Schweiz: FrauenSTREIK
Am 14. Juni bleibt in der Schweiz die Küche kalt. Und die Betten brennen auch nicht. Frauenstreik ist angesagt.
49O vor Christus. Im alten Athen verweigern die Frauen ihren Männern so lange jeden „ Liebesdienst", bis die endlich den Peloponnesischen Krieg beenden. Die Idee des Frauenstreiks gibt es, so lange es die Demokratie gibt.
Wie die antike Lysistrata, so die moderne Schweizerin: Am 14. Juni ist Frauenstreik. An Universitäten, in Betrieben, im Klassenzimmer, im Haushalt (und im Ehebett?) geht an diesem "lag nichts. Politikerinnen, Journalistinnen, Künstlerinnen, Lehrerinnen und Pfarrerinnen haben zum Streik aufgerufen. Nichts soll an diesem Tag so sein wie sonst — noch nicht mal die Schweizer Schokolade: Die Arbeiterinnen der Schokoladenfirma ,,Tobler" wollen ebenfalls strei¬ken. Wenn frau will, steht alles still.
Die Idee zum Frauenstreik hatten die weiblichen Mitglieder in der Uhren- und Metall-Gewerkschaft. Was die Genossen erst als „spinnige Weiber-ldee" abtaten, bekam im Herbst letzten Jahres eine überraschende Zweidrittel-Mehrheit beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB). Da wollten die Sozialdemokraten nicht hintanstehen und beschlossen auf ihrem Parteitag, den Frauenstreik zu unterstützen.
Von Genf bis ins Bünderland haben sich Streikkomitees an die Arbeit gemacht. Sie drucken Postkarten und Luftballons, planen Aktionen in den Betrieben und auf der Straße. Hausfrauen werden auf zentralen Plätzen gemeinsam ihre ,,Streiksuppe" kochen, und so mancher Ehemann wird an diesem Tag seinen Nachwuchs mit zur Arbeit bringen müssen: Muttern fällt am 14. Juni leider aus.
Die Schweizer Banker haben schon den Taschenrechner gezückt: Auf eine halbe Milliarde Franken schätzt die Wirtschaftszeitung ,,Cash" den Schaden, den der Frauenstreik der Schweizer Wirtschaft zufügen wird. Die restlichen 364 Tage im Jahr haben die Frauen den Schaden: Die Schweizerinnen verdienen ein Drittel we¬niger als ihre männlichen Kollegen (der Durchschnittsschweizer verdient heute über 52OO Franken).
Und die "Schweizer Arbeiterin bringt am Monatsende gerade mal so viele Franken nach Hause wie ihr Kollege vor zehn Jahren. Dafür macht sie nach Feierabend den Haushalt und kümmert sich um die Kinder.
,,ln diesem Nulltempo kann es nicht weitergehen!", wettert die Frauen-Sekretärin des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, Margit Meier. Zwar ist die Gleichberechtigung seit zehn Jahren in der Bundesverfassung verankert. Dort heißt es in Artikel 4 Absatz 2: „Mann und Frau sind gleichberechtigt. Das Gesetz sorgt für ihre Gleichstellung, vor allem in Familie, Ausbildung und Arbeit. Mann und Frau haben Anspruch auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit.
Doch genau dieses Gesetz, das die Verfassung in die Realität umsetzt, gibt es bis heute nicht. In den ganzen zehn Jahren hat es der Gesetzgeber gerade mal geschafft, einen ersten Entwurf zu formulieren, der erst Anfang dieses Jahres den Verbänden und Parteien zur Stellungnahme vorgelegt wurde.
Die Schweizerinnen sind mit ihrer Geduld am Ende! Mit ihrem Streik fordern sie unter anderem: Gerechte Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau! Gleiche Aufstiegschancen! Kinderkrippen und Tagesschulen! Gleiche Krankenkassenprämien! Leistungsgerechte Sozialversicherungsbeiträge!
1975 legten neun von zehn Isländerinnen einen Tag lang ihre Arbeit nieder. Sie verdienten damals, genau wie die Schweizerinnen heute, ein Drittel weniger als ihre männlichen Kollegen. Der Effekt war beeindruckend: In Island brach das gesamte öffentliche Leben zusammen. Banken, Geschäfte, Schulen, Kindergärten und Theater waren geschlossen. Viele Männer konnten nicht arbeiten, weil sie auf ihre Kinder aufpassen mußten. Selbst das Telefon stand still. Fünf Jahre später haben die Isländerinnen eine Feministin als Staatspräsidentin gewählt, Vigdis Finnbogadittir. Inder Schweiz stehen diesen Herbst eidgenössische Wahlen an. Wenn frau will...?