Rola El-Halabi: Wieder im Ring

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Ihr Stiefvater und Trainer hatte ihr gezielt die Hände und Füße zerschossen. Aber die Weltmeisterin hat nicht aufgegeben. Jetzt boxt sie wieder.

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Jedes Mal, wenn Rola El-Halabi nach ihrem Glas greift, ist sie unübersehbar: die wulstige rote Narbe auf ihrem Handrücken. Es ist die rechte Hand, Rolas Schlaghand. Die, mit der sie in zwölf Profikämpfen elfmal gewonnen und sechs ihrer Gegnerinnen k.o. geschlagen hatte.
Als Hicham El-Halabi, Rolas Stiefvater, am 1. April 2011 bewaffnet in die Umkleidekabine der Sporthalle in Berlin-Karlshorst stürmt, in der seine Stieftochter vor ihrem nächsten WM-Kampf steht, da weiß er genau, was er tut. Der vor Wut rasende Mann gibt vier gezielte Schüsse ab: rechte Hand, linker Fuß, rechtes Knie, rechter Fuß. Hicham El-Halabi hat nur ein Ziel: Rola, seine Rola, die ihn so bitter enttäuscht hat, soll nie wieder boxen!
Seitdem hat Rola El-Halabi darum gekämpft, dass er dieses Ziel nicht erreicht. Und sie hat gewonnen. „Nach zwei Jahren können Sie mal wieder anfangen, auf einen Sandsack zu schlagen“, hatten die Ärzte gesagt, nachdem sie eine Metallplatte in die zertrümmerte Hand eingesetzt hatten. Aber Rola hört nicht auf die Mediziner, sondern auf ihren Körper. Und der sagt ihr schon nach ein paar Monaten, dass er bereit ist.
Im November 2012 verkündet die zweifache Weltmeisterin auf einer Pressekonferenz ihr Comeback. Und am 12. Januar 2013, knapp zwei Jahre nach dem Attentat, steht die Boxerin wieder im Ring und kämpft vor 5000 ZuschauerInnen um den Titel. Sie verliert, aber nur knapp nach Punkten: Gegnerin Lucia Morelli kann ein paar Körpertreffer mehr landen.
Der Weg zur Weltklasseboxerin begann für Rola El-Halabi in einer Neu-Ulmer Grundschule. Ihr leiblicher Vater ist zu diesem Zeitpunkt schon seit ein paar Jahren verschwunden. Er war gemeinsam mit seiner Ehefrau aus dem Libanon nach Deutschland geflüchtet, wenige Monate nach der Geburt von Rolas jüngerer Schwester Katja verlässt er die Familie. Das könnte eine Befreiung sein, denn der Mann ist ein Schläger. Die Mutter wurde mit 19 an ihn zwangsverheiratet. „Sie hat ihn verabscheut“, erinnert sich Rola.
Als Hicham El-Halabi auftaucht, ist schnell klar, dass auch er der Herr im Haus sein wird. Tochter Rola versteht das. „Sie stand ja ganz allein in einem fremden Land, ohne Geld, ohne Deutsch, ohne Schulabschluss.“ Hicham, der einen gut laufenden Autohandel betreibt, adoptiert Rola und Katja und wird der neue Papa.
Rola ist ein verschüchtertes, ängstliches Mädchen. Sie wird in der Schule gehänselt. Der Stiefvater bringt Rola zum ­Box­training. Mit 16 ist sie Baden-Württembergische Meisterin im Kickboxen, mit 18 Deutsche Meisterin. 2007, da ist Rola 22, schlägt sie ihre erste Gegnerin in einem Profi-Boxkampf k.o. Zwar weiß Rola inzwischen längst, wie man sich gegen pöbelnde Mitschüler zur Wehr setzt und selbstsicher durchs Leben geht – aber innerhalb der eigenen vier Wände unterwirft sie sich weiterhin dem Gesetz des Vaters, der jetzt auch ihr Manager ist. Und das lautet: Training. Keine freie Minute. Kein Kinoabend mit Freundinnen. Und, klar, keinen Freund. „Er war der ­Über­zeugung, dass eine Frau, die zu viele Freiheiten hätte, zur Schlampe würde.“
Hicham El-Halabi herrscht mit Zuckerbrot und Peitsche. Er macht seinen Töchtern großzügige Geschenke, finanziert Urlaube und Markenklamotten. Aber wenn sie nicht genau tun, was er will, rastet er aus. Dann schreit und schlägt der 100-Kilo-Mann. Dann brüllt er, „dass er uns alle umbringt, wenn wir ihn verlassen sollten“.
Rola ist 24, als sie entdeckt, dass das Leben, das sie führt, nicht ihres ist. Dass da mehr sein könnte, als rund um die Uhr zu funktionieren. Und sie verstößt gegen das wichtigste Gesetz: Sie lernt Kosta kennen und lieben. Kosta ist in Deutschland geboren und hat griechische Eltern. In deren Dorf herrscht noch Blutrache. Der junge Mann weiß also, wie es sich unter archa­isch-patriarchalen Regeln lebt und hasst sie genauso wie Rola. Beide wissen, dass sie ab jetzt gefährlich leben.
Brandgefährlich wird es, als die Weltmeisterin sich aus ­Hicham El-Halabis Würgegriff befreien will und ihn als Manager feuert. „Du hast dich für einen anderen Mann entschieden!“ schreit der Vater. Aber er hat nicht mit der Willensstärke seiner Tochter gerechnet.
„Zwei, drei Tage nach dem Attentat war ich total am Ende“, erzählt Rola. Sie verspürt einen Drang, „sich einzumauern und niemanden mehr durchzulassen“. Und die Angst, im Dunkeln die Wohnung zu verlassen. Aber Rola lernt, den Schmerz zu kontrollieren, den körperlichen wie den seelischen. „Schmerzen hast du nur, wenn du sie im Kopf zulässt“, sagt die Boxerin. Und will wieder boxen.
Als Rola El-Halabi am 12. Januar in ihrer Heimatstadt gegen die amtierende Weltmeisterin kämpft und verliert, ist auch der Siegerin klar, welchen ungleich größeren Sieg ihre Gegnerin heute davongetragen hat. Bei der anschließenden Pressekonferenz kann Rola die Tränen nicht zurückhalten. Und Lucia Morelli weint vor laufenden Kameras mit ihr.
Chantal Louis, EMMA März/April 2013

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