Befreit Amina!: Femen protestieren

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Sie taten es am 4. April gleichzeitig: vor der Moschee in Berlin, vor der tunesischen Botschaft in Paris, in Brüssel, Italien und der Ukraine. Die Femen haben zum Oben-Ohne-Protest  gegen die Islamisten aufgerufen. Auslöser: In Tunesien hatte eine 19-Jährige ein Foto in Femen-Manier ins Netz gestellt, um gegen die Unterdrückung der Frauen in dem Ursprungsland der Arabellion zu protestieren - prompt forderte ein Prediger ihre Steinigung. Seither ist die junge Frau verschwunden. 

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„Fuck your morals“, skandieren die sechs Frauen im Chor, die mit nackten Brüsten und bemalten Oberkörpern vor der Berliner Moschee in Wilmersdorf stehen. Die älteste Moschee der Stadt ist im Winter geschlossen, die Femen-Aktivistinnen aus Berlin sind über den Zaun geklettert. „Freiheit für Frauen!“ rufen sie. Und: „Fuck Islamism!“. Die Protestaktion dauert nur wenige Minuten, ein

von dem Protest geht seither um die Welt.
„Wir sind frei, wir sind nackt und das ist unser Recht! Niemand darf Religion missbrauchen, um Frauen zu unterdrücken und zu misshandeln“, sagt Alexandra Shevchenko, Femen-Mitgründerin aus der Ukraine, direkt nach der Aktion. Sie ist zurzeit zu Besuch in Deutschland – und noch ganz außer Atem.
Protestaktionen wie die in Berlin fanden gleichzeitig in Paris, Brüssel, Italien und der Ukraine statt. Die Femen haben zum „Titslamism“ aufgerufen, zum „Oben-Ohne-Dschihad“ gegen Islamisten. „Fuck your morals!“ hatte auch auf dem Bauch der tunesischen Femen-Sympathisantin Amina Tyler gestanden.

Ihr Foto hatte sie Mitte März auf ihrer Facebook-Seite geposted. Die Fundamentalisten, inzwischen die Machthaber in dem einst liberalsten Land im Maghreb, reagierten prompt. Im Netz brach ein Sturm der Empörung los. Der tunesische Prediger Adel Almi forderte, die 19-Jährige gemäß des Scharia-Rechts mit 80 bis 100 Peitschenhieben zu bestrafen und anschließend zu Tode zu steinigen. Damit nicht noch mehr Frauen auf solche Ideen kämen und womöglich „eine Epidemie“ ausbräche.
Gleichzeitig hatten Hacker die tunesische Femen-Fanseite gehackt, Bilder und Videos gelöscht und stattdessen Auszüge aus dem Koran gepostet. Und Nachrichten wie diese: „Kommt doch, ihr Tunesierinnen! Wir werden euch die Brüste abschneiden und sie den Hunden zum Fraß vorwerfen!“
Von Tyler fehlt weiterhin jede Spur. Sie sei in die Psychiatrie eingewiesen worden, behaupten einige im Netz. Ihr ginge es gut und sie sei bei ihrer Familie, sagt die Juristin und Menschenrechtsaktivistin Bochra Bel Haj Hmida. Wir erreichen sie nicht, sagen die Femen.
Kurz vor ihrem Verschwinden erklärte Tyler einer italienischen Journalistin, sie habe Angst davor, dass die tunesischen Polizisten sie verprügeln und vergewaltigen werden, wenn sie sie finden. „Aber nichts könnte schlimmer sein, als das, was hier sowieso schon mit den Frauen passiert!“ fügte sie hinzu. Sie werde eine Femen-Gruppe in Tunis gründen, denn: „Die tunesische Frauen sind bereit für Veränderung!“
Mit ihrem weltweiten Protest für die Freiheit von Amina wollen die Femen einen „zweiten arabischen Frühling“ anschieben – nachdem der erste zum Winter verkommen ist. Einen Frühling, der auch für die Frauen gilt.
Das dürfte nicht leicht sein, denn nicht nur in Tunesien, sondern in alle Länder der Arabellion sind mittlerweile die Fundamentalisten an der Macht. Nach der Wahl der islamistischen Ennahda-Partei 2011 gingen die Tuneserinnen zu Tausenden auf die Straße – aber da war es schon zu spät.
„Unglücklicherweise haben die Frauen sich zu lange geweigert, die Gefahr zu sehen“, klagt die algerische Soziologin Marieme Hélie-Lucas über die Entrechtung der Frauen im sogenannten arabischen Frühling. Die Anzeichen dafür waren von Anfang an eigentlich unübersehbar.
Alexandra Shevchenko von den Femen zeigt sich vor der Moschee in Berlin trotzdem siegessicher: „Wir werden gegen sie kämpfen, unsere Brüste sind stärker als ihre Steine!“

EMMAonline, 5.4.2013
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