Sylvia: Die Pantomimin
„Manchmal denke ich: Ich könnte eigentlich selbst Hilfe gebrauchen. Ich bin seit über einem Jahr auf Arbeitsuche, seit dem Ende meiner Elternzeit. Mein Sohn ist jetzt drei Jahre alt. Vorher hatte ich zwei halbe Stellen. Eine als wissenschaftliche Mitarbeiterin in einem Forschungsprojekt, die andere als Schauspielerin und Theaterpädagogin in der freien Theaterszene in Leipzig. Ja, genau in der Ecke von Deutschland lebe ich, die neuerdings immer wieder wegen brennender Flüchtlingsunterkünfte und grölender Nazis in den Medien ist. Selbst Freunde von mir in Australien berichten: Wenn etwas über Deutschland in den Nachrichten kommt, dann über die Angriffe auf Flüchtlingsheime. Ich schäme mich wirklich sehr deswegen. Obwohl ich ja gar nichts dafür kann. Ganz im Gegenteil: Ich bin eine von denen, die helfen.
Ich möchte als nächstes eine Patenschaft übernehmen
Als vor einigen Wochen der ‚Flüchtlingsrat Leipzig’ angefragt hat, ob Freiwillige Ferienprojekte für Kinder anbieten wollen, war ich sofort Feuer und Flamme. Die finanziellen Kapazitäten, etwas zu spenden, habe ich ja nicht. So kann auch ich helfen, dachte ich. Also habe ich mir einen Pantomime-Workshop ausgedacht. Das schien mir leicht umsetzbar, weil es da ja nicht auf Sprache ankommt. Ich hatte sogar vor, ein kleines Stück auf die Bühne zu bringen.
Damit bin ich dann in zwei Wohnheime hier in Leipzig gegangen. Und habe schnell gemerkt: Das klappt alles gar nicht so, wie ich mir das denke! Denn selbst bei Pantomime musst du mit Worten beschreiben können, was du siehst. Vor mir saßen Kinder aus Mazedonien, dem Kosovo, Irak, Pakistan und Syrien, zwischen fünf und 15 Jahre alt. Wir konnten uns nur mit Händen, Füßen und lächelnden Gesichtern verständigen. An einen Pantomime-Workshop war nicht zu denken.
Also habe ich mir schnell etwas anderes ausgedacht: Wir haben einfach Kinderspiele gespielt, die auch theaterpädagogisch angewendet werden, weil sie unter anderem die Wahrnehmung schulen. Zum Beispiel das Anschleich-Spiel, bei dem einer mit dem Rücken zum Rest vorne steht. Und so lange er sich nicht umdreht, schleichen sich die anderen an. Dreht er sich um, müssen alle ganz, ganz still stehen. Wer wackelt, muss zurück zur Ausgangslinie. Oder das Auspack-Spiel. Immer wenn jemand eine Sechs würfelt, darf er ein riesiges Paket in der Mitte ein Stückchen weiter auspacken. Bei solchen Spielen konnten wir dann auch super die Zahlen auf Deutsch üben. Ich habe versucht, den Kindern spielerisch etwas beizubringen, was sie später gebrauchen können. Hat wahnsinnigen Spaß gemacht.
Noch beliebter als Spielen war allerdings Malen. Eine Bekannte von mir hat das angeboten. Und auch ich wurde ständig gefragt: ‚Malen wir jetzt?’ Die Bilder von den Kindern sind teilweise sehr krass, einige malen Panzer und Kriegsflugzeuge. Das hat mich erschüttert.
Viele Kinder malen Panzer und Kriegs-
flugzeuge
Ich bin selbst mehrmals in Syrien gereist, 2006 war ich für ein interdisziplinäres Sonderforschungsprojekt dort. ‚Differenz und Integration - Wechselwirkungen zwischen nomadischen und sesshaften Lebensformen in Zivilisationen der Alten Welt’ hieß das. Ich habe in Syrien eine Straße fotografisch dokumentiert, die von Damaskus über Palmyra und Deir ez-Zor nach Haseke führt, um so zivilisatorische Spuren in der Wüste aufzuzeigen. Ich fühle mich dem Land wirklich sehr verbunden. Was ich in den Nachrichten sehe, schockiert mich sehr.
Als nächstes möchte ich gerne eine Patenschaft für eine Flüchtlingsfamilie übernehmen. Das kann jede und jeder machen, es dauert aber manchmal etwas, bis man eine Familie zugeteilt bekommt. Der Flüchtlingsrat in Leipzig schaut recht genau hin, ob eine Familie zu einem passt. Ich habe demnächst ein Bewerbungsgespräch an einem Theater als Regieassistentin. Mal sehen, was dabei herauskommt. Aber eins nach dem anderen."
Wer mitmachen will
www.fluechtlingsrat-lpz.org