Patric Jean: Der Feminist
Als das sensationelle Ergebnis der Abstimmung schließlich verkündet wurde, kamen ihm die Tränen. Die erste, die an diesem Abend des 4. Dezember die Fassung verlor, war Rosen Hicher. 22 Jahre lang hatte sie sich prostituiert, bevor sie in Frankreich eine der vernehmlichsten Stimmen der Kampagne für die Abschaffung der Prostitution wurde (EMMA 3/13). Jetzt saß sie neben Patric Jean in der Pariser Nationalversammlung und begriff vor lauter Aufregung zunächst nicht, was diese Zahlen nun bedeuteten: 268 gegen 138. „Es bedeutet JA!“ brüllte ihr Patric ins Ohr und brauchte selbst einen Moment, um das Ungeheuerliche zu begreifen: Soeben hatte das französische Parlament beschlossen, dass künftig nicht mehr Prostituierte bestraft werden sollen, sondern „les clients“, die Freier. Wahnsinn.
Seit drei Jahren hat der 45-jährige Filmemacher mit seiner Organisation „Zéromacho“ (Nullmacker) für die Freierbestrafung gekämpft. Und noch einige Jahre mehr für eine Gesellschaft, in der Männer und Frauen tatsächlich gleichberechtigt sind. 2007 hatte ein Kinofilm von Patric Jean in Frankreich Furore gemacht: „La Domination Masculine“. Untertitel: „Vous avez dit égalité?“ – „Haben Sie wirklich Gleichberechtigung gesagt?“ Die Dokumentation war eine Tour de Force durch Spielzeugläden und Werbespots, durch Nachtclubs und Chefetagen. Männer berichteten, warum sie sich per OP ihren Penis verlängern ließen; Mädchen erklärten, dass „les mamans“ nun mal für den Haushalt zuständig seien, während Papa die Zeitung liest.
Patric Jean entwarf das frappierende Tableau einer von Sexismus durchdrungenen Gesellschaft: Frankreich. Aber der Filmemacher beließ es nicht bei der Bestandsaufnahme. Er handelte. Er lancierte ein „Männer-Manifest“: „Wir finden Frauenfeindlichkeit und Sexismus ebenso verwerflich wie Rassismus oder Homophobie und wollen, dass das in den Medien keinen Raum hat.“ Ein Rundumschlag gegen alles, was Frauen unterdrückt, vom Gender Pay Gap über Prostitution bis zur Gewalt. Fazit: „Wir erklären, dass die Gleichheit zwischen Männern und Frauen ein richtiges und wichtiges Ziel ist, und dass alles getan werden muss, um es zu erreichen.“ 2 234 Männer unterschrieben das „Manifest des hommes“. Dem Initiator ist klar, dass das nicht viel ist. Aber er weiß auch, „dass es sehr viele Männer gibt, die wollen, dass sich an den Geschlechterrollen etwas ändert!“
Patric Jean selbst hat früh erfahren, was es mit der männlichen Dominanz auf sich hat. Sein Vater starb, als er zwei war, aber zuvor beendete er noch mit einem Handstreich die Karriere seiner Frau. Die war Opernsängerin, aber weil der Vater keine berufstätige Ehefrau ertrug, verbot er ihr die Bühne. Nach seinem Tod verdiente Mme. Jean ihren Lebensunterhalt als Gesangslehrerin. Die meisten ihrer Schülerinnen waren betagt, so dass Sohn Patric „in einer sehr alten und sehr weiblichen Welt“ aufwuchs. „Die meisten der Frauen waren um die Jahrhundertwende geboren, und viele haben sehr unter ihren Männern gelitten. Aber sie fanden das völlig normal.“
Normal war auch, dass im belgischen Borinage, wo Patric Jean aufwuchs, vielen das Geld zum Leben fehlte. Einst eine florierende Bergbauregion verarmten die Menschen im Südwesten, nachdem Ende der 1960er Jahre die letzten Zechen schlossen. Als Patric 1968 geboren wurde, herrschte dort die höchste Arbeitslosenquote Belgiens.
Seine ersten Filme machte er nach seinem Abschluss am Brüsseler „Institut National Supérieur des Arts du Spectacle“ über Menschen, die auf der Straße leben, und gründete mit Mitte zwanzig die Obachlosen-Zeitung Nemo. Sein feministisches Erweckungserlebnis hatte er, als er eine Sondernummer über obdachlose Frauen herausgab. Zwecks Recherche traf er sich „mit einer Feministin, die mir einen langen Vortrag hielt. Ich hörte ihr zu und fand schließlich, dass sie mit allem Recht hatte.“
„Bis dahin war ich ein ganz netter Mann gewesen, aber kein besonders guter Partner“, erzählt Patric Jean. Nun wurde Jean, der inzwischen mit einer Lehrerin und, klar, engagierten Feministin verheiratet ist und einen vierjährigen Sohn hat, das, was er als „profeministisch“ bezeichnet. 2011 kam die engagierte Abolitionistin, Florence Montreynaud auf ihn zu und erklärte, dass man im Kampf für die Abschaffung der Prostitution „die Stimmen der Männer braucht“. Das war die Geburtsstunde von „Zéromacho“. „Wir sagen Nein zum Machismo und kämpfen besonders gegen seine extremste Form – die Prostitution“, erklärten Jean und seine Mitstreiter öffentlich. Neben Paris gibt es inzwischen auch Zéromacho-Gruppen in Lille und Toulouse.
Es war an der Zeit für ein nächstes Manifest: „Ja zu einer freien Sexualität! Ja zum Begehren und zu gegenseitiger Lust! Für eine Welt, in der kein Mann auf die Idee kommt, den Körper eines anderen Menschen zu kaufen, und in der sexuelle Lust weder mit Geld noch mit Gewalt zu tun hat!“ Es funktionierte: Männer gegen Prostitution – darauf sprangen die Medien an und berichteten, was die Nullmachos bei ihren Aktionen zu sagen hatten.
Jean, der gemeinsam mit drei Frauen die Produktionsfirma „Blackmoon“ betreibt, hat pünktlich zur Abstimmung in der Nationalversammlung einen neuen Internetkampagnen-Spot produziert: Vier Männer sitzen in einer Kneipe und tratschen über „die kleine Osteuropäerin im Bois de Boulogne, die es mal so richtig besorgt braucht“ oder die „scharfe Blonde, die eine Ladung ins Gesicht gekriegt hat“. „Sie halten diese Dialoge für übertrieben? Sie stammen alle aus Freierforen im Internet“, so die Stimme aus dem Off.
Solche Sprüche dürften demnächst, auch Dank Patric Jean, in Frankreich mindestens schon mal weniger laut tönen. Und vielleicht auch so manchen Sprücheklopfer selbst nachdenklich machen.
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http://zeromacho.wordpress.com/