Margherita Hack: Die Freundin der Sterne

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Gott hat sie noch nie gesehen und das Jenseits ist der Astrophysikerin ziemlich wurst. Doch sie ist sicher: Wir sind nicht die einzigen im Universium.

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Professoressa Hack, Ihr Name klingt nicht sehr italienisch. Haben Sie österreichische Vorfahren?
Margherita Hack Nein, Schweizer! Mein Großvater väterlicherseits kam aus Winterthur. Er ist nach Italien ausgewandert, wurde Konditor in Florenz. Meine Eltern sind in Florenz aufgewachsen, wie ich selber auch.
Sie haben sich Ihr Leben lang mit den Sternen befasst. Haben die Sterne einen Einfluss auf unser Leben?
Nein. Die Astrologie ist ein Überbleibsel des Unwissens der Vergangenheit. Heute kennen wir die Sterne viel besser, wir können ihre Strahlung messen, und wir wissen, dass sie uns nicht beeinflussen. Dass die Astrologie immer noch floriert, hat mit den Ängsten und Schwächen der Menschen zu tun, die krampfhaft nach einem Leitfaden suchen.
Ihr Spezialgebiet ist die Sternspektros­kopie. Was ist das?
Das ist das beste Werkzeug zur Bestimmung der Eigenschaften der Himmelskörper. Es basiert auf der Analyse des Lichts, das die Sterne aussenden. Daraus können wir enorm viel ablesen: die Dichte, Temperatur und chemische Zusammensetzung des Sterns, die Bewegungen des Gases in seiner Atmosphäre und auch sein Alter.
Alter?
Ja, ob er noch jung ist oder schon ein paar Milliarden Jahre alt. Auch Sterne altern. In ihrem Innern wird ständig Wasserstoff in Helium umgewandelt, dadurch verändern sich ihre Eigenschaften, und wenn der Prozess zu Ende ist, dann stirbt der Stern. Unsere Sonne ist jetzt knapp fünf Milliarden Jahre alt, und sie hat noch weitere gut fünf Milliarden Jahre zu leben.
Können Sie uns eine Entdeckung nennen, bei der Sie beteiligt waren?
Wissen Sie, Entdeckungen macht man jeden Tag! (Lacht) Aber ich will Ihnen ein Beispiel nennen. 1957 begann ich, in Berkeley einen Stern zu beobachten, mit dem damals größten Teleskop der Welt. Das Außergewöhnliche war, dass es sich um einen Doppelstern handelte.
Also um zwei Sterne, die sich gegenseitig umkreisten.
Genau. Sichtbar war aber nur ein Stern. Alle 27 Jahre wurde sein Licht für einige Zeit schwächer, und man konnte daraus schließen, dass in diesem Moment jeweils sein unsichtbarer Begleiter vor ihm durchzog. Nun habe ich damals die Vermutung aufgestellt, dass dieser Begleiter viel kleiner, aber gleichzeitig auch viel heißer sein müsse als der sichtbare Stern. Ich konnte meine Hypothese aber nicht überprüfen, weil ein kleiner, heißer Stern vor allem Ultra­violettlicht ausstrahlt, das von der Erdatmosphäre absorbiert wird. Und das Raumfahrt-Zeitalter stand noch bevor, am 4. Oktober 1957 wurde der erste Sputnik gestartet. Damals waren Sie ja wohl …
...da war ich noch nicht auf der Welt.
Ein gewaltiges Ereignis, gewaltige Emotionen! Diesen Leuchtkörper zu sehen, der alle anderthalb Stunden am Himmel vorbeizog, der erste Himmelskörper von Menschenhand! Item, es dauerte bis 1978, bis erstmals ein Satellit ins All geschossen wurde, der das Ultraviolettspektrum von Sternen messen konnte. Und dieser Satellit hat meine Hypothese vom kleinen, heißen Zweitstern bestätigt – 21 Jahre nachdem ich sie aufgestellt hatte. Das war keine große Entdeckung, aber schon eine Befriedigung für mich. Über diesen Stern hatten Astronomen seit Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts gerätselt.
Wir wissen inzwischen, dass es auch außerhalb unseres Sonnensystems Planeten gibt.
Ja. Der erste so genannte extrasolare Planet wurde 1995 entdeckt. Mittlerweile kennen wir mehr als zweihundert Planeten außerhalb des Sonnensystems. Diese sind aber alle sehr groß, mindestens fünfmal so schwer wie die Erde.
Glauben Sie an außerirdisches Leben?
Ja. Planeten scheinen im Universum ziemlich verbreitet zu sein, und gewiss gibt es Milliarden von erdähnlichen Planeten. Unsere Sonne ist kein besonderer Stern, er ist nicht von Gott für die Menschen gemacht. Wenn die Bedingungen dazu geeignet sind, dann entsteht Leben.
Aber es sind so viele Bedingungen, die erfüllt sein müssen!
Gewiss. Vermutlich gibt es vielerorts nur einfache Lebewesen, etwa Bakterien. Zur Entstehung von intelligentem Leben müssen sehr viel mehr Bedingungen erfüllt sein. Aber es gibt Abermilliarden von Galaxien, und in jeder Galaxie Abermilliarden von Sternen – ich kann mir nicht vorstellen, dass wir die einzigen intelligenten Wesen im Universum sind.
Die anderen haben sich bis jetzt aber noch nicht bei uns gemeldet.
Die Distanzen sind halt enorm, da ist Kontakt schwierig. Kennen Sie diesen Witz von dem Mann, der einen Freund auf Alpha Centauri hat? Alpha Centauri ist der uns nächste Stern, viereinhalb Lichtjahre entfernt. Also, unser Mann wählt eine Nummer auf Alpha Centauri; nach viereinhalb Jahren läutet dort das Telefon: „Pronto! Chi parla?“ Wieder viereinhalb Jahre später, der Erdling: „Paschquale!“ Neun Jahre danach erhält er die Antwort: „Ha sbagliato numero!“ (Schüttelt sich vor Lachen) Es dauert also 18 Jahre, bis man erfährt, dass man sich verwählt hat.
Immerhin soll jetzt die bemannte Raumfahrt wieder gefördert werden, die Amerikaner wollen sogar auf den Mars.
Ja, ich denke, Menschen werden zum Mars fliegen. Obwohl es sehr lange dauert, enorm viel kostet und wahrscheinlich nicht von großem Nutzen ist.
Es gibt ja auch den Vorschlag, Asteroiden als eine Art natürliche Raumschiffe zu nutzen.
Ja, man könnte auf sie gelangen, wenn sie in Erdnähe sind, und damit durch das Sonnensystem reisen. Wer weiß, vielleicht im 23. oder 24. Jahrhundert. Es ist so schwierig, vorherzusagen, was dereinst möglich sein wird. Vielleicht werden wir uns woanders niederlassen.
Auf einem extrasolaren Planeten?
Ich glaube, es ist praktisch unmöglich, das Sonnensystem zu verlassen. Eine Reise zu einem extrasolaren Planeten würde 100.000 Jahre dauern. Man müsste also ein Raumschiff für viele Generationen bauen, auf dem Ernährung und Fortpflanzung gesichert sind. Das ist wirklich Science-Fiction.
Was halten Sie von der Idee, wonach es nebst unserem womöglich noch weitere Universen gibt?
Bah, das ist eine reine Glaubensfrage, man kann es nicht überprüfen. Damit Leben möglich ist, müssen die Eigenschaften des Universums genau so sein, wie sie sind. Es sieht so aus, als sei das Universum für uns gemacht worden. Was zu dem Glauben führen kann, ein Gott habe es für uns geschaffen. Aber für einen Wissenschaftler ist das keine befriedigende Hypothese. Darum wurde die Vermutung aufgestellt, es könnte ganz viele Universen mit ganz verschiedenen Eigenschaften geben, von denen dann eines zufällig für Leben geeignet sei, nämlich unseres. Doch das ist Metaphysik, nicht Physik.
In der Öffentlichkeit tragen Sie manchmal ein T-Shirt mit der Aufschrift „Ich bin Atheistin“.
Ja, ich glaube nicht. Ich glaube nicht an Gott, ich glaube nicht ans Jenseits, ich glaube nicht an die Seele. Das, was wir Seele nennen, ist unser Gehirn – das Ergebnis einer natürlichen Evolution der Materie.
Hatten Sie nie Zweifel?
Als Kind war ich mehr oder weniger gläubig, das kam von meinen Eltern. Ich habe an die Wiedergeburt geglaubt und an all diese schönen Dinge. Mit der Zeit schienen mir diese Dinge aber ziemlich verrückt, und mein Enthusiasmus ließ nach. Als ich 18 oder 20 war, glaubte ich an nichts mehr.
Ist Atheismus nicht auch eine Form von Glaube?
Ehrlich gesagt, ich denke über diese Dinge nicht viel nach. Das Jenseits ist mir ziemlich wurst. Mich überzeugt einfach diese Gottesidee nicht, der Glaube an ein Jesuskindlein, das an Weihnachten Geschenke bringt, all dieses Drum und Dran. Das dünkt mich alles reichlich kindisch.
Gibt es für Sie so etwas wie einen Sinn des Lebens?
Durchaus. Der Sinn des Lebens drückt sich für mich zum Beispiel in der Solidarität zwischen den Lebewesen aus: Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg’ auch keinem andern zu. Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Dazu brauche ich aber keinen Gott. Ich weiß, was Leiden bedeutet, und ich will nicht, dass die anderen leiden. Das ist ganz einfach, dafür muss mir niemand ein Paradies versprechen.
Ist es denn nicht normal, dass die Menschen nach einem Warum suchen?
Das schon. Die Wissenschaft erklärt ja immer nur das Wie, nie das Warum. Aber Gott scheint mir eine allzu bequeme Antwort. Mit Gott kann man alles erklären. Es ist jedoch keine befriedigende Erklärung. Ich ziehe es vor zu sagen: „Wir wissen es nicht.“
Sie sind Mitglied in einem italienischen Komitee, das den Glauben ans Übersinnliche bekämpft. Was tut dieses Komitee?
Wir untersuchen angeblich paranormale Phänomene und versuchen, sie wissenschaftlich zu erklären. Da gibt es ja so vieles, diverse weinende Madonnen, die Blut-Verflüssigung von San Gennaro …
Haben Sie eigentlich keine Probleme mit dem Vatikan?
Überhaupt nicht. Wir leben ja nicht zu Zeiten Galileis, zum Glück!
Aber der Vatikan hat durchaus politisches Gewicht in Italien.
Gewiss. Nehmen Sie die Euthanasie: Da nimmt der Vatikan auch Einfluss. Gott hat uns das Leben gegeben, also dürfen wir es nicht selber beenden, heißt es. Als wir vergangenes Jahr über ein Bioethik-Gesetz abgestimmt haben, hat der Vatikan massiv und erfolgreich Einfluss genommen. Jetzt dürfen wir in Italien nicht an embryonalen Stammzellen forschen, weil schon in Embryonen angeblich Seelen drinstecken. Von einem kleinen Zellhaufen zu sagen, er habe eine Seele, scheint mir lächerlich.
Haben Sie keine Angst vor dem Tod?
Nein. Ich halte es mit Epikur: Solange ich da bin, ist der Tod nicht da. Wenn aber der Tod da ist, dann bin ich nicht mehr da. Angst habe ich vor der Krankheit, vor dem Leiden, vor dem Verlust der Autonomie.
1993 waren Sie für kurze Zeit Gemeinderätin in Triest. In Ihrer Autobiografie beschrieben Sie diese Erfahrung als „frustrierend“.
Man verliert unendlich viel Zeit mit Diskussionen. Ich bin nicht für die Politik geboren. Ich will Physik betreiben, nicht diskutieren.
Würden Sie sich als Kommunistin bezeichnen?
Ich habe auf der Liste der Kommunisten kandidiert, aber ich war nie in irgendeiner Partei. Ich bin links, ja. Ich bin für gleiche Startbedingungen für alle, unabhängig von Herkunft, Einkommen und familiären Umständen.
Ist nicht gerade die Linke skeptisch gegenüber Wissenschaft und Technik?
Sie denken wohl vor allem an die Grünen. Meiner Meinung nach übertreiben es die Grünen mit ihrer Technikskepsis. Natürlich können manche Anwendungen der Wissenschaft zu Umweltproblemen führen. Aber wenn wir heute länger und besser leben, wenn wir weniger und mit weniger Mühe arbeiten, so verdanken wir das gerade der Wissenschaft.
Wie denken Sie über die Gentechnik?
Es ist ja nicht so, dass man zum Spaß Gene manipulieren will. Nehmen wir zum Beispiel die Forschung an embryonalen Stammzellen. Dank ihr wird es vielleicht eines Tages möglich sein, heute unheilbare Krankheiten wie die Multiple Sklerose zu behandeln. Gewiss kann man mit Gentechnik auch Monster züchten. Wissenschaft ist neutral – nur ihre Anwendung, die Technik, kann gut oder schlecht sein. Ein gutes Beispiel ist die Atomenergie: Sie kann die Erde zerstören, sie kann aber auch als nützliche Energiequelle dienen.
Sind Sie für die Rückkehr Italiens zur Atomenergie?
Es wird nicht ohne Atomenergie gehen. Natürlich kommen bei uns die erneuerbaren Energien zu kurz. Schweden hat mehr Solarzellen als Italien, obwohl es doch bei uns ein bisschen mehr Sonne gibt, wie mir scheint. Mit den erneuerbaren Energien könnten wir wohl den Privatverbrauch decken. Aber für die gesamte Industrie wird es nicht reichen.
Sie sind jetzt 84 Jahre alt.
Vierundachtzigeinhalb. Ich bin im Juni 1922 geboren.
Wenn Sie auf Ihr Leben zurückblicken: Was scheint Ihnen der größte Fortschritt?
Mamma mia! Die Welt hat sich extrem verändert. Als ich acht Jahre alt war, 1930, gab es in ganz Florenz vielleicht drei oder vier Autos.
Die Verkehrszunahme ist aber nicht unbedingt ein Fortschritt.
Nein! Aber nehmen Sie die Wissenschaft: Das Palomar-Teleskop in Kalifornien, das 1948 fertiggestellt wurde, war damals mit seinen fünf Meter Durchmesser für einen Astronomen das höchste der Gefühle. Das heutige Very Large Telescope in Chile besteht aus vier zusammenschaltbaren Einzelteleskopen mit jeweils mehr als acht Meter Durchmesser. Jeder Punkt der Oberfläche lässt sich durch Computersteuerung aktiv verändern, und dadurch kann man die Störungen durch die Turbulenzen in der Atmosphäre ausgleichen. Vor fünfzig Jahren hätten wir das für ­Science-Fiction gehalten. Auch die Medizin hat sich wahnsinnig entwickelt. Ich denke, schon bald wird man einfach in ein Büro gehen und sich eine neue Leber, ein neues Herz, eine neue Lunge bestellen können.
Sind Sie optimistisch, was die Entwicklung der Menschheit betrifft?
Die Menschen ändern sich nicht wirklich. Vielleicht sind wir heute ein bisschen weniger wild als im Altertum. Heute wirft man niemanden mehr den Löwen zum Fraß vor. Gut, es gibt immer noch die Todesstrafe, vor allem in den USA und in China wird sie in großem Stil angewendet, und immer trifft es die Ärmsten. Doch insgesamt, denke ich, hat die Menschheit in den vergangenen fünfzig Jahren doch ein paar große Schritte vorwärts gemacht.
Wie schafft man es, dass man mit 84 noch so frisch im Kopf ist wie Sie?
Ja, mein Gehirn funktioniert noch sehr gut, zum Glück! (Lacht) Man muss es immer benutzen, damit es nicht rostet. Natürlich ist auch ein wenig Glück dabei.
Gibt es so etwas wie Altersweisheit?
Nein. Es gibt intelligente Junge und dumme Junge, und es gibt intelligente Alte und dumme Alte. Ach, es gibt so viele dumme Alte!
In Ihrer Studentenzeit waren Sie eine sehr erfolgreiche Leichtathletin. Wie fit sind Sie heute noch?
Es geht ganz gut. Ich bin nicht mehr so gut zu Fuß wie früher. Ich habe Prothesen in beiden Beinen, meine Knie sind aus Titan. Wenn ich am Flughafen durch die Leuchtschranke muss, geht immer der Alarm los. (Lacht)
Und mit dem Fahrrad?
Mit dem Fahrrad geht es sehr gut. Vor zwei Jahren bin ich von Triest nach Grado und zurück gefahren, das sind hundert Kilometer. Das könnte ich auch heute noch. Mein Problem ist, dass ich zu wenig Zeit habe. Vergangene Woche war ich an Veranstaltungen in Rimini, Pescara, Jesi und Rom. In den nächsten drei Wochen muss ich nach Padua, Pistoia, Bologna, Modena und nach Kroatien. Dann ist für zwei Wochen endlich Ruhe. Ich hoffe, dass ich dann mein neues Buch fertigmachen kann.
Warum ziehen Sie sich nicht einfach zurück?
Das könnte ich schon. Aber die Wahrheit ist, dass es mir so eigentlich ganz gut gefällt. Zum Glück gibt es noch den Hund, mit dem ich regelmäßig raus muss – dabei kann ich mich gut entspannen.
Und dann gibt es ja auch noch den Ehemann …
… aber den muss ich nicht ausführen! (Lacht schallend) Nein, im Ernst, er hilft mir sehr viel, und er begleitet mich überall hin.
Sie sind seit 62 Jahren verheiratet.
Wir haben uns 1932 kennengelernt, beim Spielen in den öffentlichen Pärken von Florenz. Damals war ich zehn, er war dreizehn. 1944 haben wir geheiratet.
Was ist das Geheimnis einer so langen Beziehung?
Dass man sich einig ist und alles miteinander bespricht und die gleichen Ideale hat. Und dass man sich streitet und rauft und schlägt! (Lacht) Früher haben wir schon heftig gezankt; heute weniger, weil wir schwächer geworden sind. Aber es ist wichtig, dass man nichts in sich hineinfrisst.
Das Gespräch führte Mathias Pluess, es erschien zuerst in der Schweizer Weltwoche.
EMMA Juli/August 2007

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