Prostitution: Modell Deutschland
„Sind sexuelle Handlungen gegen ein vorher vereinbartes Entgelt vorgenommen worden, so begründet diese Vereinbarung eine rechtswirksame Forderung. (...) Bei Prostituierten steht das eingeschränkte Weisungsrecht im Rahmen einer abhängigen Tätigkeit der Annahme einer Beschäftigung im Sinne des Sozialversicherungsrechts nicht entgegen.“
Am 19. Oktober 2001 beschloss die rot-grüne Regierungsmehrheit im deutschen Bundestag das „Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten“. Die damalige Frauenministerin Christine Bergmann (SPD) freute sich: „Endlich erhalten deutsche Prostituierte einen besseren rechtlichen und sozialen Schutz.“ In Kraft trat das Gesetz am 1. Januar 2002, doch über seine praktischen Folgen kann das Bundesministerium für Frauen erstaunlicherweise auch nach nunmehr 16monatiger Laufzeit noch nichts sagen: Bilanziert werde „erst nach drei Jahren“.
Lediglich die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte hat statistische Daten gesammelt, was allerdings nicht viele Mühe machte. Denn die Nachfrage nach sozialversicherungspflichtiger Sex-Arbeit sei „sehr verhalten“, so BFA-Pressereferent Stefan Braatz. Genauer: „Sie tendiert gegen Null.“ Im Klartext: Keine einzige der schätzungsweise 100.000 inländischen Prostituierten, ist bis heute via Arbeitsvertrag von einem Bordellbetreiber angestellt worden (ihre mindestens 200.000 illegalen ausländischen Kolleginnen ohne Aufenthaltserlaubnis haben ohnehin nichts von dem rot-grünen Gesetz).
Dass einer „Beschäftigung im Sinne des Sozialversicherungsrechts nichts entgegensteht“, verpflichte „keinen Bordellbetreiber zu irgendwas“, hatte bereits im Juli 2002 Mechthild Eickel von der Bochumer Beratungsstelle Madonna auf der „Fachtagung Prostitution“ in Dortmund beklagt. Die meisten Prostituierten in Deutschland wollen sich allerdings auch nicht verpflichten: zum Zahlen von Steuern, Sozialabgaben und Krankenkassenbeiträgen wie andere Angestellte. Und sie selbst finden auch gar nicht, dass die Prostitution „ein Beruf wie jeder andere“ ist – sie schämen sich und wollen nicht, dass man weiß, was sie tun.
Eine Prostituierte monierte in Dortmund, das rot-grüne Gesetz erlaube „uns Huren zwar, unsere Vergütung bei Freiern“ einzuklagen: „Doch wie soll das gehen, wenn unsere angeblich legale Tätigkeit mit dem Werbeverbot, der Gaststätten- und der Sperrgebietsverordnung kollidiert?“
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In der Tat: Gemeinden unter 50.000 EinwohnerInnen durften bislang die Ausübung der Prostitution in ihrem Gebiet generell verbieten. Ob das trotz des rot-grünen Gesetzes so bleiben wird, entscheidet demnächst das Leipziger Bundesverwaltungsgericht in einem Grundsatzurteil. Anlass: ein Fall in Neustadt an der Weinstraße in Rheinland-Pfalz, wo ein Hauseigentümer unter Berufung auf die neuen gesetzlichen Freiheiten zwei Wohnungen in einem Mehrfamilienhaus zur so genannten „Wohnungsprostitution“ nutzen wollte. Dagegen klagte die Gemeinde bis zum Oberverwaltungsgericht in Koblenz. Und das befand, dass die Sperrgebietsverordnung weiterhin gilt, weil sie vor allem „in kleineren Städten und Gemeinden empfindliche Sozialstrukturen schützt“.
Irrungen und Wirrungen. Bild entdeckte im vergangenen Sommer auf den Internet-Seiten der Bundesanstalt für Arbeit folgende Stellenanzeige: „Kundenbetreuung im mobilen Wohnwagen, Mindestalter 18, keine Vorkenntnisse erforderlich.“
Der Arbeitgeber, ein Kfz-Mechaniker aus dem hessischen Girkenroth, bot: „3000 Euro brutto, 5-Tage-Woche, täglich 12 bis 22 Uhr. Mit Urlaub und Krankenversicherung.“ Also anscheinend völlig legal im Sinne des neuen Gesetzes.
Doch nach der Pressefrage wurde das „dubiose Stellenangebot“ wurde plötzlich gelöscht. Begründung der Nürnberger Bundesanstalt: „Das ist ein Einzelfall, in dem das Prostituiertengesetz zu weit ausgelegt wurde.“Aber wie soll’s denn nun ausgelegt werden?
EMMA 3/2003
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Dossier: Prostitution abschaffen! (3/03)
EMMA Kampagne Prostitution