Das Leid mit den Pflegeberufen

Artikel teilen

80 Prozent der Fürsorge- und Pflegeberufe sowie 90 Prozent der Familien- und Hausarbeit werden von Frauen geleistet. Die einen werden sehr gering entlohnt, die anderen machen die Arbeit gratis. Da gibt es selbstverständlich einen Zusammenhang – denn warum sollte eine Arbeit, die auch gratis gemacht wird, plötzlich entlohnt werden? Und das auch noch angemessen. Vor allem, da es sich um eine so genannte „Frauenarbeit“ handelt, und Frauen bekanntlich bescheiden sind.

Anzeige

Bei den matten Versuchen, die Familienarbeit zwischen Frauen und Männern gerecht aufzuteilen und die Pflegeberufe anständig zu entlohnen – nicht zuletzt, damit auch die Männer rein gehen – begnügt man sich mit wohlfeilen Appellen: an Frauen mit Kindern, ihren Job nicht aufzugeben – und an Arbeitgeber in Krankenhäusern und Altenheimen, ihre Angestellten besser zu bezahlen.

Die Berufswahl der Frauen ist geprägt von Vorbildern.

Die Konservativen sehen in Wahrheit keinen Grund, die Dinge zu ändern. Die Fortschrittlichen wünschen sich mehr Männer in der Pflege. Keine schlechte Idee. Der Film „Ziemlich beste Freunde“ – in dem ein armer farbiger Pfleger den Rollstuhl eines reichen Adligen schiebt und dem Gelähmten die Lebensfreude zurückgibt – hat gezeigt, wie sinnvoll Männer in der Pflege sein können.

Und die feministische Position? Sie ist einfach. Sie verweist darauf, dass Frauen immer schon, seit Jahrhunderten, als Pflegerinnen tätig waren, professionell oder privat, und dass die Gesellschaft ihnen darum endlich die Teilhabe in anderen, interessanten Berufsdomänen schulde. Denn die Fürsorge, um es offen zu sagen, ist über weite Strecken keineswegs so erfüllend, wie gerne behauptet wird, sondern oft belastend, ermüdend und entsetzlich langeweilig. 

Sicher, es gibt, wenn es um sehr junge Kinder oder sehr alte Menschen geht, immer wieder auch erhabene Momente. Aber die sind selten im Vergleich zu der Monotonie repetitiver Tätigkeiten, die nun mal sein müssen und für die das Personal von Krankenhäusern und Pflegeheimen nur selten Dank erntet – die Ehefrau oder Tochter schon gar nicht. Dennoch geht man davon aus, dass Männer sich nun mal nur für gut bezahlte Posten interessieren, während Frauen „was mit Menschen“ machen wollen und  Geld nicht so wichtig finden. Das mag, was die Frauen betrifft, stimmen, ändert sich aber gerade. Den Männern nun geht es keinesfalls immer nur ums hohe Einkommen. Sie wünschen sich interessante Berufe, eine Arbeit, die sie fordert und fördert, ihnen neue Einsichten verschafft und sie was von der Welt sehen lässt. 

Frauen wünschen eigentlich auch Herausforderungen, Erkenntnisse, Gehaltserhöhungen und Reisen, aber sie knicken bei der Berufswahl dann doch reihenweise ein und begnügen sich mit ihrer angestammten Sphäre: der Pflege, der Fürsorge, als Beruf oder als Hobby. Diese Wahl ist nicht Ausdruck der weiblichen Natur, sondern geprägt von dem Vorbild der Mutter und Großmutter.

Bevor den Frauen der Arbeitsmarkt offen stand, blieb ihnen neben der Erziehung ihrer Kinder und der hauswirtschaftlichen Betätigung im weitesten Sinn (Kleinlandwirtschaft usw.) nur die Fürsorge für die Familie. Das war ihre Welt. Und das wirkt nach. Der erste höher qualifizierte Beruf, den Frauen in unserer Zivilisation neben oder anstatt ihrer „natürlichen“ Berufung zur Hausmutter ausüben durften, war die Lehrerin. Darin setzte sich sozusagen die pädagogische Berufung einer Mutter fort. Später folgten dann die Ärztin bzw. die Krankenschwester – eine Mutter musste und muss ja bei Krankheit von Mann und Kindern immer auch erste hausärztliche Hilfe leisten. Die meisten Frauenberufe – wie Schneiderin oder Köchin oder Kindermädchen – sind von der Tätigkeit der Ehefrau und Mutter abgeleitet und führen aus der engen Häuslichkeit als Schauplatz des weiblichen Wirkens nicht hinaus, ob bezahlt oder nicht.

Frauen tüteln zu Hause oder in der Kita oder im Pflegeheim rum, Männer befahren die Weltmeere, führen Kriege oder fordern einander verbal auf den Tribünen und Kanzeln der Parlamente, Forschungszentren, Kirchen und Konferenzen heraus. Frauen sind heute schon immer mal dabei, gut so. Aber sie haben noch lange nicht auf - geschlossen, und ihre Neigung zu Pflegeberufen ebenso wie die Scheu der Männer vor diesen Tätigkeiten sind kein gutes Zeichen.

Der konservative Einspruch, der auch von so mancher Frau geteilt wird, lautet: Die Erziehung von Kindern, die Pflege kranker oder alter Menschen berge ein großes Potenzial humaner Bewährung und Erfüllung, ob nun daheim beim Säugling oder Großvater oder gegen Bezahlung in der Klinik geleistet. Lassen wir die Schattenseiten der Fürsorge also mal weg und betonen ihren menschlichen Wert: Was spricht dann dagegen, dass auch Männer sich in dieser wunderbaren Sphäre tummeln? Zumal wir spätestens seit „Ziemlich beste Freunde“ wissen, dass sie sich zur Pflege eignen? Gerade deshalb, weil sie unverblümter an die Aufgaben rangehen, da ihnen der von Frauen seit Jahrhunderten eingeübte Therapeuten- Sprech abgeht.

Wir brauchen eine Männer-
quote für 
Pflegeberufe!

Die Professionalisierung von Fürsorge und Pflege wird zunehmen. Also wäre eine Elementarbildung in diesem Bereich für alle wünschenswert. Es sollte über ein Schulfach „Pflege“ nachgedacht werden. Die heutigen Curricula orientieren sich noch an der Begeisterung für die Naturwissenschaften aus dem 19. Jahrhundert (Biologie, Chemie, Physik) und waren für die künftige studentische Elite gedacht, sie gehen also an der heutigen Lebenswirklichkeit vorbei. Das Erlernen von Haushaltsführung, Erster Hilfe, Kinderpflege und Altenbetreuung ist angesagt. Für beide Geschlechter. Aus dem freiwilligen sozialen Jahr nach dem Schulabschluss sollte ein verbindliches Pflegejahr für alle werden.

Letztendlich kommt die Gesellschaft um eine Männerquote für die pflegerischen Berufe nicht herum, denn es ist die Gewohnheit, die Arbeitgeber in Altersheimen oder Kinderkrippen dazu bewegt, Frauen einzustellen, so wie es auch die Gewohnheit ist, die Chefs dazu treibt, lieber einen Mann als eine Frau zu befördern. Quoten sind dafür da, diese antiquierten Gewohnheiten zu konterkarieren. Das Argument „Es war schon immer so“ kann sich unsere mit dem Pflegenotstand kämpfende Gesellschaft nicht länger leisten.

Um der Frauen Willen, die nicht weiterhin auf die Pflegerei als angeblich typisch weibliches Berufsfeld festgelegt werden dürfen. Um der pflegebedürftigen Menschen Willen, die beide Geschlechter um sich haben sollten. Und um der Männer Willen, die ein besseres Gewissen haben werden, wenn sie das Ihre zu der Fürsorge für Kinder, Schwache, Kranke und Alte hinzutun.

Gerade die Männer mit ihrer Freude an Rivalität und Mobilität können gewinnen, wenn sie dazu genötigt werden, einem Menschenwesen mit Defiziten – gerade erst zur Welt gekommen und rund um die Uhr der Zuwendung bedürftig, oder krank, drogensüchtig, wahnsinnig, suizidal, steinalt, bewegungsunfähig, dement – ihr Ungestüm zügeln müssen beim Zuhören am Krankenbett, beim Füttern, Waschen, Zudecken und Trösten, und erfahren, wie fragil, wie verletzlich und bedroht das menschliche Leben ist, wenn es ohne Hilfe und Fürsorge sich selbst überlassen bleibt. Zumal sie ja mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eines Tages auch selber erneut in die Lage kommen werden, Pflege und Hilfe zu benötigen.

Dem steht die schlechte Bezahlung der pfle gerischen Berufe entgegen. Doch da wir einen Pflegenotstand haben, müsste den Marktgesetzen folgend der Lohn der Erziehenden und Pflegenden steigen. Was die Berufe für Männer akzeptabler machen würde. Da kommen nun aber Arbeitssuchende aus dem europäischen Osten dazwischen, die berühmte Polin, und die Aufwärtstendenz der Löhne wird wieder gestoppt. Hier könnte nur der politische und gewerkschaftliche Wille helfen. Zeit, die Politik wachzurütteln, damit auch sie begreift: Pflegerische Berufe dürfen nicht länger Frauensache bleiben, die Männerquote muss her. Und das soziale Jahr für alle.

Barbara Sichtermann

Artikel teilen
 
Zur Startseite