Es ist nicht okay!
Eine Frau steht an einer Bar, ins Gespräch vertieft. Ein Mann geht vorbei und langt ihr an den Po. Wie reagiert die Frau? Sie dreht sich um und fragt den Mann: Was soll das? Und sagt zu dem Barkeeper: Werft den Typ raus! Sie macht die anderen Leute auf das übergriffige Verhalten des Mannes aufmerksam und schafft damit eine Öffentlichkeit. Soweit der Sexismus in der realen Welt.
Verfasst eine Frau einen Blogeintrag oder kommentiert einen Artikel auf einer Webseite, kann es sein, dass sie digital angetatscht wird. Was aber sollte sie in diesem Fall tun? Netzaktivistinnen haben im April 2011 hatr.org ins Leben gerufen. Auf dieser Online-Plattform sammeln sie sogenannte Troll-Kommentare und stellen sie online. Eine kleine Auswahl: „Genderwahn ist eine psychische Krankheit, die einer professionellen Behandlung bedarf.“ Oder: „Bittebitte nicht löschen, sonst verprügel ich aus lauter Frust meine Frau.“ Oder: „Echt übel, diese unfemininen Klappergestelle.“
Was ist ein Troll-Kommentar? Kathrin Ganz von hatr.org erklärte es dem Bayerischen Rundfunk: „Troll-Kommentare wollen die Diskussionen verhindern, die auf feministischen Blogs normalerweise laufen. Wenn die dann bei uns auf hatr vorgeführt werden, dann ist das so jenseits des eigentlichen Kontextes, dass der Kommentar zwar in der Öffentlichkeit gezeigt wird, aber seinen eigentlichen Sinn verfehlt.“
Besonders Frauen, die sich mit vermeintlich „harten Themen“ wie Technik oder Politik beschäftigen, sind häufig Attacken ausgesetzt, die aggressiv bis sexistisch sind. Eine Münchner Professorin für Soziologie und Gender Studies erhält zum Beispiel täglich E-Mails mit Hinweisen auf angeblich sachliche Irrtümer in ihren Texten, häufig gekoppelt mit Beleidigungen, als Frau wäre sie ja eh zu dumm, hässlich oder ungebildet, um an einer Hochschule lehren zu können. Ähnlich geht es dem Missy Magazine, der EMMA, oder feministischen Bloggerinnen, die sich mit frauenpolitischen Themen kritisch auseinandersetzen. Sie alle müssen immer mit Reaktionen sogenannter Maskulisten rechnen: Das sind Männer, die finden, Frauen sollten lieber zurück an den Herd gehen, statt sich in der realen oder virtuellen Welt einzumischen. Oder sie müssten „einfach nur mal ordentlich durchgefickt werden“.
„Wir müssen niemanden darüber aufklären, dass es zum Beispiel Sexismus im Netz gibt“, sagt Co-Initiatorin Nadine Lantzsch. Aber es ist wichtig, dass die Betroffenen sehen, dass sie nicht allein damit sind. Und: Dass System hinter den Angriffen steckt.
Die Betreiberinnen des feministischen Weblogs Mädchenmannschaft löschen täglich dutzende solcher Kommentare, da eine sachliche Auseinandersetzung mit den Absendern in der Regel unmöglich ist. Die Kommentatoren wollen pöbeln, nicht kommunizieren.
Die Verwaltungssoftware Wordpress, das technische Rückgrat vieler Blogs, bietet ein paar Möglichkeiten, virtuelle Pöbler und Pograbscher von Internetseiten zu verbannen: über IP-Ban etwa oder Moderation – hier muss jeder Kommentar freigeschaltet werden. Über ihren Umgang mit Trollen schreibt die Bloggerin Anna Berg auf maedchenmannschaft.net: „Mit jedem Kommentar, den sie hinterlassen, mit jedem Hinweis auf das so genannte ‚Prämenstruelle Syndrom‘ oder ‚Untervögelung‘, werde ich mehr darin bestärkt, Feministin zu sein. Mit jeder ‚Fotze‘, die wir löschen, werden wir ermuntert, weiterhin laut und deutlich für die Gleichberechtigung aufzustehen – und uns dabei auch nicht feige hinter anonymen Nicks zu verstecken.“
Diese Maskulisten haben eigene Webseiten, häufig werden dort Namen und Informationen zur Person von engagierten Frauen veröffentlicht. Da heißt es zum Beispiel in einem Posting über eine Telekom-Managerin, die das Unternehmen verlässt: „Ich bin sicher, dereinst werden die genderkommunistischen Hochverräter der westlichen Kultur blutig zur Rechenschaft gezogen werden. Das erleben zu dürfen ist der einzige Grund, warum ich hoffe, recht alt zu werden.“
Darüber kann man lachen – aber auch weinen. Ich kann es als Spinnerei abtun und möglichst nicht mehr weiterlesen. Ich kann auch stolz sein, dass meine Meinung so viel Gewicht hat. Nach dem Motto: Viel Feind, viel Ehr. Oder ich kann mich mit anderen Frauen vernetzen, die auch vorgeführt werden – denn Einzelfälle sind solche Hass-Attacken leider nie.
Neben all den Beleidigungen, Demütigungen und Unterstellungen gibt es noch ein viel bedrohlicheres Feedback auf selbstbewusste Frauen im Netz: explizite Drohungen mit Gewalt, Vergewaltigung oder gar Mord. Vor einigen Jahren wurde die Geschichte der kalifornischen Programmiererin Kathy Sierra bekannt. Die Reaktion auf ihr Technik-Blog: über tausend anonyme Droh-Mails, bis hin zur Morddrohung. Sierra ging zur Polizei und erstattete Anzeige. Doch die Angst blieb. Schließlich erklärte sie vor vier Jahren auf ihrem Blog, dass sie der Computer-Branche den Rücken kehren wird – zu müde und zu verletzt, um weiterzukämpfen. Sie verabschiedete sich mit den Worten: „Ich habe Angst, mein Haus zu verlassen. Ich werde mich nie mehr sicher fühlen. Ich werde nie wieder dieselbe sein.“
Kathy Sierra ist der bekannteste Fall einer Bloggerin, die vor den massiven Gewaltandrohungen resigniert hat. Aber sie ist nicht die Einzige. Auch die Mainzer Bloggerin Stephanie Mayfield hatte mehrere Morddrohungen in ihrem Postfach. Gleich nach Erhalt der ersten Mord-Mail hat sie Anzeige erstattet. Es ist eine Straftat, jemandem eine Morddrohung per E-Mail zu schicken, jede Polizeidienststelle muss solche Mails ernst nehmen. Im Fall von Stephanie Mayfield führte die Spur in ein Internet-Café in Innsbruck. Mayfield bloggte über den Vorfall. Daraufhin meldeten sich weitere Frauen bei ihr, die ähnliche Mails von derselben IP-Adresse erhalten hatten.
„Die Wahrscheinlichkeit, dass das Internetcafé in Innsbruck fünf verschiedene Täter beherbergt, die an Feministinnen und deren Kinder Morddrohungen schicken, ist einfach ziemlich gering. Und so haben wir in meinem Fall erstmals diverse Fälle verknüpft und der Polizei in Mainz auch die Daten von anderen Opfern desselben Täters zur Verfügung gestellt“, berichtet Mayfield.
Der nächste Schritt wäre die Zusammenarbeit der Mainzer Polizei und der Innsbrucker Polizei gewesen. Doch die Mainzer Staatsanwaltschaft hat das Verfahren eingestellt. Stephanie Mayfield hat über ihre Anwältin Beschwerde gegen diese Entscheidung eingelegt. Sie wurde abgelehnt. Für Mayfield ist ihr Fall keine Privatsache und auch keine Bagatelle: „Es ist immer ein Politikum, wenn Menschen versuchen, andere zum Schweigen zu bringen.“
Wer also in der virtuellen Welt beleidigt oder bedroht wird, hat im Prinzip ähnliche Möglichkeiten zur Gegenwehr, wie die Frau in der realen Welt, die von einem Pograbscher belästigt wird. Zum Beispiel laut schreien. Andere darauf aufmerksam machen. Und im schlimmsten Fall: zur Polizei gehen. Es ist auf jeden Fall besser, sich zu wehren, statt die Belästigung stillschweigend hinzunehmen.
Die Standard aus Österreich zitiert die britischen Psychologinnen Stephenie Chaudoir und Diane Quinn, die folgende Reaktion bei Frauen beobachtet haben: „Alle Männer werden negativ gesehen, wenn einer ein Sexist ist.“ Grund genug für alle männlichen Anti-Sexisten, den Maskulisten den Garaus zu machen.
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Brüll zurück! (1/11)
Geschlechterkrieg im Internet? (3/10)