Kinder vs. Modefotos: Ist sie etwa tot?
Beispiel Nummer 1 (rechts): „Sie braucht erste Hilfe!“ - „Sie ist arm oder betrunken!“ - „Sie fühlt sich allein und hat Angst – und sie hat Hunger!“ - „Ich würde meine Mama fragen, ob wir ihr helfen können, damit sie sich wenigstens für kurze Zeit geborgen fühlt und nicht mehr auf der Straße leben muss!“
Beispiel Nummer 2: „Das ist ein Mädchen, das kackt!“ - „Ist das ein Mann?“ - „Nein, es muss eine Frau sein, sie hat High-Heels an!"
Beispiel Nummer 3: "Vielleicht stirbt sie gerade…!"
Beispiel Nummer 4: „Zwei Mädchen, tot auf der Straße, weil sie von einem Lastwagen überfahren wurden!“
So reagierten spanische Schulkinder auf hochglänzende Werbekampagnen zur diesjährigen Herbst- und Winterkollektion. Die spanische Künstlerin Yolanda Dominguez hatte den Achtjährigen ein iPad mit den Fotos vor die Nase gestellt. Und sie dann gebeten zu beschreiben, was sie sehen. „Kinder vs. Mode“ heißt die Aktion.
„In den letzten Jahren sind Fashion-Kampagnen immer gewalttätiger und demütigender gegenüber Frauen geworden“, sagt Yolande Dominguez zu EMMA. „Das heißt auch, dass diese Kampagnen Gewalt gegen Frauen als etwas völlig Normales erscheinen lassen.“ So wie die Beispiele, die Dominguez den Kindern gezeigt hat:
Fashion-Kampagnen werden immer demütigender
Beispiel Nummer 1: Die Werbung der spanischen Modefirma „Loewe“. Wir sehen eine dürre Frau in einem Jeans-Anzug, die verrenkt auf dem Boden sitzt und einen Arm vor ihr Gesicht hält.
Beispiel Nummer 2: Eine Werbekampagne des amerikanisch-taiwanesischen Modedesigners Alexander Wang, auf der eine dürre Frau in Jeans-Hotpants samt weißer High-Heels sowie aufgeknöpftem Jeanshemd zusammengesackt auf einer Toilette hängt.
Beispiel Nummer 3: Werbung des amerikanischen Modeschöpfers Marc Jacobs, auf der links eine Frau platt auf dem Boden liegt in schwarzer Bluse. Und rechts eine Frau zusammengekauert auf dem Boden sitzt in schwarzer Bluse.
Beispiel Nummer 4: Eine Werbung der Vogue. Auf einer sonst menschenleeren Straße liegen zwei verrenkte Frauenkörper in bunten Kleidern. Die eine noch halb auf dem Bürgersteig.
Für die Schulkinder aus Madrid, die sie für ihr Experiment engagiert hat, spielt diese Modewelt noch keine Rolle. Die Logik solcher Werbekampagne ist ihnen unbekannt. Genauso wie Yolandas eigentliche Absicht. „Es hat schon fast Spaß gemacht, ihnen dabei zuzusehen, wie sie um die Bilder herum Geschichten mit echten Charakteren gesponnen haben, als handele es sich um einen Film. Und wie sie den Frauen sogar ihre Hilfe angeboten haben“, sagt die Künstlerin. Ihr Video von den Reaktionen der Kinder steht auf You Tube, mit rund einer halbe Million Klicks.
Die Kinder haben den Frauen ihre Hilfe angeboten
Yolanda Dominguez ist 36 Jahre alt und lebt in Madrid. Dort hat sie Kunst und Fotografie studiert. Ihre Welt sind nicht die artifiziellen Galerien und Museen, sondern interaktive Performances auf der Straße und im Netz. Ihr Thema ist nicht nur die Ikonografie der Werbung, sondern ihr Thema sind die Frauen an sich.
2010 sorgte sie mit der Aktion „Fake your orgasm“ erstmals für Trouble in Spanien. Sie engagierte eine Schauspielerin, die sich als Coach für das Vortäuschen vor Orgasmen ausgab. Die verteilte sogar Flyer für entsprechende Seminare und gab ein Radiointerview, bei dem Zuhörer live Fragen stellen konnten. Es riefen unzählige Frauen an, die von dem Orgasmus-Coach wissen wollten, wie sie überzeugender rüberkommen. Einige Anruferinnen hatten selbst Tipps, wie Frauen am besten einen Orgasmus fälschen. Diese Kunstaktion ist allzu real. SexualwissenschaftlerInnen haben jüngst herausgefunden, dass Frauen heute deutlich öfter dazu neigen, einen Orgasmus vorzutäuschen als noch vor einigen Jahren (mehr dazu in der nächsten EMMA).
Auch "Fake your orgasm" sorgte für Trouble in Spanien
Zwei Jahre später veröffentliche Dominguez „Poses“ – eine Aktion, bei der ganz normale Frauen auf der Straße Modefotos originalgetreu nachstellten. Das sorgte für einige Irritation bei den PassantInnen, denn die Frauen sahen wirklich ganz schön lächerlich dabei aus, wie sie sich zum Beispiel mit der Hand im Mund leicht nach vorne gebeugt auf eine Einkaufsstraße stellten. Oder mit verdrehter Haltung in ein Blumenbeet im Park legten. „Livings“ nennt Dominguez ihre lebendigen Kunstwerke.
Bei der Aktion „Kinder vs. Mode“ hat sie den Schülern und Schülerinnen übrigens auch Werbung für Männermode gezeigt. Zum Beispiel die von Boss, auf der einige sehr stattliche Männer im schwarzen Anzug selbstbewusst herumstehen. „Sie sehen aus wie Helden oder wie Chefs“, lautete diesmal die Reaktion. Oder: „Sie lernen, weil sie an die Universität gehen möchten!“. Und ein Junge sagte: „Ich möchte auch an eine Universität gehen!“
Alexandra Eul
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