Berufsverbot für Pädosexuelle

Christine Bussat hat die Volksabstimmung in der Schweiz ins Leben gerufen. (Foto: La Télé)
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„Das Votum der Mehrheit von Volk und Ständen ist klar: Das Strafrecht muss sich viel stärker am Schutz der Bevölkerung und weniger auf die Bedürfnisse der Täter ausrichten.“ Das verkündet die Initiative „Ja zum Berufsverbot für pädophile Straftäter“ nach dem deutlichen Ergebnis der Volksabstimmung am Sonntag. 63,5 Prozent der Schweizer BürgerInnen, das entspricht 1,8 Millionen Menschen, stimmten dafür, dass pädokriminelle Straftäter künftig ein lebenslanges Berufsverbot erhalten - und eine Million dagegen. Auch alle Kantone unterstützten die Initiative.  

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Die Schweizer Regierung muss also nun ein Gesetz formulieren, das dem klaren Votum der Bevölkerung Rechnung trägt: „Personen, die verurteilt werden, weil sie die sexuelle Unversehrtheit eines Kindes oder einer abhängigen Person beeinträchtigt haben, verlieren endgültig das Recht, eine berufliche oder ehrenamtliche Tätigkeit mit Minderjährigen oder Abhängigen auszuüben." Damit hat die Initiative durchgesetzt, dass die Schweiz eines der europaweit schärfsten Gesetze zum Schutz von Kindern vor sexuellem Missbrauch bekommen wird. Zwar können RichterInnen ab 1. Januar 2015 bereits ein Berufsverbot über pädokriminelle Täter verhängen. Aber das darf erstens nur maximal zehn Jahre dauern. Zweitens "wollen wir keine Ermessensentscheidung", erklärt der parteillose Ständerat-Abgeordnete Thomas Minder, der Mitglied der Initiative ist.

In Deutschland ist ein lebenslanges Berufsverbot für pädosexuelle Straftäter schon jetzt möglich. Aber: Es ist ins Ermessen der Richter gestellt. Hierzulande können RichterInnen laut § 70 des Strafgesetzbuches ein Berufsverbot zwischen drei Monaten und drei Jahren verhängen. Das lebenslange Berufsverbot ist möglich, "wenn zu erwarten ist, daß die gesetzliche Höchstfrist zur Abwehr der von dem Täter drohenden Gefahr nicht ausreicht". Offenbar tun sich die RichterInnen aber schon mit einem kurzen Berufsverbot sehr schwer, wie einige skandalöse Fälle zeigen. So war im Oktober 2013 der Erzieher einer Hamburger Kita zu fünf Jahren und zwei Monaten Haft verurteilt worden, weil er in und außerhalb der Kita Jungen und Mädchen missbraucht und pornografische Fotos von ihnen gemacht hatte. Der Richter verhängte kein Berufsverbot.

Im November 2011 hatte das Landgericht Karlsruhe den Gruppenleiter eines Kinderheims zu fünf Jahren und acht Monaten Haft verurteilt. Der Richter verhängte kein Berufsverbot - obwohl der Mann ein Mehrfachtäter war. Die Staatsanwaltschaft legte Revision ein - und scheiterte vor dem Bundesgerichtshof. Seither hängt die Latte für den "schwerwiegenden Eingriff" (BGH) offenbar ausgeprochen hoch.  

In der Schweiz wird das künftig anders sein. Auch wenn sogar die sozialdemokratische Justizministerin Simonetta Sommaruga gegen die Inititative war. Das automatische Berufsverbot "verletzt den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit", erklärte sie. Dieses Argument überzeugte die Mehrheit der SchweizerInnen genau so wenig wie der Versuch einer Gegeninitiative unter Führung des Politikers Andrea Caroni von der Freisinnig Demokratischen Partei (FDP), gegen das Anliegen zu mobilisieren. Der liberale Caroni hatte versucht, die Initiative zu diskreditieren, indem er ihr „fehlende Rechtsstaatlichkeit“ unterstellte. So seien zum Beispiel auch sogenannte „Jugendlieben“ vom geplanten Gesetz betroffen. Zum Beispiel ein 19-Jähriger, der eine sexuelle Beziehung zu einer 15-Jährigen habe.

„Das ist falsch“, erklärte die Initiative jetzt noch einmal. „Die Initiative zielt auf Straftäter, die sich an Kindern oder Abhängigen vergehen. Dies hat das Initiativkomitee von Anfang an betont.“ Alles andere könne im „Ausführungsgesetz“ entsprechend geregelt werden. „Das Verdikt ist klar: Es ist nicht einzusehen, warum verurteilte Sexualstraftäter nach Verbüßung ihrer Strafe Tätigkeiten ausüben sollen, die sie wieder in Kontakt mit Kindern bringen.“ Denn: „Pädophilie ist nicht heilbar.“ Das Maximum, das Therapie erreichen kann bei Männern , die Kinder begehren, ist deren Bereitschaft zur Selbstkontrolle. Dazu gehört, dass Pädophile sich von Orten mit Kindern fernhalten. Ein Berufsverbot für Pädophile für Berufe, in denen sie mit Kindern bzw. Abhängigen zu tun haben, wäre also auch ein Schutz für diese Männer. Die Mehrheit der SchweizerInnen sieht das genauso.

Das dürfte diejenige besonders freuen, die die Volksabstimmung ins Leben gerufen hatte: Christine Bussat. Die parteilose Mutter dreier Kinder und Imbiss-Betreiberin aus Genf hat sich den Kampf gegen die Pädokriminalität und den Schutz der Opfer schon seit Jahren auf die Fahnen geschrieben. Bereits 2008 initiierte sie eine Volksabstimmung, die die Verjährung „sexueller und pornografischer Straftaten gegen Kinder“ abschaffen wollte. Auch damals sagten die SchweizerInnen Ja. Diesmal war Bussat skeptisch: „Ich war überzeugt, dass wir mit unserer Initiative nicht durchkommen“, erklärte sie gestern nach ihrem Erfolg. In diesem Fall hatte Christine Bussat unrecht.

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Schweiz: Berufsverbot für Pädophile

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Sie hat es wieder getan. Christine Bussat, 42, Imbiss-Betreiberin und Mutter von drei Kindern in Genf, hat zum zweiten Mal eine Volksabstimmung angezettelt. Diesmal zu dem Verlangen, dass verurteilte Pädophile ein lebenslanges Berufsverbot für Berufe bekommen sollen, bei denen sie mit Minderjährigen oder anderen Abhängigen zu tun haben.

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Die erste von Bussat initiierte Volksabstimmung lief 2008, und da ging es um "die Unverjährbarkeit sexueller und pornografischer Straftaten an Kindern". Das ist richtig, fanden die SchweizerInnen und sagten Ja!

Auch am 18. Mai stehen die Chancen nicht schlecht, dass eine Mehrheit der BürgerInnen Christine recht gibt. Denn die Argumente der Initiative "Pädophile sollen nicht mehr mit Kindern arbeiten" leuchten ein. Das Hauptargument: Der Schutz der Kinder. Aber wäre ein lebenslanges Berufsverbot für straffällig gewordene Pädophile nicht dennoch unverhältnismäßig?

Im Gegenteil, argumentiert die Initiative: Es würde sogar die Pädophilen selber schützen. Denn darin ist die Wissenschaft sich heute einig: Das im Menschen sehr früh angelegte Begehren von Kindern ist nicht heilbar. Es ist emotional irreversibel in einem Menschen verankert.

Das Maximum, was eine Therapie erreichen kann, ist die Bereitschaft des Betroffenen selbst zu Kontrolle: Dass er seine Gefühle nicht auslebt. Aber das dafür nötige Problembewusstsein haben keineswegs alle.

Es ist Teil jeder Therapie von Pädophilen, dass sie lernen, heiklen Situationen auszuweichen; dazu gehört, Orte mit Kindern zu meiden. Ein reuiger, einsichtiger Pädophiler müsste also schon aus eigenem Impuls auf Berufsausübungen verzichten, die ihn mit Kindern oder anderen Abhängigen, wie Behinderten, zusammenbringt.

Die GegnerInnen der Initiave argumentieren, es sei in der Schweiz eh eine Gesetzesänderung für 2015 geplant. Danach könnten Richter verurteilten Pädophilen in Zukunft auf Zeit oder auch auf Dauer ein Berufsverbot erteilen. Diesen Schritt hält auch die Initiative für richtig, aber nicht für ausreichend. Denn dann würde ein lebenslanges Berufsverbot im Ermessen des Richters liegen. Außerdem, so das Argument, wäre ein Verbot auf Zeit auf jeden Fall falsch. Denn, wie gesagt, Pädophilie ist erwiesenermaßen nicht heilbar.

Initiatorin Bussat war früher Mitglied der Sozialdemokratischen Partei. Als die SP, die zunächst ihre Anti-Pornografie-Initiative unterstützt hatte, jedoch ausstieg, nur weil auch die Konservativen einstiegen, trat Bussat aus der Partei aus. Heute ist die so engagierte Bürgerin parteilos, und "irgendwo dazwischen".

Auch diesmal sind die Sozialdemokraten und Liberalen gegen die Initiative - und die Konservativen eher pro. Die in sexualpolitischen Fragen für gewöhnlich offene und engagierte SP-Justizministerin Simonetta Sommaruga erklärte: "Die Bevölkerung kann mit gutem Gewissen Nein sagen zu der Initiative." Denn Gerichte könnten es einem Täter schon heute verbieten, "mit einem Kind in Kontakt zu treten". Überprüfen ließe sich das mit "elektronischen Fußfesseln".

Doch abgesehen davon, dass auch die elektronischen Fußfesseln schon so manches Mal versagt haben, geht es hier nicht um ein Kind, sondern um alle Kinder. Und es ist gut möglich, dass die Mehrheit der SchweizerInnen die Imbiss-Betreiberin in Genf in der Frage kompetenter finden als die Justizministerin in Bern.

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