Religion gegen Rechtsstaat

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Es war vielleicht kein Zufall, dass keiner der vielen Artikel, die das Burkini-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts lobten, ein Foto des Vaters zeigte. Denn hätte man den wuchtigen Mann mit dem langen Bart der islamischen Fundamentalisten neben seiner blassen Tochter gesehen, hätten sich wohl mehr Menschen Fragen gestellt. Zum Beispiel: Geht es hier tatsächlich um „Religionsfreiheit“, wie die 13-jährige Asmae (Foto), die beim Beginn „ihrer“ Klage elf Jahre alt war, gebetsmühlenartig in die Mikros spricht? Oder haben wir es hier mit einem weiteren Versuch von Vertretern des politisierten Islam zu tun, Religion über Recht zu stellen? Und vor allem: Setzt das Urteil, das in den Medien als „guter Kompromiss“ durchweg positiv aufgenommen wurde, den Religionsfanatikern tatsächlich Grenzen?

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Die fünf Richter in Leipzig hatten beschlossen, dass die muslimische Schülerin, die bis zu ihrem achten Lebensjahr mit ihren Eltern in Marokko lebte und in Frankfurt das Helene-Lange-Gymnasium besucht, nicht dem Schwimmunterricht fernbleiben darf. Die Klägerin hatte argumentiert, das Schwimmen im Badeanzug verstieße „gegen die isla mischen Bekleidungsvorschriften“. Zudem sei ihr der Anblick von Jungen in Badehosen nicht zumutbar.

Das Oberste Gericht befand nun: Das Mädchen muss am Schwimmunterricht teilnehmen, denn es könne, um den „islamischen Bekleidungvorschriften“ zu entsprechen, schließlich einen sogenannten Burkini tragen – einen Ganzkörperanzug, der nur Gesicht und Hände frei lässt. In der Urteilsbegründung stellten die Richter klar, dass „ein Eingriff in das Grundrecht der Glaubensfreiheit durch die staatlichen Erziehungsziele verfassungsrechtlich gerechtfertigt“ ist.

Am gleichen Tag fällte das Gericht noch ein weiteres Urteil: Ein zwölfjähriger Gymnasiast, dessen Eltern den Zeugen Jehovas angehören, darf sich nicht vom Unterricht befreien lassen, weil dort Otfried Preußlers „Krabat“ besprochen wird. In dieser Geschichte, so die Eltern, gehe es um „schwarze Magie“ und die Beschäftigung damit sei Zeugen Jehovas aus religiösen Gründen verboten. Auch hier gaben die Richter dem „staatlichen Erziehungsauftrag“ Vorrang.

Aber: Sie öffneten all jenen, die der Ansicht sind, dass die Gleichberechtigung der Geschlechter oder die Vermittlung der Evolutionstheorie gegen ihren Glauben verstoße, ein Hintertürchen in Scheunentorgröße. Denn: Ausnahmen sind möglich. Nämlich dann, wenn „den religiösen Belangen des Betroffenen eine besonders gravierende Beeinträchtigung droht“. Religion sticht also in Deutschland weiterhin Recht. Religiöse Fundamentalisten werden weiter klagen.

In Frankreich ist man weiter: Zum Beginn des neuen Schuljahrs trat dort die „Charta der Laizität“ in Kraft. Sie besteht aus 15 Paragrafen und muss in allen staatlichen Schulen und Kindergärten ausgehängt werden. Paragraf 1 lautet: „In der laizistischen Republik sind Staat und Religion getrennt.“

Was das bedeutet, wird im Folgenden erklärt: „Jeder ist frei zu glauben oder nicht zu glauben.“ Und: „Laizität bedeutet die Ablehnung von Gewalt und Diskriminierung und garantiert die Gleichheit von Mädchen und Jungen.“ Daraus folgt: „Das Tragen von Zeichen oder Kleidung, mit denen die Schüler ostentativ eine Religionszugehörigkeit demonstrieren, sind verboten.“ Das gilt für das islamische Kopftuch, das christliche Kreuz sowie die jüdische Kippa.

„Niemand wird künftig mit Berufung auf seine Religion die Teilnahme am Unterricht verweigern können“, erklärte Bildungsminister Vincent Peillon. „Die Laizität der Schule ist kein Hindernis für die Freiheit, sondern ihre Voraussetzung.“

Ab 2015 sollen in die Lehrpläne aller französischen Schulen Kurse in „säkularer Moral“ aufgenommen werden. Ziel ist die Vermittlung der „Werte der Republik“, allen voran die Gleichberechtigung der Geschlechter. Die marrokanischstämmige Frauenministerin Najat Vallaud-Belkacem hat angekündigt, dass sie bereit sei, „den Krieg gegen den Sexismus vom Kindergarten an zu führen“.

In Deutschland aber steht eine Grundsatzentscheidung, die klarstellt, dass Religion Privatsache ist und Burkini oder Kopftuch keine religiösen, sondern politische Symbole sind, noch in weiter Ferne. Bis es zu spät ist?

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