Sabina und Samra im Heiligen Krieg

Sabina und Samra zogen nach Syrien in den "Heiligen Krieg".
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Die Nachricht, die im März durch die Medien ging, schockierte: Unter den rund 300 Deutschen, die in den vergangenen Monaten nach Syrien in den „Heiligen Krieg“ zogen, sind auch 20 bis 25 junge Frauen. Sie wollen an der Waffe dienen oder als Bräute der Krieger. Die Jüngste unter ihnen ist 15 Jahre alt und flog ohne Wissen ihrer Eltern an die syrische Grenze. Die Männer locken Heldentum und 72 Jungfrauen im Paradies bei Märtyrertod. Aber was lockt die Frauen? Islamwissenschaftlerin Rita Breuer begibt sich auf ihre Spuren und analysiert die Gründe.

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Wer dachte, die Absurditäten islamistischer und jihadistischer Ideologie seien nicht mehr zu übertreffen, sieht sich getäuscht. Dass der traurige Bürgerkrieg in Syrien fanatische Muslime aus aller Welt in seinen Bann zieht, ist bekannt. Tausende Männer aus über 60 Ländern in aller Welt zogen in den „Befreiungskampf“; etwa 300 sind es aus Deutschland, darunter auch etliche Konvertiten.

Ihre Motive sind bekannt: Fanatismus, Selbstgerechtigkeit und Lust auf Gewalt. Im Diesseits wollen sie eine strikt islamische Ordnung errichten, in der die Scharia Gesetz ist und jedes „unislamische Verhalten“ streng geahndet bzw. ausgemerzt wird. Im Jenseits hoffen sie auf paradiesische Freuden, allem voran die 72 Jungfrauen, die die Ideologen des Djihad jedem in Aussicht stellen, der im Kampf für den Islam fällt.

Jetzt ziehen auch junge Frauen in den Djihad.
Das ist neu.

Relativ neu sind die jungen Frauen, die ebenfalls in den „heiligen Krieg“ ziehen. 20 bis 25 junge Mädchen und Frauen haben Deutschland in den letzten Monaten mit dem Ziel verlassen und sind meist über die Türkei nach Syrien gelangt.

Aufsehen erregte der Fall von Sarah aus Konstanz, die im Herbst 2013 im Alter von 15 Jahren ohne Wissen ihrer Eltern und mit einer gefälschten Vollmacht nach Gaziantep in der Osttürkei flog. Der Ort ist 50 Kilometer von der syrischen Grenzeentfernt. Die war schnell erreicht und überwunden. Heute bekennt sich Sarah zu der radikal-islamischen und Al-Qaidanahen Miliz ISIS (Islamischer Staat im Irak und Syrien). Seit Anfang Januar ist sie mit dem türkischstämmigen Djihad-Kämpfer Ismail S. verheiratet.

Mehr über die Bräute des Djihads in der aktuellen EMMA.

 

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Die wahren Motive der Gotteskriegerinnen

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Die Urteile gegen die so genannte Sauerlandgruppe – vier junge Muslime, zwei davon Konvertiten, die schwere Sprengstoffanschläge in Deutschland geplant hatten – waren 2010 kaum gesprochen, da wurden die Hintermänner des grausamen Spiels bekannt. Männer? Nicht nur! Eine Schlüsselrolle spielte vielmehr die inzwischen verhaftete 28-jährige Filiz Gelowicz. Die gebürtige Türkin ist eine ehemalige Mitarbeiterin eines Call-Centers und die Ehefrau des Kopfes der Sauerlandgruppe, Fritz Gelowicz. Mehrfach soll sie in den vergangenen Jahren Geldbeträge an jihadistische Gruppierungen in Afghanistan überwiesen haben. Einen Namen aber machte sie sich vor allem online: Sie übersetzte Propagandatexte für den Jihad aus dem Türkischen und verbreitete in einschlägigen Internetforen Videos und Werbepropaganda der Islamischen Jihad Union IJU und anderer militanter Gruppierungen.

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Über Tausend Beiträge soll Filiz Gelowicz laut Anklageschrift der Bundesanwaltschaft in weniger als einem Jahr ins Netz gestellt haben, sie zählt damit zu den derzeit effektivsten weiblichen Aktivistinnen im bewaffneten Kampf für den Islam. Vorerst ist ihr das Handwerk gelegt – es drohen ihr bis zu zehn Jahre Haft.

Aktivistinnen im und für den Jihad tummeln sich neuerdings besonders gerne im Internet. Es ist das ideale Medium für Frauen, denen es kaum erlaubt ist, das Haus zu verlassen. Im Netz unterhalten und betreiben sie eigene Foren mit jihadistischer Propaganda sowie einschlägigen Erziehungstipps und Trainingsanweisungen. Viele dieser Frauen führen einen regelrechten Stellvertreterkrieg, aus ideologischer Verblendung, aus Rache – oder weil sie kaum eine andere Wahl haben. Stolz verkünden sie den Märtyrertod ihrer Ehemänner und Söhne und bekennen wie die Online-Jihadistin Malika al-Aroud: „Ich habe eine Waffe. Zu schreiben. Die Dinge auszusprechen. Das ist mein Jihad. Man kann viel mit Worten erreichen. Schreiben ist auch eine Bombe.“

Das Internet ist gleichzeitig eine beliebte Partnerbörse – manche Jihadistenehe hat hier ihren Anfang genommen. Und so manche Aktivistin im Kampf konnte über das Internet rekrutiert werden. Die Ausbildung der Frauen erfolgt weniger systematisch und damit in deutlich schlechterer Qualität als die der Männer, nämlich in informellen kleinen Kreisen oder als Fernkurs über das Internet. Spezielle Ausbildungslager für Frauen wie im irakischen Dijala sind selten.

Das mag auch ein Grund dafür sein, warum der Frauenanteil unter den Selbstmordattentätern weit höher ist als unter den Kämpfern in den Gebieten des Jihad. Für das Umlegen des Sprengstoffgürtels und seine Zündung – häufig genug ferngesteuert durch einen Mann – reichen die Anweisungen, für den offenen Kampf kaum.

Bereits in den Jahren 1985 bis 2005 wurde jeder dritte Terroranschlag weltweit von Frauen verübt. 225 Frauen starben in diesem Zeitraum bei Selbstmordattentaten und „Märtyrer-Operationen“, vor allem im Rahmen der Aktivitäten der kurdischen Arbeiterpartei (PKK) und der tamilischen Befreiungsorganisation (LTTE). Im islamistischen Bereich blieb die Rolle der Frau im Jihadismus lange auf Handlanger-Tätigkeiten reduziert. Die Frau sollte möglichst viele Kämpfer zur Welt bringen und im Geiste des Islams und Jihads erziehen. Vor allem aber sollte sie ihren Mann und ihre Söhne zur Teilnahme am bewaffneten Kampf für den Glauben ermutigen und ihnen die Angst vor dem Märtyrertod nehmen.

In der jihadistischen Ideologie gilt es als Pflicht eines jeden Muslims, sich aktiv am bewaffneten Kampf zur Verteidigung und Ausbreitung des Glaubens zu beteiligen. Den eigenen Mann oder Sohn daran zu hindern, könnte der Frau am Jüngsten Tag als große Sünde angerechnet werden – damit droht kein Geringerer als Usama bin Ladin seinen Glaubensschwestern. Keinesfalls darf die Frau ihren männlichen Angehörigen den Eindruck vermitteln, sie würde im Falle ihres Märtyrertodes unendlich trauern oder gar nicht ohne sie klar kommen – im Gegenteil soll jeder Märtyrertod sie mit großem Stolz und Jubel erfüllen.

Als Vorbild verweist al-Qaida die Frauen auf al-Khansa, eine Dichterin im alten Arabien, die 629 dem Religionsstifter Mohammed begegnet sein soll und dann den Islam annahm. Ihre vier Söhne fielen bei der entscheidenden Schlacht zur Eroberung Persiens durch die Muslime. Kein Wort der Klage kam je über al-Khansas Lippen, vielmehr war sie voller Stolz und Freude über den ehrenhaften Tod ihrer Söhne für den Glauben und die Gewissheit, dass sie als Märtyrer direkt ins Paradies gelangten. Auch der Begründer und langjährige Führer der islamistischen Hamas, Scheich Ahmad Yassin, lehnte lange die Beteiligung von Frauen am aktiven Kampf ab und verwies sie auf das Gebären und Erziehen aufrechter und kampfbereiter Muslime, auf moralische und logistische Unterstützung, eventuell noch das Spenden von Geld und das Beten für den weltweiten Triumph des Islams. Inzwischen geht die Hamas immerhin schon so weit, die Mütter potenzieller Attentäter bei deren Abschiedsvideo mit ins Bild zu nehmen, um anderen Männern und Müttern „Mut“ zu machen. Vor laufender Kamera erzählt der junge Kämpfer von seinem Vorhaben, woraufhin seine Mutter ihm beglückt gratuliert und Gott bittet, den Märtyrertod des Sohnes entgegenzunehmen.

Um 2004 kam es sowohl in Teilen von al-Qaida als auch bei Scheich Yassin und seiner Hamas zu einem Sinneswandel. Frauen können seither ihr Recht zum bewaffneten Kampf einklagen. In zwei Ausgaben erschien online ein Frauenmagazin der al-Qaida, benannt nach der Dichterin al-Khansa. Jetzt wird die Ansicht vertreten, die persönliche Pflicht zum Jihad gelte auch für Frauen, und zwar in Form der eigenen Bereitschaft zum Kampf. Die Frau – so heißt es nun scheinbar emanzipiert – müsse zu diesem Zwecke nicht einmal ihren Mann um Erlaubnis bitten.

Empfohlen wird den Frauen, sich auf drei Ebenen auf den Jihad vorzubereiten: Emotional, indem sie versuchen, die Angst vor dem Jihad, vor Verletzung, Schmerz und Tod zu überwinden; militärisch, indem sie selbst den Umgang mit Waffe und Sprengstoff einüben; sowie physisch, indem sie sich gesund ernähren und durch ausreichend Schlaf und Körperübungen ihre Fitness und Kampffähigkeit steigern.

Das Ziel lautet: „Schulter an Schulter stehen wir mit unseren Männern, unterstützen sie, helfen ihnen und geben ihnen Rückhalt. Wir erziehen ihre Söhne und bereiten uns selbst vor. Bedeckt von unseren Schleiern und eingehüllt in unsere Gewänder werden wir mit den Waffen in der Hand und unseren Kindern auf dem Arm stehen, und der Koran und die Sunna des Propheten Gottes werden uns führen und leiten. Das Blut unserer Männer und die Körperteile unserer Kinder sind das Opfer, durch das wir Allah näher kommen.“ So stand es wörtlich in al-Khansa

Führende Ideologen im Jihadismus sind heute überwiegend der Ansicht, dass Frauen auch eine aktive Rolle im Kampf für den Glauben einnehmen dürfen bzw. müssen. Zu diesem Zweck dürfen sie sogar das Kopftuch ablegen – solange es der Sache dient. Uneinigkeit besteht in der Frage, ob die Frau beim Kampf durch ihren Ehemann oder einen „Mahram“ begleitet werden muss, das heißt einen engen männlichen Verwandten wie Vater, Bruder, Sohn, Onkel oder Neffe, der sie „vor sexuellen Übergriffen schützt und über ihre Ehre wacht“.

Denn auch wenn im Jihad viele Regeln vorübergehend außer Kraft gesetzt werden und sogar religiöse Pflichten, wie das Gebet, vernachlässigt werden dürfen, gilt dies nicht für das im Islam strenge Verbot der Unzucht, womit jeder vor- und außereheliche geschlechtliche Kontakt gemeint ist.

Um diese Gefahr zu bannen, wird nun auch vermehrt auf die ‚mitreisende Ehefrau‘ gesetzt, die nicht monatelang und mit ungewissem Ausgang in der Heimat ausharrt, während der Gatte ein Ausbildungscamp durchläuft und dann an einem der Schauplätze des Jihad tätig wird. Gelegentlich wird sogar mit einschlägigen Videos geworben, um die Familienfreundlichkeit der Jihad-Camps darzustellen, die auch für Frauen und Kinder angenehme Lebensbedingungen bereit halte.

Mehr und mehr entdecken terroristische Gruppen für sich die Vorteile, die das Einbeziehen von Frauen ihnen bringt. Die Bereitschaft der Frauen zum Kampf und Selbstopfer ist auch ein Druckmittel für Männer, denen der Mut des vermeintlich schwachen Geschlechts vor Augen gehalten wird, auf dass sie sich ihrer eigenen Feigheit schämen und diese überwinden. Ebenfalls von Vorteil ist das Überraschungsmoment. Denn bis heute rechnet man kaum mit der bewaffneten oder gar einer mit Sprengladung versehenen Frau, so dass sie ungehinderter als ein Mann an prekäre Orte gelangen kann. Die weiträumige Verhüllung der Frau im traditionalistischen Milieu, unter der man allerhand verstecken kann, sowie das Tabu ihrer Leibesvisitation durch männliche Wachposten tun ihr Übriges. Im Irak hat man bereits mit dem vermehrten Einsatz weiblicher Sicherheitskräfte auf diese Sicherheitslücke reagiert.

Dennoch herrscht weiterhin ein ganz anderes Frauenbild vor. Das sorgt dafür, dass die mediale Aufmerksamkeit bei Anschlägen durch Frauen erheblich ist – nach Untersuchungen bis zu achtmal höher. Was ein interessanter Nebeneffekt ist für die jihaditstische Szene und ihr Streben, nicht nur Anschläge zu verüben, sondern auch Angst und Schrecken zu verbreiten.

Als vorteilhaft gilt außerdem die besonders hohe Bereitschaft der Frau zur Unterordnung und Hingabe. Tatsächlich bleibt die Rolle der Frau im jihadistischen Milieu immer untergeordnet und exekutiv.

Im September 2008 ging ein Bild durch die Welt, das viele Menschen tief berührte und zugleich schockierte. Es zeigt die 15-jährige Rania, verhaftet mit 20 Kilogramm Sprengstoff am Leib mitten auf einem belebten Marktplatz im irakischen Baakuba. Rania rückt der Weltöffentlichkeit die zunehmende Rolle von Frauen im bewaffneten Kampf für den Islam plastisch vor Augen. Und sie wirft zugleich die Frage auf, wie es so weit kommen konnte. Ein Mädchen, fast noch ein Kind und doch schon verheiratet, das offenbar bereit ist – oder gezwungen wurde? –, in den Tod zu gehen und zahllose Menschen mitzunehmen. Wäre die Sprengladung, die sie am Körper trug, explodiert, hätte wohl im Umkreis von 50 Metern niemand überlebt.

Nur einem aufmerksamen Polizisten, dem das Mädchen seltsam vorkam, war es zu verdanken, dass die Tat nicht ausgeführt wurde. Der fanatisierte Irrsinn der gewaltbereiten Islamisten hat mit etwas Verzögerung nun auch die Frauen erreicht. Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit. Ranias Geschichte, die in den nächsten Tagen zumindest bruchstückhaft in den Zeitungen zu lesen war, weist auf weitere Aspekte hin.

Im Alter von 14 Jahren war das Kind einer mittellosen irakischen Familie von der Mutter an ein Mitglied von al-Qaida verheiratet worden. Ob sie wusste, um wen es sich beim zukünftigen Schwiegersohn handelte und dies zumindest billigend in Kauf nahm, ist ungewiss. Ranias Aussagen legen aber zumindest nahe, dass ihr Mann sie gezielt als lebende Bombe für seine Ziele und die Zwecke seiner Organisation einsetzte und möglicherweise nur darum heiratete.

Es fehlt al-Qaida nämlich an männlichem Nachwuchs, seither nehmen sie Frauen ins Visier, vor allem junge, arme, geistig minderbemittelte und sonstwie sozial benachteiligte Frauen – offenbar mit wachsendem Erfolg.

Die Motive der Jihadistinnen sind vielfältig und reichen von der auch bei Männern verbreiteten ideologischen Verblendung über persönliche Rachemotive für den Verlust eines Menschen oder das Schicksal von Verwandten und Freunden bis hin zu sehr frauenspezifischen Motiven: die Unmöglichkeit, sich aus unerträglichen Lebensbedingungen oder einer Gewaltbeziehung zu lösen, soziale Schmach durch Kinderlosigkeit oder Ehrverlust, Missbrauch und totale Fremdbestimmung zählen dazu. Bis hin zur Fernsteuerung des Sprengstoffgürtels, der nicht von den Frauen selbst, sondern von einem Mann ausgelöst wird – wie bei den „Schwarzen Witwen“ in dem Moskauer Musical-Theater 2002.

Gleich mehrere dieser Merkmale waren bei der legendären Wafa Idris erfüllt, die sich 2002 im Alter von 28 Jahren als eine der ersten Frauen in Jerusalem in die Luft sprengte, dabei einen Israeli mit in den Tod nahm und 150 Menschen verletzte. Dass sie mit ihrem sprengstoffbeladenen Rucksack in der Drehtür ausgerechnet eines Schuhgeschäftes stecken geblieben war, verhinderte noch Schlimmeres.

Wafas Familie gehörte zur Fatah-Bewegung um Yassir Arafat, die ihre Ziele politisch-national, nicht aber religiös definierte. Schon als Kind erlebte sie die Verhaftung ihres Bruders und Ähnliches. Ihre mehrjährige Ehe endete, weil sie nach einer Fehlgeburt nicht mehr schwanger werden konnte. Damit war ihr Wert auf dem Heiratsmarkt und ihr Nutzen als junge Frau in der orientalischen Gesellschaft rapide gesunken.

Wafa meldete sich beim Islamischen Halbmond als Sanitäterin und kümmerte sich um Verletzte, die die bewaffneten Auseinandersetzungen der Intifada täglich forderten. Die alltägliche Gewalt erschütterte sie offenbar nachhaltig. Sie soll es vorgezogen haben, „eher als Märtyrerin zu sterben als in ständiger Demütigung zu leben“. Die al-Aqsa-Brigaden feierten Wafa Idris als Heldin und Märtyrerin.

Besonders irritierend wirken Selbstmordanschläge von Konvertitinnen. Erst die Hinwendung zu einer offensichtlich frauenfeindlichen Kultur und Religion, dann die Radikalisierung und schließlich die Bereitschaft zur Selbsttötung. Im Herbst 2005 verübte die gebürtige Belgierin Muriel Degauque ein Selbstmordattentat in Baakuba im Irak. Vermutlich kam nur sie dabei ums Leben, und es ist nicht ausgeschlossen, dass das der Sinn der Aktion war. Viel ist nicht bekannt über ihre Biografie. Die Eltern beschreiben sie als schwieriges Kind, das selten etwas zu Ende brachte: Ausbildung, Arbeitsplätze, Beziehungen – alles war von ständigen Brüchen gekennzeichnet. Nach ihrer gescheiterten Ehe mit einem Türken heiratete Muriel den streng islamischen Marokkaner Hissam Goris. Zum Islam konvertiert war die Anpassungsbereite schon damals und hatte den islamischen Namen Miriam angenommen. Doch unter dem Einfluss ihres marokkanischen Ehemannes radikalisierte sie sich zunehmend, verschleierte sich immer mehr, forderte auch ihre Eltern wiederholt zur islamischen Lebensweise auf und lief zum Erstaunen ihrer Umgebung unter der Burka verborgen hinter ihrem bärtigen Mann her.

Wie es dann konkret zu den Anschlagsplänen kam, ist nicht bekannt, nur so viel: Das Ehepaar war mit dem Auto in den Irak gefahren. Beide sind dort angekommen, in die Luft gesprengt hat sich nur Muriel. Ob ihr Ehemann sie vorgeschickt hat und selbst den Tod scheute, oder ob sie gar selbst die Initiative ergriffen hatte, ist unklar.

Frauen im Jihadismus können also genauso blind fanatisiert sein wie Männer und doch unterscheiden sich die Motive gerade der Selbstmordattentäterinnen in einigen sehr markanten Punkten. Sie können, nach einschlägige Studien aus dem anglophonen Sprachraum, in aller Regel auf eines oder mehrere der ‚vier R‘ zurückgeführt werden: Revenge, Redemption, Respect, Relationship.

Rache (revenge) suchen Frauen, die den Tod nahestehender Menschen im bewaffneten Kampf zu beklagen haben, oft Ehemann oder Sohn, aber auch Bruder oder Vater. Rache kommt auch in Frage als Motiv für das Leiden des eigenen Volkes oder der Muslime insgesamt, die man für ungerecht behandelt oder unterdrückt hält, und die sich anders nicht wehren können.

Erlösung (redemption) verspricht der Märtyrertod, ob als SelbstmordattentäterIn oder durch die Hand des Feindes im Jihad. Der Märtyrer soll unter Umgehung der sonst im Jenseits zu erwartenden Prüfungen direkt ins Paradies eingehen und dabei durch diesen glorreichen Tod reingewaschen werden von allem was sonst in seinem Leben wenig „islamisch“ gewesen sein mag.

Diese Aussicht ist vor allem für Frauen verlockend, die sich eines sexuellen „Fehlverhaltens“ schuldig glauben, und die in dem Bewusstsein aufgewachsen sind, dass dies eine besonders schwere, unverzeihliche Sünde ist, die Höllenstrafen nach sich zieht. Dabei kann es sich auch um Vergewaltigung und/oder üble Nachrede handeln – und die kann auch gezielt herbeigeführt werden.

Bei den „Schwarzen Witwen“ in Tschetschenien spielt der Einsatz sexueller Gewalt eine Rolle. Zwei junge Frauen sollen es gewesen sein, die Ende März 2010 einen Terroranschlag auf die Moskauer Metro verübten. 40 Tote und 87 Verletzte, so lautete die blutige Bilanz. Eine von ihnen war wohl die 17-jährige Dschennet Abdurachmanowa. Ihr Mann – ein militanter Islamist – war im Dezember zuvor im Kampf gefallen. Es gibt Hinweise darauf, dass sie nicht freiwillig mit ihm zusammengelebt hatte, und erwiesen ist, dass gerade in diesem Milieu der Kampf- und Selbstmordbereitschaft der Frauen durch sexuelle Gewalt und Drogen nachgeholfen wird.

Ob im Irak oder Palästina, in Tschetschenien oder Afghanistan, SelbstmordattentäterInnen sind immer zweierlei: Sie sind AttentäterInnen und SelbstmörderInnen zugleich, Menschen, die über das Leben anderer Menschen verfügen, aber zugleich Menschen, die das eigene Leben bewusst auslöschen. Das gilt für Männer wie Frauen gleichermaßen, doch deutet alles darauf hin, dass der Selbstmord bei Frauen eine größere Rolle spielt. Das beginnt mit dem für den Märtyrertod in Aussicht gestellten Paradies, das für die Frauen mit etwas Garten und Milch und Honig weit schlichter ausfällt als für die Männer mit 72 schwarzäugigen Jungfrauen. Auch die Aussicht, dort den eigenen Ehemann wiederzubekommen, ist nicht immer verlockend.

Tatsächlich gibt jede dritte gescheiterte Attentäterin familiäre, jede weitere dritte soziale Motive an: Rache, Zwang, Gewalt, Kinderlosigkeit, Ehrverlust. Bei Männern spielten all diese Aspekte keine Rolle. Nur jede achte Täterin, aber knapp jeder zweite Täter, waren nach eigenen Angaben vor allem „religiös motiviert“.

Selbstmord ist im islamischen Kulturkreis ein totales Tabu. Der Selbstmörder muss mit jenseitiger Strafe rechnen und hinterlässt seine Angehörigen in Schande. Der Selbstmordattentäter aber hat Aussicht auf jenseitigen Lohn und hinterlässt seiner Familie Ehre. Was für eine Option besonders für Frauen, die in der Regel noch weniger Möglichkeiten haben als Männer, sich aus unerträglichen Lebensbedingungen zu befreien. Das würde auch erklären, warum so manches Selbstmordattentat einer Frau so wenige Opfer fordert.

Von der Islamwissenschaftlerin erschien: „Zwischen Ramadan und Reeperbahn“ und „Familienleben im Islam“ (beide Herder TB).

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