Modell Schweden

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„Wer sich gegen Vergütung eine zufällige sexuelle Beziehung beschafft, wird – wenn die Tat nicht mit einer Strafe nach dem Strafgesetzbuch belegt ist – für den Kauf sexueller Dienste zu einer Geldstrafe oder zu einer Gefängnisstrafe von im Höchstfall sechs Monaten verurteilt.“

Hinter diesem unscheinbaren Satz verbirgt sich eine weltweite Einmaligkeit: die Bestrafung von Prostitutionskunden statt die Kriminalisierung oder Legalisierung von Prostituierten. Das schwedische Anti-Freier-Gesetz, das im Januar 1999 in Kraft trat, ist Bestandteil eines ganzen Gesetzespakets. Umfassend soll es Männergewalt gegen Frauen ahnden. Titel: „Kvinnofrid“ – Frauenfrieden.
Langfristiges Ziel des Anti-Freier-Gesetzes ist die Abschaffung der Prostitution. „Niemand soll die Sexualität eines anderen Menschen, die von Frauen, Männern oder Kindern, kaufen dürfen. Das passt nicht zu einer Demokratie“, sagt die schwedische Schriftstellerin Maria-Pia Boethius. Dabei stehe nicht der Bestrafungsgedanke im Vordergrund, sondern das Unrechtsbewusstsein: „Das Allerwichtigste ist der Symbolwert und die Schaffung eines Tabus.“
Bis Oktober 2002 wurden in Schweden 360 Freier festgenommen, 200 sind zu Geldstrafen verurteilt worden, im Höchstfall drohen bis zu sechs Monaten Gefängnis. Verurteilt wurden bisher auch drei Offiziere, die sich im Kosovo und in Bosnien-Herzegowina Frauen gekauft hatten – denn die Freiern drohende Strafe gilt auch für die Soldaten der schwedischen Friedenstruppen im Ausland. Der durchschnittliche Prostitutionskunde im Inland ist etwa 40 Jahre alt, lebt in einer festen Beziehung und hat Kinder. So die Statistik.
KritikerInnen des Anti-Freier-Gesetzes bemängeln, dass es die Prostitution nicht abschafft, sondern nur verlagert. Per Internet oder verschlüsseltes Zeitungsinserat hätten Männer nach wie vor die Möglichkeit, Frauen zu kaufen, die in Wohnungen anschaffen statt auf dem Straßenstrich oder in Bordellen. Fuhren die Schweden früher meist nach Dänemark, um billig an Alkohol zu kommen, suchen sie dort jetzt billigen Sex, behaupten die KritikerInnen.
Darüber führt die schwedische Regierung keine Statistiken. Aber sie kann belegen, dass das Anti-Freier-Gesetz Frauen und Mädchen aus dem Osten Europas vor Zwangsprostitution schützt. Mit Öffnung der Grenzen stieg in Skandinavien vor allem die Zahl der Prostituierten aus dem Baltikum – allein in Finnlands Hauptstadt Helsinki von 200 im Jahr 1999 auf über 4000 im Jahr 2002. Die Zahl der nach Schweden verschacherten baltischen Sexsklavinnen blieb laut Regierungsberaterin Gunilla Ekberg in diesem Zeitraum konstant bei 200. „Unser Gesetz ist eine Abschreckung für Menschenhändler!“, triumphiert Ekberg.
Auf Initiative der schwedischen Regierung schlossen sich jetzt die nördlichen Teile Schwedens, Norwegens, Finnlands und Russlands zusammen, um russischen Frauen und Mädchen durch wirtschaftliche Unterstützung Alternativen zur Prostitution zu bieten. Außerdem gibt es eine nordisch-baltische Kampagne, mit der gemeinsam gegen Frauenhandel im Baltikum vorgegangen werden soll. Die Programme starten noch in diesem Jahr.

www.nordicbalticcampaign.org EMMA 3/2003

Weiterlesen
Dossier: Prostitution abschaffen (3/03)
Das Anti-Freier-Gesetz (2/99)
EMMA Kampagne Prostitution

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