Jennifer Lawrence: Klare Ansagen

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Das testosterondominierte Hollywood reduziert bis heute Frauen meist auf die Rolle des „love interest“, das dem männlichen Star bei der Heldentat hübsch harmlos zur Seite steht – vor der Kamera und gern auch im Privatleben. Jennifer Lawrence, gerade zum zweiten Mal für einen Oscar nominiert, gilt als Ausnahme.

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In der Rolle der Ree Dolly in Debra Graniks Sozialdrama „Winter’s Bone“ häutete die damals 17-Jährige Eichhörnchen; in David O. Russells „Silver Linings“, einer Tragikkomödie über seelische Verletzungen, spielte Lawrence die junge Witwe Tiffany so souverän-mitfühlend, als habe sie nicht nur Bradley Cooper aus der Psychiatrie zurück ins Leben geführt.

Durch die Debatte um ihren „zu weiblichen Körper“ (will sagen: zu dicken), die vor zwei Jahren bei „X-Men: Erste Entscheidung“ einsetzte und nach der Premiere des Science-Fiction-Abenteuers „The Hunger Games – Die Tribute von Panem“ weiter eskalierte, wurde der 22-jährige Star auch abseits der Kinoleinwand für Millionen Mädchen und Frauen zu einem Fixstern der Selbstbestimmung. Statt sich Hollywoods Diktat der spitzen Beckenknochen zu beugen, zieht Lawrence lautstark gegen den Magerwahn zu Felde. „Die meisten Verantwortlichen in der Filmindustrie begreifen nicht, wie oft wir Anorexia nervosa glorifizieren. Wenn eine Schauspielerin für eine Rolle hungert und anschließend beschreibt, wie sie das gemacht hat, gibt sie jungen Mädchen praktisch eine Anleitung für Essstörungen. Das ist ein riesiges Problem!“, klagt Lawrence im Gespräch mit EMMA. Für den eigenen Körper, 1,75 Meter groß und etwa 55 Kilogramm schwer, orientiert sie sich an ein selbstformuliertes Schönheitsideal. „Wer mich ansieht, soll eine Frau sehen und keinen vorpubertären Jungen.“

Dass Lawrence sich nach acht Jahren Hollywood weiterhin nicht stromlinienförmig in das Heer blonder Starlets einfügt, schreibt sie vor allen ihrer Kindheit im ländlichen Kentucky zu. Als Tochter eines Bauunternehmers und einer Leiterin von Kinderferienlagern wuchs das Mädchen zusammen mit den älteren Brüdern Blaine und Ben recht frei auf einem Pferdehof in Louisville auf. Nach jedem Sturz wurde rasch wieder aufgesattelt. „Wer aufgewachsen ist wie ich, überlebt auch in Hollywood“, lacht Lawrence mit der rauchigen Stimme einer Greta Garbo.

Nach der Einsicht, am Schulpult nicht glänzen zu können, erwog die damals 13-Jährige eine Karriere als Model. Bei einem Ausflug nach New York drückte ihr eine Agentin ein Drehbuch in die Hand. „Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich das Gefühl, etwas wirklich zu verstehen und etwas leisten zu können“, erinnert sich Lawrence.

Der Erkenntnis folgte nach einem Crashkurs durch die High School der Umzug nach Los Angeles. Nach Gastrollen in Serien wie „Monk“ und „Cold Case“ stand Jennifer in dem von Charlize ­Theron produzierten Filmdrama „Auf brennender Erde“ vor der ­Kamera. Für den Part der Brandstifterin Mariana wurde sie 2008 bei den Filmfestspielen von Venedig mit dem Marcello-Mastroianni-Preis geehrt. Der Auszeichnung als „Beste Nachwuchsdarstellerin“ folgten Critics’ Choice Awards, mehrere Publikumspreise und im Januar 2013 der Golden Globe als „Beste Hauptdarstellerin“ in ­„Silver Linings“.

Während Lawrence die Schauspielerei mit dem Pragmatismus einer Südstaatlerin als Handwerk versteht, definiert sie ihre Rolle als Vorbild junger Mädchen täglich neu. Als jugendliche Heldin Katniss Everdeen verkörpert sie in der „Panem“-Saga eine starke, intelligente und vor allem vielschichtige Heldin, die anders als die männlichen Vertreter des Genres auch zur Empathie fähig ist. Die Absage an die üblichen Attribute eines „eye candy“ haben Scharen von Kinogängerinnen inspiriert. Der erste Teil der Trilogie spielte seit Frühjahr 2012 weltweit mehr als 700 Millionen Dollar ein – obwohl oder gerade weil Jennifers Katniss – wie vor 34 Jahren ­Sigourney Weavers Ellen Ripley – kein bloßes Beta-Weibchen an der Seite eines Alpha-Mannes ist. „Die Rolle als Vorbild nehmen viele Schauspielerinnen nicht so wahr. Ich hingegen bin mir der Verantwortung bewusst“, sagt Lawrence.

Amerikanische Talker wie Ellen DeGeneres und David Letterman haben längst aufgehört, sie mit Standardfragen zu wechselnden Haarfarben und Romanzen zu langweilen (Lawrence soll sich vor vier Wochen von dem britischen Darsteller Nicholas Hoult getrennt haben). Doch wie einst in Kentucky, wo die Herausgeber des Schuljahrbuchs die damals 13-Jährige zur „mitteilsamsten Schülerin“ wählten, nimmt sie auch in Los Angeles kein Blatt vor den Mund. „Hollywoods Königin der klaren Ansage“ redet Tacheles.

Als Lawrence nach dem Golden Globe für „Silver Linings“ in Anspielung auf die ebenfalls nominierte Meryl Streep ein ­selbst­bewusstes „Ich habe Meryl geschlagen!“ von der Bühne rief, brach ob der vermeintlichen Respektlosigkeit umgehend ein Twitter-Sturm los. Doch Lawrence stellte bei Letterman beherzt klar: „Das war ein Zitat aus einem Film, Ihr Idioten!“.

Nicht zuletzt dank der von Lawrence so überzeugend verkörperten Rollen prophezeien Beobachter inzwischen eine Renaissance der frauengesteuerten Filme. Nachdem in Hollywood Produktionen mit starken Hauptdarstellerinnen seit den 1960er Jahren auffällig rar geworden sind, verheißen Filme wie „Brautalarm“, „Die Tribute von Panem“ oder das Südstaaten-Drama „Beasts of the Southern Wild“ eine Trendwende. Jennifer Lawrence Tage als Einzelkämpferin des roten Teppichs könnten gezählt sein.
 

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