uns alle ausziehen, nackend. Dann kam diese SS-Horde rein, da war auch Schiedlausky, der Lagerarzt, dabei. Da haben sie uns gemustert. Ich hörte, wie der Schiedlausky sagte: ‚Was, das Gerippe wollen Sie auch haben?‘ Damit war ich gemeint. Da sagte der fremde Kommandant: ‚Die füttern wir uns schon wieder raus. Die kriegt was auf die Knochen, die ist an und für sich gut gebaut.“

Margarete W. ahnt, wofür sie und ihre Leidensgefährtinnen gerade selektiert worden sind. „Ich hatte von einem Kapo gehört, dass es Bordelle gab für die jugoslawische SS in Berlin. Und wenn diese Frauenhäftlinge ‚ausgeleiert‘ waren, hat man sie erschossen, und dann kam ein neuer Transport.“

Was Margarethe W. nicht weiß: Die Männer, denen sie künftig zur Verfügung stehen soll, sind nicht die SS-Schergen – die Bewacher, Folterer und Mörder – sondern die eigenen Mithäftlinge.

Schon ab Kriegsbeginn hatten die Nationalsozialisten begonnen, die „Manneskraft“ der deutschen Truppen mit rund 500 Wehrmachtsbordellen zu stärken. Auch den braunen Elitetruppen der SS mussten verschleppte Frauen in eigens dafür errichteten Bordellen, die als „Folterkammern“ galten, zu Diensten sein. „Die Dirne kann uns gleichgültig sein“, erklärte Propaganda¬minister Goebbels. „Je mehr eine Dirne ausgenutzt wird und je schneller sie dadurch ausgemerzt wird, umso besser ist es.“

Mit dem Anrollen der Kriegsmaschinerie sollte nun auch die Arbeitsleistung der Häftlinge in den Konzentrationslagern gestärkt werden. Im März 1942 verkündete Heinrich Himmler, „dass den fleißig arbeitenden Gefangenen Weiber in Bordellen zugeführt werden sollen“.

Das erste KZ, in dem ein Häftlings-Bordell eingerichtet wird, ist Mauthausen. Dort gibt es ab jetzt ein Antragsformular, genannt „Sprungschein“: „Der Häftlg. Nr.___ bittet gehorsamst, das Bordell besuchen zu dürfen“. Ein Besuch kostet zwei Mark.

Zu denen, die die Lagerchefs für den Dienst in den Bordellen aussuchen, gehören zunächst überwiegend angeblich „verdorbene“ Frauen, die – tatsächlich oder vermeintlich – „Dirnen“ gewesen waren und darum als „Asoziale“ ins KZ verschleppt wurden. In bewährter Bigotterie hatten die Nationalsozialisten Prostitution zwar nicht verboten, wohl aber mehr oder weniger willkürlich diejenigen Frauen verfolgt, die sich „öffentlich in auffälliger Weise zur Unzucht anbieten“. Himmler: „Für uns kommt es nur darauf an, wie die Wirkung auf die Allgemeinheit und das Straßenbild ist.“

Als jedoch immer mehr Häftlingsbordelle errichtet werden – zwölf insgesamt – reicht der Nachschub aus dem „Hurenblock“ nicht mehr aus. Jetzt werden auch Frauen, die sich anderer „asozialer“ Vergehen „schuldig gemacht“ haben, für die verordneten Vergewaltigungen ausgesucht: Zum Beispiel Lesben oder solche, die mit einem Juden, Franzosen oder Polen „Rassenschande“ begangen hatten. Zuguterletzt müssen auch die „Politischen“ ihren eigenen Genossen zu Diensten sein. Bei der Rückkehr ins Lager werden sie dann zu „Asozialen“ heruntergestuft. Wenn sie zurückkehrten. Denn wer schwanger oder geschlechtskrank geworden war, wird „liquidiert“.

Mindestens 35.000 Frauen wurden bis zum Ende der braunen Ära in Bordelle verschleppt. Die meisten von ihnen rekrutierten die Nazis im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück. Wie Margarethe W., die „Nr. 13“ unter den 16 Frauen des Häftlingsbordells Buchenwald.

Drei Wochen hat sie zunächst „Schonzeit“, weil sie zum Skelett abgemagert ist. „Als ich wieder gesund war und dann doch ran musste, wollte ich nicht mehr. Ich überlegte dauernd, wie geht es am besten, Schluss zu machen? Ich habe es nicht gemacht und musste dann zum ersten Mal doch einen Häftling nehmen. Wir mussten nun jeden Abend acht Männer über uns rübersteigen lassen, innerhalb von zwei Stunden.“

Zwei politische Häftlinge sorgen dafür, dass ihr die täglichen Fließband-Vergewaltigungen erspart bleiben. Sie selbst haben aber keine Skrupel, ihr „Recht“ zu verlangen. „Die haben den anderen Häftlingen gesagt: Die 13, die gehört uns. Von Anfang an wurde beschlossen: Wir schicken dir Häftlinge, die tun dir nichts, aber wenn wir kommen – wir wollen unseren Teil. Die beiden kamen abwechselnd, der eine kam den einen Tag, der andere den nächsten.“

Später wird Margarethe W. doch noch versuchen, „Schluss zu machen“. Nämlich als zu Weihnachten einer der beiden Häftlinge, Heinz, von seiner Mutter ein Weihnachtspaket bekommt. „Er gab mir ein paar braune Lebkuchen und weiße Pfeffernüsse ab und meinte, ich würde ja sicher auch ein Paket kriegen. Ich hab gesagt, nein, ich krieg keins. Er hat dann ehrlich mit mir geteilt. Als er weg war, hab ich einen Moralischen gekriegt. Ich hab mir die Pulsadern geöffnet.“

Während die Existenz der Wehrmachts- und SS-Bordelle recht rasch bekannt wurde, blieben die Häftlingsbordelle lange Zeit unter einem doppelten Mantel des Schweigens verborgen. Zunächst versuchten die Nationalsozialisten selbst die Tatsache, dass sie nun auch Häftlinge in ihr Bordell-Belohnungssystem einbezogen hatten, geflissentlich zu verbergen. Schriftwechsel über die Bordelle trugen den Stempel „Geheim“, bei Lager-Führungen durften die eingezäunten Baracken am Rande der Lager Besuchern nicht gezeigt oder auch nur erwähnt werden. Aber auch nach Kriegsende ging das verschämte Verstecken des Unerhörten weiter. Auch die KZ-Gedenk¬stätten verschweigen nach 1945 die Häftlingsbordelle.

In der Gedenkstätte Buchenwald zum Beispiel, die auf ehemaligem DDR-Gebiet liegt, haben die MitarbeiterInnen bis in die 90er Jahre hinein die Anordnung, das Bordell nicht zu erwähnen und auf Fragen dazu möglichst knapp zu antworten. Und auch die Lagergemeinschaften, die sich nach der Befreiung bilden, klammern die Erinnerung an das Leid der zwangsprostituierten Frauen und die kollaborierenden Männer aus. Oder sie bagatellisieren mit der Begründung: Die Frauen seien schließlich schon vor ihrer Inhaftierung Prostituierte gewesen und hätten sich „bis auf wenige Ausnahmen in ihr Schicksal hemmungslos gefügt“.

„Die Teilhabe von männlichen Häftlingen an der von der SS organisierten sexuellen Gewalt gegen Frauen, Häftlinge wie sie selbst, durfte die Narratio des Überlebens nicht beflecken“, erläutert Carola Sachse, Professorin am Institut für Zeitgeschichte an der Universität Wien. „Befleckt blieben hingegen die Frauen, die ihre Zwangsprostituierung in den Lagern überlebt hatten.“ Es ist der Historikerin und elf ihrer StudentInnen zu verdanken, dass der Mantel des Schweigens nun endgültig von dem so gründlich verschütteten Tabuthema genommen wurde.

Die erste, die sich auf die Spurensuche begab, war Anfang der 90er Christa Paul. Bei einem Auschwitz-Besuch hatte die deutsche Historikerin einen Überlebenden von einem Häftlingsbordell erzählen hören. Sie forschte nach und veröffentlichte 1992 einen ersten Text in EMMA. Zwei Jahre später folgte ihr Buch über ‚Staatlich errichtete Bordelle im Nationalsozialismus‘, in dem auch Margarethe W. ihre Geschichte erzählte. Dann herrschte lange wieder Schweigen.

Erst zehn Jahre später stießen in Wien die angehenden HistorikerInnen bei ihren Forschungen über das österreichische KZ Mauthausen auf das Ungeheuerliche und beschlossen, es einer größeren Öffentlichkeit bekannt zu machen. Auf Initiative von Katharina Kniefacz, Baris Alakus und ihren neun KommilitonInnen entstand so die erste Ausstellung über die Häftlingsbordelle.

Sie zeigt Fotos zum Beispiel der „Koberzimmer“ mit ihren Sehschlitzen, durch die die SS den korrekten „Vollzug“ überwachen konnte. Texttafeln, ein Dokumentarfilm und ein Hörspiel beschreiben das Grauen. Heute stehen nur noch zwei der Bordell-Baracken, denn außer den Gedenkstätten Mauthausen und Gusen haben alle anderen die Orte der Schande in der Schande abgerissen.

Margarethe W., die nach Kriegsende zunächst in der DDR lebte, wurde dort als ‚Opfer des Faschismus‘ anerkannt. Als sie vor dem Mauerbau in die BRD umsiedelte, stellte sie einen Antrag auf Anerkennung als „politisch Verfolgte“ nach dem Bundesentschädigungsgesetz. Der Antrag wurde abgelehnt. Begründung: Frau W. sei wegen ihres „asozialen Verhaltens“ verhaftet worden.

Weiterlesen
Baris Alakus u.a.: Sex-Zwangsarbeit in nationalsozialistischen Konzentrationslagern (mandelbaum, 17.80 €).
Christa Paul: Zwangsprostitution. Staatlich errichtete Bordelle im Nationalsozialismus (Edition Hentrich, 14.90 €).

www.ravensbrueck.de

 

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