Zehn Jahre Frauen an der Waffe
Was Ende des 20. Jahrhunderts noch ein totales Tabu in Deutschland war, ist inzwischen eine Selbstverständlichkeit: die Soldatin. Barbara Sichtermann zieht Bilanz.
Wer heute von Integration spricht, bezieht sich meist auf das Zusammenleben der deutschen Bevölkerung mit Migranten. Es gibt aber noch eine andere Integration, die weniger von sich reden macht, doch ähnlich bedeutend ist: das Zusammenleben von Männern und Frauen in der Bundeswehr. Und zwar auf allen Ebenen, in allen Waffengattungen. Freiwillig hat die deutsche Armee sich nicht für die Frauen geöffnet: Sie musste, im Namen der Gleichheit der Geschlechter, vom Europäischen Gerichtshof dazu gezwungen werden, das Berufsverbot für Frauen in der Bundeswehr fallen zu lassen. Es ist zehn Jahre her, dass das Gericht entschied: Frauen sollen bei der Armee nicht mehr nur im Sanitätswesen und im Musikkorps Dienst tun können, sondern überall. Die Schwester im Lazarett gab es ja immer schon. Jetzt aber haben wir die Panzerfahrerin, die Jagdbomberpilotin und die Zugführerin. Die allerdings nicht so genannt werden. Man verwendet die männliche Form. Im Schriftverkehr heißt es dann: „Leutnant (w)“.
Diese kleine sprachliche Unschärfe zeigt schon: Die Truppe ist weiterhin männerdominiert. Zehn Jahre sind eine kurze Frist für das Aufbrechen und Umkrempeln einer Männerbastion, die – neben der katholischen Kirche – zu den ältesten und verschworensten der Welt zählt. Männerclubs, Männerdomänen und Männerbastionen definieren sich in erster Linie durch ihre Aufgabe; in zweiter dann aber schon durch ihre Abgrenzung von den Frauen, und sehr bald, mehr oder weniger explizit und tätlich, durch deren Abwertung.
Werden solche Verhaltensweisen plötzlich unmöglich gemacht, weil Frauen in nennenswerter Anzahl dem Club bzw. der Bastion beitreten, gerät erstmal alles durcheinander. Keiner weiß mehr, was richtig und falsch ist. Die Old Boys warnen und lästern – so einst Rainer Brüderle, der „rosarote Panzer“ auf sich zurollen sah – die aufgeschlossenen New Boys ersinnen sich einen neuen Komment, und der Rest verharrt in skeptischer Neugier. Bedenkt man all diese restriktiven Voraussetzungen, ist der Wandel, der sich dennoch dank der Annäherung von Männern und Frauen in der kämpfenden Truppe bei der Bundeswehr vollzogen hat, durchaus als Erfolg zu werten. In jeder Hinsicht: für die Emanzipation, für die Soldaten (m) und für die Armee insgesamt.
Das Militär hat die Frauen nicht gerufen – obwohl es sie, da allenthalben Not am Nachwuchs herrscht, inzwischen gut gebrauchen kann. Die Klage einer jungen Frau namens Tanja Kreil, unterstützt vom Bundeswehrverband und ermutigt von der damaligen Staatssekretärin im Verteidigungsministerium, Michaela Geiger (CSU), hat vor zehn Jahren den Europäischen Gerichtshof zu folgendem Urteil bewogen: Es verstößt gegen den Gleichheitsgrundsatz, Frauen vom Dienst an der Waffe auszuschließen, der entsprechende Artikel 12a im Grundgesetz muss fallen. So geschah es. Ein Jahr danach, am 1. Januar 2001, traten die ersten Rekruten (w) ihren Dienst an. Inzwischen gibt es an die 17000 Soldatinnen bei der Bundeswehr, das sind knapp 9 Prozent der Gesamtstärke, Tendenz steigend. Die Führung möchte gern auf 15 Prozent erhöhen. Ob dieser Prozentsatz nicht nach oben korrigiert werden muss, wenn die Wehrpflicht fällt, bleibt abzuwarten. Es ist wahrscheinlich.
Etwa 40 Prozent der weiblichen Bundeswehrangehörigen sind weiterhin in der traditionellen „Frauenbastion“ innerhalb der Männerbastion, dem Sanitätswesen, tätig. Der Rest verteilt sich auf Heer (20%), Luftwaffe (11%), Marine (7%) und Streitkräftebasis (22%). Zur Tornadofliegerin haben es bis jetzt nur zwei Frauen gebracht, Kampfschwimmerinnen gibt es noch keine einzige, aber 321 Frauen haben den Führerschein für schwere Panzer. Bei Auslandseinsätzen sind derzeit zirka 380 Frauen dabei.
2500 haben die Offizierslaufbahn eingeschlagen. Was Befehl und Gehorsam betrifft, so finden sich Frauen also keineswegs nur auf Seiten derer, die die Hacken zusammenschlagen. Sie erteilen auch Befehle. An diesem Punkt kulminierten die Ängste der Männer. Befragungen vor Eintritt der Frauen im Jahr 2001 zeigten: Wenn ein Soldat es nicht selbst für kaum denkbar hielt, einer Frau Gehorsam zu leisten, so befürchtete er doch den Widerstand seiner Kameraden. Noch bis ins Jahr 2005 war die Stimmung entsprechend angespannt. Dann schlug sie um.
Denn die Befürchtung, Frauen würden durch ihre schiere Präsenz die Truppe desorganisieren, erwies sich als unbegründet. Sicher, anfangs war es für die Kameraden noch gewöhnungsbedürftig, Kommandos zu befolgen, die von einer Frauenstimme gegeben wurden, aber diese Gewöhnung erfolgte rasch.
Insgesamt waren es ja die Umgangsformen, das Miteinander beim Manöver, auf dem Truppenübungsplatz, im Biwak, auf der Stube, die vorab größere Kopfschmerzen bereitet hatten. Werden die Männer die Frauen nicht auslachen? Werden die Frauen die Männer nicht verwirren?
Große Überraschung: Es war nicht (lange) so. Nach dem ersten Schrecken stellte sich eine so kaum erwartete Normalität ein. Nicht mal die sexuelle Belästigung kommt beim Militär öfter vor als in anderen Organisationen, in denen Männer und Frauen zusammen arbeiten. Verteidigungsminister zu Guttenberg hat das Erbe dieser positiven Entwicklung hochgestimmt angetreten: „Ich freue mich, dass Frauen in der Bundeswehr zur Normalität geworden sind.“
Wie das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr berichtet, ist aber noch mehr passiert: Der raue Umgangston wurde entschärft, das Verhalten der Truppe insgesamt zivilisierter. Und das nicht, weil Frauen so nett sind und die Männer mit ihrer Nettigkeit angesteckt hätten, sondern weil die Notwendigkeit für beide Geschlechter, miteinander auszukommen, diese erfreuliche Entwicklung angestoßen hat. Gelingende Integration baut Vorurteile ab und räumt mit Abwertungen und Beschimpfungen auf. Das ist bei Deutschen und Migranten so und auch bei Soldaten (m) und Soldaten (w).
Eine andere Urangst der Militärs aus den Zeiten vor der Integration bezog sich auf die – körperliche und mentale/psychische – Leistungsfähigkeit von Frauen. Würden sie nicht anfangen zu weinen, wenn der Feind angreift, und würden ihre männlichen Kameraden nicht reflexartig ihrem Beschützerinstinkt folgen und die Mädels in Sicherheit bringen, anstatt den Feind aufzuhalten?
Zu diesem Punkt kann man sich kurz fassen. Was die Durchhaltefähigkeit in einer harten Ausbildung, generell die Eignung zum Marschieren, Kämpfen und Handhaben der Waffe betrifft, stehen Frauen den Männern in nichts nach. Was die Männer aber nur zögerlich zugeben wollen: Jeder dritte Soldat (m) bestreitet es bis heute.
Aber zwei von drei finden: Die Kameradinnen packen es. Mental und psychisch, also beim Niederkämpfen von Angst und beim Fassen schneller Entschlüsse, sind Frauen den Männern auch schon mal überlegen. Was an körperlicher Fitness gefordert werde, sagt eine Soldatin, entspreche etwa „dem Niveau des Deutschen Sportabzeichens“. Und beim Training in Sachen Tapferkeit und Zähigkeit sind Frauen – einfach stärker.
Man sollte hier aber hinzufügen, dass die Soldatin freiwillig zur Bundeswehr geht, also hochmotiviert ist, während der Soldat – noch – verpflichtet wird. Das kann einen Qualitäts-Unterschied zuungunsten der Männer bewirken. Nach erfolgter Integration und erhöhtem Frauenanteil sowie der Umstellung auf eine Berufsarmee – wenn es denn dazu kommen sollte, was ganz so aussieht – werden sich die verbliebenen Unterschiede wohl weiter einebnen.
Es ist, frauenpolitisch betrachtet, bei der Bundeswehr nicht anders als in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft: In unteren und mittleren Rängen der Hierarchien kommen immer mehr Frauen vor und überzeugen durch Bestleistungen. In der dünnen Luft der oberen Ränge aber muss man sie dann suchen. Andrea Jeska konstatiert in ihrem Buch „Wir sind kein Mädchenverein. Frauen in der Bundeswehr“ (2010): „Frauen in Führungspositionen bei der Bundeswehr sind nach wie vor die Ausnahme.“ Eine Begründung, die diesen Umstand weniger diskriminierend erscheinen lässt, wird gleich mitgeliefert: „Die Soldatinnen der ersten Stunde haben gerade erst die erforderliche Laufbahn hinter sich, um überhaupt leitende Stellen bekleiden zu können.“
Man darf also hoffen, dass die Zukunft mehr Generäle (w) hervorbringen wird, und das ist keine unbegründete Hoffnung, wenn man sich die Zahl der Offiziersanwärterinnen anschaut. Und man darf davon ausgehen, dass diese Führungskräfte irgendwann dann auch mal ganz selbstverständlich „Generalinnen“ genannt werden.
Es waren vor zehn Jahren nicht nur die unverbesserlichen alten Knasterbärte beim Barras, die es falsch fanden, die Armee für Frauen ganz zu öffnen. Linke, Grüne, SPD und viele Feministinnen waren seit der 1979 von Alice Schwarzer angestoßenen Debatte – sie forderte damals als erste einen uneingeschränkten freiwilligen Zugang von Frauen zur Bundeswehr – heftige Gegner: „Frauen in die Bundeswehr – nein danke!“ lautete die Parole, die sich zu einer regelrechten Kampagne mit Zügen eines Glaubenskrieges auswuchs. Frauen seien „von Natur aus friedlich“ – und Männer von Natur aus kriegerisch.
Bis zuletzt leisteten vor allem die Grünen und mit ihnen die SPD Widerstand gegen einen uneingeschränkten Zugang von Frauen zur Bundeswehr, also inklusive Ausbildung an den Waffen und damit Zugang in die Kommandozentralen. Übrigens: Eine Kanzlerin wäre mit dem alten Berufsverbot für Frauen verfassungsrechtlich nicht möglich gewesen – denn der Bundeskanzler (w) ist in Kriegszeiten oberste Befehlshaberin der Bundeswehr.
Etwas weniger ideologisch und pragmatischer fragten andere: Muss Gleichheit so weit gehen? Sollten Frauen nicht lieber ihr Privileg, im Kriegsfalle zu Hause bleiben zu dürfen, genießen? Eine Position, die nicht nur deshalb unhaltbar ist, weil das Zeitalter der Kabinettskriege, in dem sich die Heere weit draußen „im Feld“ begegneten und die Frauen davon gar nichts mitkriegten, vorüber ist und spätestens seit dem 2. Weltkrieg die „Zivilbevölkerung“ genauso bedroht ist wie das Militär. Sie hilft auch der Emanzipation nicht weiter, die nur gewinnen kann, wenn Frauen in Männerbastionen eindringen, selbst wenn das Leben dadurch vielleicht ungemütlicher wird.
Es ist also gut, dass unser – von kämpferischen Frauen wie Elisabeth Selbert ins Grundgesetz hineingeschriebener – Gleichstellungssatz die Messlatte geblieben ist, an der entlang Gleichheitspolitik Schritt für Schritt umgesetzt wird. Dabei zeigt sich immer wieder, dass die Geschlechterunterschiede längst nicht so tiefgreifend sind, wie lange behauptet. Je weiter wir mit der Gleichstellung kommen und je mehr sich viele der angeblich „natürlichen“ geschlechtsspezifischen Differenzen als Chimären erweisen, desto besser können sich die individuellen Unterschiede entfalten, auf die es letztlich ankommt.
Eine Frau beim Bund ist in der Regel ein sportlicher, risikobereiter, kämpferischer Mensch, der sich ein Berufsfeld gesucht hat, auf dem er seine Eigenart ausleben zu können glaubt. Seit zehn Jahren gibt es davon eines mehr. Und eine Soldatin riskiert heute nicht weniger als der Soldat an den Fronten fern der Heimat ihr Leben – oder zumindest eine lebenslange Traumatisierung.
Die Autorin hat u.a. mit Ingo Rose das Buch „Männer am Rande des Nervenzusammenbruchs“ geschrieben (Edition Ebersbach).