Sorgerecht: Keine Rechte ohne Pflichten
Was ist von den Plänen für das automatische Sorgerecht für nicht verheiratete Väter zu halten? Die Berliner Ex-Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit beginnt ihre Antwort mit einer Anekdote, die sich in den 1960ern zugetragen hat. Da hatte in einer Gerichtsverhandlung eine junge Frau auf die Frage, wie denn der Mann heiße, der sie geschwängert hatte, geantwortet:
„Reiner Mako“. Der Witz an der Sache: „Mako“ war damals die gängige Bezeichnung für Baumwolle, „Reiner Mako“ stand damals auf dem Schild im Bund sehr vieler Herrenunterhosen. Die Dame hielt dies für den Namen des Bettgefährten, hatte also de facto keine Ahnung, wie der Vater ihres Kindes hieß. Der war ohnehin längst auf und davon. „Reiner Mako“ aber blieb – und wurde in Juristenkreisen zum geflügelten Wort und Synonym für im wahrsten Sinne des Wortes flüchtige Bettgenossen.
Was Peschel-Gutzeit, heute Fachanwältin für Familienrecht in Berlin, mit dieser Anekdote sagen will, ist: Sie hält überhaupt nichts davon, dass nicht verheiratete Väter das Sorgerecht womöglich künftig automatisch erhalten können. „Dann würde ja jeder Reiner Mako demnächst das Sorgerecht bekommen.“ Ihr Fazit: Das Sorgerecht muss eine Antragssache bleiben.
Aber Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hat andere Pläne. Und die ehemalige Justizsenatorin ist nicht die Einzige, die sie mit Skepsis beäugt. Auch der Verband alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV) und der Deutsche Juristinnenbund laufen Sturm gegen das, was sich im Hause Leutheusser-Schnarrenberger zusammenbraut.
In den nächsten Wochen wird das Justizministerium das Sorgerecht für unverheiratete Eltern reformieren und einen Gesetzentwurf vorlegen. Zwei Modelle stehen im Raum. 1. Das „Antragsmodell“: Die Mutter erhält automatisch das Sorgerecht. Der Vater kann erklären, die Sorge ebenfalls ausüben zu wollen. Widerspricht die Mutter, kann der Vater das Familiengericht anrufen. 2. Das „Widerspruchsmodell“, das die Justizministerin klar bevorzugt: Mutter und Vater erhalten automatisch das gemeinsame Sorgerecht. Möchte die Mutter dies nicht, kann sie Widerspruch einlegen, über den ein Familiengericht entscheidet. Dieses, so Leutheusser-Schnarrenberger, müsse für den Fall, dass es der Mutter das alleinige Sorgerecht zuspricht, „triftige Gründe anführen“. Ihr Ziel: Dass „in möglichst vielen Fällen Eltern gemeinsam das Sorgerecht ausüben. Denn das ist im Zweifel für das Kind das Beste.“
Das bezweifeln VAMV und Juristinnenbund. Jedenfalls dann, wenn den Rechten der Väter keine Pflichten gegenüberstehen. Denn das „moderne Sorgerecht“, das sich die Justizministerin erträumt, wird im Alltag von einer sehr altmodischen Realität eingeholt: 90 Prozent aller nichtehelichen Kinder getrennt lebender Eltern leben bei der Mutter. Laut VAMV nimmt „ein großer Teil der Väter das Umgangsrecht nicht oder nicht regelmäßig wahr“. Und dann ist da noch die Sache mit dem Unterhalt: Jeder dritte Vater zahlt laut Bundesfamilienministerium gar keinen Unterhalt, ein weiteres Drittel zahlt unregelmäßig. Dabei wären laut einer Forsa-Studie drei Viertel der unterhaltssäumigen Männer ökonomisch in der Lage, ihre Verpflichtungen zu erfüllen. Deshalb fragt Jutta Wagner, Familienrechtlerin und Präsidentin des Juristinnenbundes: „Es geht in dieser Diskussion sehr viel um die Rechte der Väter. Aber wie steht es denn mit ihrer Verantwortung?“
Und Edith Schwab, ebenfalls Familienrechtlerin und Vorsitzende des VAMV, bestätigt: „Entgegen der geäußerten Absicht der Ministerin verbessert das Sorgerecht von Vätern für sich allein gesehen nicht die Situation der Kinder, wenn es völlig abgekoppelt von jeglicher Übernahme von Verantwortung und Empathie für das Kind daherkommt.“ Schwab kritisiert: „Mit ihrem Vorstoß schießt die Ministerin weit über das durch die Gerichte vorgegebene Ziel hinaus.“
Tatsächlich bleibt Leutheusser-Schnarrenberger nichts anderes übrig, als die deutsche Sorgerechts-Gesetzgebung in Sachen nichteheliche Väter zu novellieren. Gleich zwei Gerichtsurteile – eins aus Straßburg und eins aus Karlsruhe – zwingen sie dazu. Allerdings geht es in den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts nur um ein einziges Detail im deutschen Gesetz: Beide Gerichte hatten es für menschenrechts- bzw. verfassungswidrig erklärt, dass ein nichtehelicher Vater bisher keinerlei Möglichkeit hatte, sein Sorgerecht einzuklagen.
Bei der Kindschaftsreform von 1998 hatte der Gesetzgeber zwar das Recht der Väter insofern gestärkt, als dass erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik nicht verheiratete Eltern gemeinsam die Sorge für ihr Kind übernehmen konnten. Bis dato lag das Sorgerecht immer und automatisch bei der Mutter. Im Zuge der Reform, die das Stigma „unehelich“ für Kinder endgültig abschaffen wollte (was die DDR schon 1950 getan hatte), wurde dies nun geändert. Lebt also beispielsweise ein Paar ohne Trauschein zusammen und bekommt ein oder mehrere Kinder, können Vater und Mutter beim Jugendamt erklären, dass sie das gemeinsame Sorgerecht möchten. Dieses unkomplizierte Verfahren ist immer noch aktueller Stand der Dinge, und es wird auch ausgiebig genutzt: Für zwei Drittel aller nichtehelich geborenen Kinder geben Eltern diese gemeinsame Sorgerechtserklärung ab.
Das Problem ist das andere Drittel. Ist die Mutter nämlich nicht damit einverstanden, dass der Vater mit ihr gemeinsam das Sorgerecht erhält, hatte dieser bisher keinerlei Möglichkeit, dagegen vorzugehen. Und hier legten Straßburg und Karlsruhe nun ihr Veto ein: Dies, erklärten sie, sei „ein unverhältnismäßiger Eingriff in das Elternrecht des Vaters“. Der müsse die „Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung“ bekommen.
Diese Möglichkeit zu schaffen, ist also das einzige, was die beiden Gerichte der deutschen Justizministerin aufgegeben haben. Insofern sei es „völlig unverständlich“, so der VAMV, dass die Ministerin ihre Gesetzesreform nun auch noch um ein automatisches Sorgerecht für die unverheirateten Väter erweitern will. Zumal Leutheusser-Schnarrenberger nach dem Straßburger Urteil im Dezember 2009 noch erklärt hatte, dass sie das automatische gemeinsame Sorgerecht „skeptisch“ sehe. Es sei jedenfalls dann „keine gute Lösung“, wenn „schon bei der Geburt des Kindes Vater und Mutter nicht mehr zusammenlebten“.
Das sieht die Ministerin inzwischen anders. Womöglich, weil die Lobbyarbeiter der Väterrechtsorganisationen von „Pappa.com“ bis „Väteraufbruch“ (der den in Straßburg klagenden Vater unterstützt hatte) in dieser Zeit nicht untätig waren?
VAMV und Juristinnenbund bleiben jedenfalls dabei: Die Konsequenzen der Entscheidungen, die der Vater trifft, trägt in den meisten Fällen – die Mutter.
Beispiel Arbeitsplatz: Eine alleinerziehende Mutter, die mit dem Vater ihres Kindes das Sorgerecht teilt, wird arbeitslos. In einer 100 Kilometer entfernten Stadt bekommt sie ein gutes Jobangebot plus Kitaplatz für das Kind. Der Vater, der im Rahmen des Sorgerechts auch das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind teilt, lehnt ab. Die Frau kann nicht umziehen und lebt jetzt von Arbeitslosengeld. Beispiel Schule: Die Mutter möchte das Kind auf eine Schule im Wohnviertel schicken. Der Vater bevorzugt eine weiter entfernte Schule mit besserem Ruf. Die Mutter, die deshalb kein Verfahren vor dem Familiengericht anstrengen will, beugt sich dem Willen des Vaters. Sie ist nun diejenige, die das Kind zur Schule und zu den SchulfreundInnen fährt und abholt. Beispiel Urlaub: Keine Reise ohne Zustimmung des Vaters. Im Prinzip kein Problem. Was aber, wenn der Vater in bester „Reiner Mako“-Manier nicht greifbar ist? Oder wenn er, wie Familienrechtlerinnen zuhauf melden, seine Zustimmung als Druckmittel einsetzt?
Und überhaupt: Was ist im Falle Häuslicher Gewalt und Missbrauch in der Ex-Beziehung? Was mit Kindern, die aus Vergewaltigungen oder Inzest entstanden sind? Für all diese Fälle müssten im Falle des automatischen Sorgerechts Ausnahmeregelungen geschaffen werden. Liefe es anders herum, wäre das nicht nötig.
Der Juristinnenbund hat deshalb nun einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt, der im Grundsatz dem „Antragsmodell“ entspricht: Sofern die unverheirateten Eltern nicht ohnehin die gemeinsame Sorge erklärt haben, kann der Vater die elterliche Sorge beantragen. Sie wird gewährt, sofern die Mutter nicht widerspricht. Tut sie das, kann der Vater das Familiengericht anrufen.
Der VAMV geht sogar noch einen Schritt weiter: Er schlägt vor, dass den Gerichten „ein Kriterienkatalog“ an die Hand gegeben werden soll, der helfen soll zu ergründen, ob der Vater durch die gemeinsame Sorge tatsächlich mit der Mutter zusammen Verantwortung für das Kind übernehmen will. Zu diesen Kriterien gehört: Nimmt der Vater sein Umgangsrecht verlässlich und kontinuierlich wahr? Hat er eine tragfähige Beziehung zum Kind aufgebaut? Zahlt er Unterhalt? Letzteres spielt übrigens bis heute in den Verfahren um den Umgang und das Sorgerecht keine Rolle.
Natürlich wäre es schön, die Verantwortung nichtehelicher Väter zu stärken“, resümiert Jutta Wagner vom Juristinnenbund. „Aber der Weg sollte umgekehrt gehen: Die Väter sollen zunächst mal Verantwortung übernehmen. Die Mütter haben diese Verantwortung ungefragt an 365 Tagen im Jahr und 24 Stunden am Tag.“
Bei den Vätern sieht das anders aus. So besagt das „Widerspruchsmodell“ der Justizministerin, dass „nicht miteinander verheiratete Eltern von Anfang an das gemeinsame Sorgerecht erhalten, wenn die Vaterschaft geklärt ist und ...“ Achtung: „... wenn der Vater erklärt hat, das Sorgerecht gemeinsam mit der Mutter ausüben zu wollen“. Von einer Sorgepflicht des Vaters für das eigene Kind steht nichts im Gesetz.
Im Jahr 2008 hatte eine unverheiratete Mutter den Vater ihres Kindes auf Umgang mit dem Kind verklagt. Sie hatte nicht eingesehen, dass er sich seiner Verantwortung entzog. Die Klage wurde abgewiesen. Reiner Mako muss sich keine Sorgen machen.
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Entsorgte Väter (5/2009)