Sandra: Die Deutschlehrerin
„Ich wollte immer schon Deutschlehrerin werden, aber meine Eltern haben mir das als junge Frau nicht erlaubt. Stattdessen sollte ich etwas Vernünftiges lernen: Speditionskauffrau. Mein Traum hat mich trotzdem nie losgelassen. Und so habe ich auch nicht gezögert, als eine Bekannte vom ‚Arbeitskreis Flüchtlinge’ hier aus Meinerzhagen mit einer jungen Frau aus Kasachstan im Schlepptau in dem Esoterik-Laden stand, den ich bis vor einigen Monaten noch geführt habe, und sagte: ‚Wir brauchen dringend Hilfe! Vor allem für die Vorkurse in Deutsch!’
Soll ich mich anders anziehen wegen der vielen Männer?
Ich habe sie damals in einen Kurs begleitet und mir die Sache einfach mal angesehen. Diese Vorkurse sind die Vorbereitung auf den weiterführenden Sprach-Kurs bei der VHS. Bei uns lernen die Flüchtlinge die Grundlagen. Wir arbeiten alle ehrenamtlich. Als ich den ersten Kurs konzipiert habe, habe ich mir das Lehrmaterial noch im Internet zusammengesucht. Fotos zum Beispiel oder kleine Beispiele für Smalltalk-Situationen. Mittlerweile gibt es ein Lehrbuch, das heißt ‚Erste Schritte Plus’. Das setze ich aber nur bedingt ein, weil ich es für jemanden, der Deutsch gar nicht kann, zu schwierig finde.
In den Kursen sitzen ja auch Menschen, die völlig unterschiedliche Sprachen sprechen. Ich frage als erstes immer nach, ob jemand Englisch oder Französisch kann, um beim Übersetzen zu helfen. Meistens sind zehn Teilnehmerinnen und Teilnehmer da, im Moment neun Männer und eine Frau. Der überwiegende Teil der Flüchtlinge hier im Sauerland ist männlich. Das ist doch klar, Frauen packen das doch oft gar nicht! Ich habe die grausamsten Geschichten gehört, von Vergewaltigung bis Mord.
Viele Flüchtlinge haben auch Angst, in unsere Kurse zu kommen. Ich habe deshalb mit meinem Sprach-Kurs-Kollegen ganz zu Beginn die Unterkünfte abgeklappert, damit die ein Gesicht vor Augen haben. Das war ein Eisbrecher. Anfangs habe ich mir auch viele Gedanken darüber gemacht, ob ich mich anders anziehen soll wegen der vielen Männer. Ich bin nämlich eine Frau, die - ich sag es mal so - sich gerne als Frau zu erkennen gibt. Aber dann habe ich mir gedacht: Quatsch, ich bleibe genau so, wie ich bin! Und das war auch gut so. Ich erhalte schon viel Respekt von den Schülern.
Wieso ist es so teuer, Sprach-
lehrerin zu werden?
Mehr Zuspruch würde ich mir dagegen von meinem direkten Umfeld wünschen. Ich arbeite mittlerweile als Köchin in einem Restaurant. Dort bin ich schon mehrfach darauf angesprochen worden, wie ich sowas denn bitte schön ehrenamtlich machen könnte. Von ‚Die nehmen uns die Arbeitsplätze weg!’ bis zu ‚Die kommen doch aus Ländern, in denen ich Urlaub mache, so schlimm kann es nicht sein!’ waren alle denkbaren Reaktionen dabei. Auf dem platten Land sind die Vorurteile gegen Ausländer größer, das ist kein Klischee.
Wir vom Arbeitskreis haben schon drei Info-Veranstaltungen gemacht. Doch die Resonanz ging gegen Null. Es interessiert die Leute einfach nicht. Oder sie haben auch Angst. Eine Bekannte hat Drohanrufe bekommen, Stil: ‚Pass auf, was du da machst, mit so einer Asylanten-Schlampe wollen wir nichts zu tun haben!’ Zum Glück bekommen die Flüchtlinge davon nicht so viel mit. Die bedrängen mich eher, dass ich meinen Kurs öfter anbieten soll. Ich würde sehr gerne an einer Qualifizierungsmaßnahme für die weiterführenden VHS-Kurse teilnehmen, um Deutsch als Fremdsprache zu unterrichten. Das wird sogar vergütet. Aber diese Maßnahmen kosten bis zu 1.000 Euro, das kann ich mir nicht leisten. Dabei weiß ich, dass die VHS gerade händeringend Kursleiterinnen und –leiter sucht ...“