Alice Schwarzer: Anne Klein ist tot
Sie hat bis zuletzt sehr tapfer gekämpft – und eigentlich wollte sie diesen Frühling noch einmal in der Provence genießen. Denn diese Seite der geborenen Saarländerin, ihre französische, war in den 40 Jahren Berlin zu kurz gekommen. Das aber hat Anne Klein, die so viel geschafft hat in ihrem Leben, nicht mehr geschafft. In der Nacht zum Ostersamstag ist die nur 61-Jährige ihrem Krebsleiden erlegen. In den zahlreichen Nachrufen wird stehen, dass Anne eine kämpferische Juristin und Feministin war, und wie sie in ihren zwei Jahren als Frauensenatorin in Westberlin Pionierarbeit geleistet hat. Das ist richtig. Aber ich, wenn ich an Anne denke, die ich seit über dreißig Jahren kenne, denke an einen ganz ungewöhnlich liebenswürdigen und großzügigen Menschen. Anne hat es geschafft, mit den unterschiedlichsten Menschen befreundet zu sein und war ganz und gar unberlinerisch ambivalenzfähig.
Das war wohl das Saarländische an ihr. In diesem kleinen gebeutelten Land zwischen Frankreich und Deutschland, das sich in den 1950er Jahren für die rechtsrheinische Seite entschieden hatte, kommen die Menschen vermutlich nur mit Gelassenheit und Diplomatie weiter. Dass sie außerdem gut kochen können, wie Anne, versteht sich. Und ein gewisser Charme gehört auch dazu, im Fall von Anne eine ganz eigene Mischung von herb-weichem Charme. Das kleine Lächeln, von dem man nie sicher wissen konnte, ob es nun ironisch gemeint ist, und dieser immer perfekt gebügelte hochgestellte Kragen...
Aber reden wir von der Juristin und Politikerin. Im Wendejahr 1989 war die damals 39-jährige Anwältin, spezialisiert in Familienrecht, die erste offen feministische Frauensenatorin in Walter Mompers „Frauensenat“, mit den fünf Senatoren und acht Senatorinnen. Die parteilose Anne Klein ist über die Alternative Liste in die Regierung gekommen. Dem Ressort „Frauen, Familie und Jugend“ fügt sie sogleich das „Referat für gleichgeschlechtliche Lebensformen“ hinzu. Es ist das erste Referat dieser Art in Deutschland. Und ja: „Ich lebe mit einer Frau“, sagt sie und ist damit der/die erste offen homosexuelle PolitikerIn in Deutschland – lange, lange vor Wowereits „Und das ist auch gut so“. Selbstverständlich wird sie prompt scheinliberal vorgeführt: als „Frauenliebende Senatorin“ (taz), die sich „zur gleichgeschlechtlichen Lebensweise bekennt“ (Spiegel) bzw. aus derselben „keinen Hehl“ mache (Süddeutsche Zeitung).
Anne Klein kümmert es nicht. Die parteilose - jedoch lebenslang mit den Grünen sympathisierende - Senatorin bleibt in diesen zwei Jahren an der (relativen) Macht innerlich unabhängig. Sie tut, was ihr dringlich scheint: gibt Geld für eine Zufluchtwohnung für Prostituierte oder für ein Mädchenhaus und unterstützt verstärkt die drei Frauenhäuser. Über ihre Öko-Kameraden sagt sie spöttisch: „Das Atom-Gesetz kennen die in- und auswendig. Aber kennen sie auch die Gesetzeslage zur Gleichberechtigung der Frau?“ Die Juristin Klein, die in Berlin Anfang der 1970er Jahre die erste „Frauen-Kanzlei“ gegründet hatte, kennt sie – und boxt gegen viel Widerstand, auch aus den eigenen Reihen, das erste Antidiskriminierungsgesetz durch.
Anne Klein verliert auch an der Macht nicht ihren Sinn für Gerechtigkeit. Als EMMA-Reporterin Viola Roggenkamp sie im Oktober 1990 einen Arbeitstag lang begleitet, mit ihr nach Ostberlin fährt, sagt die West-Senatorin über die letzten Züge der DDR: „Hat ja auch was Imperialistisches, was wir hier tun. Das wird der West-Berliner Senat alles übernehmen. Und die kriegen beratende Funktion und fertig. Ist doch so.“
Nach der Wiedervereinigung kandidiert die als Senatorin umstrittene – und auch von Feministinnen wenig unterstützte - Anne Klein nicht mehr. Die Politik ist wohl doch nicht so ihre Welt. Sie geht in ihren Beruf zurück, wird Mitbegründerin und Präsidentin des Versorgungswerks der Rechtsanwälte, inklusive Versorgungsanspruch für gleichgeschlechtliche Hinterbliebene.
Anne Klein hinterlässt Barbara Binek, die mit ihr über 26 Jahre das Leben teilte und mit der sie sich zuguterletzt noch „verpartnert“ hat. Mit Barbara trauern viele darüber, dass Anne viel zu früh gestorben ist. Doch sie hat ihr Leben gelebt - und es genossen.
Adieu, Anne.
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Viola Roggenkamp: „Die Senatorin geht“ (11/90)