Frauen kritisieren Frauen: Wie
Die englische Historien-Schriftstellerin Hilary Mantel hat eine scharfsinnige Rede über das Könighaus und speziell die Rolle seiner Frauen gehalten (veröffentlicht im Stern). Sie analysiert darin das britische Volk als eine Bande von Voyeuren, die königliche Familie als „Zuchtvieh“, Königin Elisabeth als „königliche Vagina“ und Kate als „präzise Maschinenarbeit“: „Kate ist für ihre Rolle als Prinzessin offenbar gewählt worden, weil an ihr nichts zu beanstanden war: Sie ist so unglaublich dünn, wie viele gerne sein würden, ohne charakterliche Ecken und Kanten. (…) Eine Spezialanfertigung, maßgeschneidert mit perfektem Plastiklächeln.“ Das konnte natürlich nicht durchgehen. Seither tobt die Debatte in England, auch Feministinnen mischten sich ein – und werden in Deutschland zitiert. Allerdings so verdreht, dass das Gegenteil von dem herauskommt, was geschrieben wurde.
So behauptet Adelheid Müller-Lissner, 61, in einem Text im Berliner Tagesspiegel, die Guardian-Journalistin Hadley Freeman habe Mantel für ihre Kritik an der Rolle von Kate Middleton bei Hofe kritisiert. Denn Feministinnen der so genannten „vierten Welle“ seien längst darüber hinaus, „die Lebensentwürfe anderer Frauen zu bewerten und abzuwerten“. Es ginge vielmehr darum, „frei wählen zu dürfen“. Auch wenn der Lebensentwurf „von tradierten feministischen Entwürfen abweicht“. – Setzen, Kollegin. Sechs. Es geht in dem Kommentar im Guardian nämlich um exakt das Gegenteil.
Die 35-jährige britische Feministin übt in ihrem Artikel scharfe Kritik an der Boulevardpresse und den liberalen Medien in Großbritannien, die Mantels Auftritt ausgeschlachtet hätten, um einen Zickenkrieg zwischen zwei Frauen zu inszenieren. Freeman schreibt: „Das Thema Frauen reden über Frauen ist ja mittlerweile genau so ein dringliches Thema für die Linke wie für die Rechte. Die konservative Presse liebt einen guten Frau-gegen-Frau-Kampf – oder ‚Autorin gegen Prinzessin’. Der suggeriert nämlich, dass alle Frauen hysterische Girlies sind, denen man auf keinen Fall Erwachsenen-Themen anvertrauen sollte. Weil sie dann sofort anfangen, sich gegenseitig mit Tampons zu bewerfen.“
Und die liberale Presse habe es nicht besser gemacht, findet Freeman: „Auf liberaler Seite steht dafür die Grundannahme der vierten Feminismus-Welle (die gerade ins Rollen kommt), dass Frauen um nichts in der Welt die Lebensentwürfe anderer Frauen kritisieren dürfen. Im Gegenteil: Jeder Lifestyle, jeder Modetrend geht in Ordnung, spiegelt sich darin doch die Freiheit von Frauen, ihr Leben selbst zu bestimmen. Sei es, in Unterwäsche auf der Straße herumzulaufen (Slutwalk) oder auch, nun ja, Prinzessin zu sein."
Diese Art von unendlicher Toleranz sei ja gut und schön, findet die Autorin. Doch sie ende schnell und münde in eine Attacke - nämlich genau dann, wenn eine Frau Kritik übt an selbst gewählten Lebensentwürfen in einer frauenausbeutenden Welt. Was quasi zwangsläufig der Fall ist, wenn sie sich z.B. mit Seite-3-Mädchen oder Strip-Clubs auseinandersetze.
Freeman kommt im Guardian zu folgendem Schluss: „Mantel hat diskutiert, inwiefern die königliche Familie und die Medien Frauen manipulieren; es ist nicht überraschend, dass die Medien sie dafür attackieren. Dieser ganze Quatsch beweist aber einmal mehr, dass es offensichtlich immer noch unmöglich ist, eine Frau zu sein und eine wohl überlegte Meinung über eine Geschlechtsgenossin hervorzubringen - ohne dafür gleich eine bleischwere, unschwesterliche Attacke angedichtet zu bekommen."
Oder erzählt bekommen, Frauen dürften keine Frauen kritisieren, denn das sei sakrosankt. Denn die Frauen machten qua Geschlecht und vor allem wenn sie jung seien immer alles richtig. Für wie blöd hält der Tagesspiegel die deutschen Frauen eigentlich?
EMMAonline, 4.3.2013