Adele: Sie stürmt die Charts

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Man bescheinigt ihr das wärmste, tiefste, kräftigste, kurz: das „beste Lachen des Musik-Business“. Aber als der Ausstatter der Grammy Awards mit ihr aneinanderrasselte, zeigte sich, dass an einem Punkt nicht mit Adele zu spaßen ist. Der Mann hatte an ihrem Kleid herumgekrittelt, das sie bei der Verleihung der Musik-Oscars in Los Angeles zu tragen beabsichtigte und das wie immer lang, schwarz und schlicht war. Der Designer wollte es kurz und knapp, wie er es eben von den Popdamen von Shakira bis Rihanna gewohnt ist. „Ich bin nicht so ein debiles Modepüppchen, dem man diktiert, was es anzieht oder was es essen darf!“ fertigte Adele ihn ab. Und setzte nach: „Wenn das ein Manager versuchen würde, würde ich ihn sofort rausschmeißen.“ Ob der Ausstatter seinen Job noch hat, ist nicht bekannt.

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Unstrittig ist jedoch: Adele Laurie Blue Adkins ist ein Phänomen. Und das nicht nur, weil die damals 20-Jährige an jenem 8. Februar 2009 mit ihrem Debut-Album „19“ gleich in vier Kategorien für den bedeutendsten Musik-Preis der Welt nominiert war und ihn zweimal gewann: als „Bester neuer Künstler“ und „Beste weibliche Gesangsdarbietung“.

Die Britin mit der „massiven“ Stimme gilt Kritikern als „Soul Sensation“ und „eins der größten Talente, die das Insel-Königreich in diesem Jahrtausend zu bieten hat“. Niemand, aber auch wirklich niemand verkauft zur Zeit mehr Platten als Adele, selbst Lady Gaga nicht. Ihre Hits komponiert sie allesamt selbst, was durchaus bemerkenswert ist angesichts der Tatsache, dass Superstars wie Madonna oder Robbie Williams eine Armada von Hitschreibern beschäftigen.

Das Phänomenale am sensationellen Erfolg von Adele aber ist: Die junge Frau, die mit vier gleichzeitigen Charts-Platzierungen selbst die Beatles aus dem Feld geschlagen hat, bricht nicht nur sämtliche Rekorde, sondern auch sämtliche Regeln der Musikbranche. Zum Beispiel die optischen: Adele ist üppig und muss sich in nahezu jedem Interview zu Kleidergröße und Körperfülle befragen lassen. Ihre Antworten zeugen von großer Gelassenheit. „Ich gehe lieber mit meinen Freunden essen als ins Fitness-Studio“, sagt sie zum Beispiel und gibt zu Protokoll, dass sie guten Wein liebt und im übrigen auch gern backt. „Ich mag es, hübsch auszusehen, aber Bequemlichkeit geht bei mir immer über modische Zwänge“, erklärt sie, oder: „I don’t rely on my tits to have hits.“ Frei übersetzt: Ich bin nicht auf meine Titten angewiesen, um Hits zu haben.

Welche ihrer Songs das Zeug zum Hit haben und als Single herausgebracht werden, bestimmt Adele. Ebenso, mit welchen Musikern und Produzenten sie arbeitet. Das hat sie sich in den Vertrag schreiben lassen, den sie mit zarten 19 Jahren beim Label XL unterzeichnete. „Adele weiß genau, was sie will“, sagt XL-Chef Richard Russell. „Sie ist unglaublich fokussiert und sagt dir sofort, welche deiner Ideen Unfug sind.“ Auch die Wahl ihrer Plattenfirma zeugt vom Hang nach Unabhängigkeit. Das Supertalent hatte Angebote von sämtlichen Branchenriesen, entschied sich aber für das vergleichsweise kleine Label, das auch Peaches oder M.I.A. vertritt. „Ich will kein Produkt sein“, erklärt Adele. „Ich treffe alle Entscheidungen in meiner Karriere selber. Ohne Ausnahme.“

Die Weltkarriere von Adele Adkins begann auf einem Küchentisch in Tottenham. Hier, in Nord-London, ließ Mutter Penny ihre fünfjährige Tochter bei Partys länger aufbleiben und den Gästen auf dem Küchentisch ihre Sangeskünste präsentieren. Einen Vater gab es nicht, der walisische Seemann hatte sich, nachdem er Adeles Mutter mit 18 geschwängert hatte, aus dem Staub gemacht. Die Tochter, die „nichts vermisste“, stellte sich nach ihren Darbietungen mit einer Dose Haarspray, die den Brit Award darstellen sollte, vor den Spiegel und hielt Dankesreden. 14 Jahre später hielt sie die begehrte Trophäe wirklich in den Händen.

Nicht ganz unmaßgeblich für Adeles Durchsetzungsfähigkeit, aber auch für ihren Musikgeschmack, dürfte die Tatsache gewesen sein, dass das Mädchen in seiner Grundschulklasse die einzige Weiße war. Geld gab es keins im Hause Adkins, dafür aber Kreativität: Mutter Penny schlug sich und ihre Tochter als Möbelbauerin und Masseurin durch. Noch heute lebt Adele mit ihrer Mutter zusammen, jetzt aber in einem großen Appartment, das die Tochter von ihrem ersten Geld finanzierte. Außerdem ließ sie ihrer Großmutter den Garten machen, der seit dem Tod des Großvaters verwildert war.

Mit 14 wurde das Talent auf der Brit School for Performing Arts angenommen, der Talentschmiede, die auch Amy Winehouse oder Katie Melua hervorbrachte. 2008 war dann das Jahr der britischen Frauen-Musik-Offensive: Duffy, Lily Allen, Kate Nash und Amy MacDonald traten auf den Plan. Und natürlich Amy Winehouse, „die gezeigt hat, das Frauen singen können“, sagt Adele. Adele selbst legte nach dem Hype um „19“ eine Auszeit ein. Sie erklärte ihrem Manager und ihrer Plattenfirma, man möge sie drei Monate lang mit E-Mails und Anrufen verschonen. Was sie taten.

Anfang 2011 legte Adele mit „21“ nach. Und statt sich wie Rihanna in Stacheldraht zu wickeln oder wie Lady Gaga die Motoradmieze zu geben, zeigt Adele auf ihrem CD-Cover schlicht: ihr ganz entspanntes Gesicht.

„Die jungen Frauen dieser Welt brauchen nicht noch ein Role Model wie Madonna“, schrieb die Daily Mail. „Was sie brauchen, ist jemand, der vollkommen bei sich ist und seine persönliche Freiheit über den Erfolg stellt. De facto also jemanden wie – Adele.“

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