Der fragwürdige Zentralrat der Muslime

Aiman Mazyek, Vorsitzender des ZMD (li) und Murad Kayman, Vorsitzender der Ditib - Fotos: Henning Kaiser/dpa, Eibner/imago images
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"Wer hier als Gast zu uns kommt und meint, sich wie ein Ekel benehmen zu können, und unsere Mädels begrabscht, der hat sein Gastrecht verwirkt und geht zurück, wo der Pfeffer wächst.“ Tosender Applaus. Wir befinden uns im Eurogress zu Aachen, wo am 23. Januar 2016 der 66. Orden ‚Wider den tierischen Ernst‘ vergeben wird. In der Bütt steht Aiman Mazyek, Vorsitzender des „Zentralrats der Mus­lime in Deutschland“ (ZMD). In den vergangenen Monaten gewann man den Eindruck, er sei der einzige, der für die Musliminnen und Muslime in Deutschland sprechen kann. Kaum eine Zeitung, Talkshow oder Diskussion zur Flüchtlingsthematik kommt ohne ihn aus. 

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Auf der Karnevalsbühne hätte man den Vorsitzenden des Zentralrates allerdings nicht gerade erwartet. Doch einmal eingeladen ließ sich der gebürtige Aachener Mazyek nicht lange bitten und startet seine Rede mit dem Bekenntnis: „Sie können es sich vielleicht vorstellen: Als Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland habe ich dieser Tage kaum eine freie Minute. Aber wenn der Elferrat ruft, dann steht „ne echte Öcher Jong“ [ein echter Aachener Junge] parat, als deutscher Hof- und Quoten-Moslem allemal.“ 

Nur wenige Tage später äußert sich Mazyek allerdings ganz anders. Inzwischen hatten sich offenbar zahlreiche Muslime empört darüber gezeigt, dass der Vorsitzende des Zentralrats an einer Karnevalsveranstaltung teilgenommen hatte und sich noch dazu von zwei leicht bekleideten Damen ans Rednerpult begleiten ließ. „Ich habe mir die Entscheidung nicht einfach gemacht“, so Mazyek reuig auf www.islam.de. „Mir war bewusst, dass ich dabei auch bei einigen Muslimen auf Unverständnis stoße. Ich sah aber, dass die Vorteile überwogen. (…) Grundsätzlich gehe ich, auch aus anderen Gründen, nicht zu solchen Veranstaltungen hin. Hier machte ich eine Ausnahme. Das kann man kritisieren.“ 

Wo ist der ‚Öcher Jong‘ geblieben, der gerade noch wortreich und Beifall heischend bekannt hatte, er stehe natürlich parat, wenn der Elferrat ruft? Es war also offenbar politisches Kalkül, die islamrechtlich durchaus übliche Abwägung, ob im Einzelfall der Nutzen für die Muslime größer ist als der Schaden. Und es war eine weitere Gelegenheit für Mazyek, sich in den Medien zu präsentieren. 

„Ich wollte ein Zeichen der Mäßigung setzen, auch und gerade nach der letzten Hysterie um die Silvesternacht in Köln“, führt er weiter aus. Hysterie nennt der Zentralrats-Vorsitzende also nun die Aufregung über massenhafte sexuelle Übergriffe gegen Frauen durch Männer aus dem arabisch-islamisch geprägten Kulturraum. Hatte er nicht noch wenige Tage zuvor die Täter dahin schicken wollen, wo der Pfeffer wächst? Was denn nun? 

Wer wissen möchte, was der Zentralrat eigentlich denkt und welches Islam-Verständnis er vertritt, werfe einen Blick auf islam.de. Hier gibt er unter der Rubrik ‚Wer, wie, was? – FAQ‘ Auskunft über die richtige muslimische Haltung zu Themen des öffentlichen und privaten Lebens. Dabei handelt es sich durchweg um die klassischen Positionen der Scharia, des Werte-, Normen- und Regelsystems des orthodoxen Islam, das im Idealfall alle Bereiche des privaten und öffentlichen Lebens durchdringen und prägen soll. Dabei agiert der Zentralrat missionarisch und bewirbt offensiv den Übertritt zum Islam. 

Anfang des Jahres jedoch behauptete der Zentralrats-Vorsitzende bei Sandra Maischberger: „Das ist nicht unsere Website.“ „Sie sind doch da Redakteur?“ „Nein, nein, nein.“ Das war schon wirklich dreist. Denn islam.de bezeichnet sich in seiner Selbstdarstellung als „Projekt des ZMD“, Aiman Mazyek als Projektleiter. Die Seite ist voll von Meinungsäußerungen des Zentralrats und insbesondere seines Vorsitzenden Mazyek, der bis vor kurzem noch im Impressum als Chef vom Dienst erschien und die Domain verantwortet. Das auf islam.de zu findende Islamverständnis des Zentralrats entlarvt die vollmundige Zustimmung des Verbandes zu Freiheit, Demokratie und Menschenrechten als Lippenbekenntnis. 

Immer wieder versucht der Zentralrat, die Schlechterstellung der Frauen im Islam als Klischee abzutun und zu relativieren. Doch ein Blick in die Realität zeigt: In vielen Bereichen wird zwischen Rechten und Pflichten der Frau und des Mannes zu Ungunsten der Frau entschieden und ist ihre Selbstbestimmung durch männliche Dominanz und Vormundschaft begrenzt. In islamischen Ländern gilt ohne Ausnahme: Je stärker das jeweilige Familienrecht von der Scharia geprägt ist, desto desolater ist die Rechtsstellung der Frau. 

Wenn uns dennoch suggeriert wird, der Islam vertrete die Gleichberechtigung der Geschlechter, so ist das mal eine anbiedernde Täuschung, mal dem Umstand geschuldet, dass man unter Gleichberechtigung nicht unbedingt dasselbe versteht. Der Zentralrat formuliert selbst zum Thema ‚Die Frau im Islam‘ das Motto: „Gleich­behandlung ist nicht immer Gleichberechtigung.“ So sei der Islam keinesfalls frau­enfeindlich und kenne auch keine Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes, aber in manchen Bereichen sehe das islamische Recht eben eine unterschiedliche Behandlung der Geschlechter vor. Denn: „Der Mann gebärt keine Kinder.“ 

Das stimmt. Aber was folgt daraus? Aus konservativ-islamischer Sicht sind Mann und Frau von Gott unterschiedlich erschaffen; das auf denselben Schöpfergott rückführbare islamische Recht trage dieser Unterschiedlichkeit Rechnung; so dass jedes Geschlecht bekomme, was ihm/ihr entspricht. Das bedeute „Gleichberechtigung“. Gerade im Bereich des Familienrechts hält der Zentralrat kompromisslos an der Scharia fest und erteilt somit jedem Reformgedanken eine Absage. 

Ein besonders skandalöses Beispiel ist die islamische Scheidung, die in der klassischen Form – der einseitigen Verstoßung – dem Mann vorbehalten ist. Wenn der Mann die Scheidungsformel „in besonnenem Zustand“ ausgesprochen hat, beginnt die übliche Wartezeit von drei Perioden/Monaten, innerhalb derer er die Scheidung zurücknehmen kann. Wörtlich heißt es zum Thema ‚Scheidung seitens des Mannes‘ auf islam.de: „Allgemein gilt, dass die Scheidung während der Idda [Wartezeit] als zurückgenommen gilt, wenn der Mann dies äußert oder Beischlaf mit seiner Frau hat.“ Was die Frau davon hält, ist unerheblich. 

In Fragen der Sexualität vertritt islam.de, also der „Zentralrat der Muslime in Deutschland“, die strenge Auslegung, nach der nicht nur außereheliche Sexualität verboten ist, sondern auch der Austausch jedweder Zärtlichkeiten vor der Ehe. Verlobte dürfen zum Zwecke des Kennenlernens zusammenkommen, allerdings nur in der Öffentlichkeit oder unter der Aufsicht Dritter. Denn – so ein überlieferter Ausspruch des Religionsstifters Mohammed – wenn Frau und Mann unbeobachtet zusammen sind, dann ist der Teufel der Dritte. 

islam.de: „Allah verbietet deshalb jeden außerehelichen sexuellen Kontakt, dieser stellt eine Gefahr für eine intakte Familie und somit für die ganze Gesellschaft dar. Auch verbietet der Islam alles, was zu einem solchen außerehelichen sexuellen Kontakt führen könnte.“ Mit diesem Denken wird die existenzielle Freiheitsbeschränkung muslimischer Mädchen und Frauen begründet. Man könnte daraus auch lesen, dass Frauen, die sich, noch dazu ohne männlichen Begleitschutz, in der Silvesternacht auf öffentlichen Plätzen aufhalten, damit ein selbst verantwortetes Risiko eingehen. 

Doppelbödig ist auch die Haltung des Zentralrats zur Kopftuchfrage. Da wird behauptet: „Islamisch gesehen ist das Tragen des Kopftuches eine Pflicht, die Allah im Koran offenbarte. Außerdem belegt die Sunna des Propheten (Friede sei mit ihm) diese Pflicht ebenfalls eindeutig. Frauen (und Männer) sollten sich aus Überzeugung an die von Allah offenbarten Kleidervorschriften halten.“ Zugleich aber bekennt sich der Zentralrat angeblich zur „persönlichen Entscheidungsfreiheit der Frau“ und lehnt jeden Zwang ab. Man weiß schließlich, was die deutsche Öffentlichkeit hören möchte. 

Die Realität aber spricht eine andere Sprache: Frauen ohne Kopftuch haben im Zentralrat keine Chance auf irgendeine Mitsprache, und die Bilder aller einschlägigen Aktivitäten des Zentralrats und seiner Mitgliedsverbände zeigen Mädchen und Frauen ab der Pubertät ausnahmslos mit Kopftuch, bei religiösen Aktivitäten wie dem Koranunterricht auch schon als kleine Mädchen. Halten sie sich alle freiwillig und aus Überzeugung an diese Vorschrift? Oder gibt es die vorgebliche Freiheit der Entscheidung gar nicht?

Die Taktik der meisten Verbands­muslime in der Konfrontation mit proble­matischen Erscheinungsformen ihrer Religion ist immer dieselbe. Stufe eins: Die Existenz des Problems wird allen Realitäten zum Trotz schlicht geleugnet, so zum Beispiel die weitgehende (sexuelle) Fremdbestimmung der Frau in der isla­mischen Welt, die nicht nur, aber auch religiöse Gründe hat. 

Wenn eine unliebsame Sache aber beim besten Willen nicht zu ignorieren ist, greift Stufe zwei: Mit dem Islam hat das alles nichts zu tun! Im Falle der Silvesternacht wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass das unsittliche Berühren von Frauen ebenso wie der in diesem Kontext wohl reichlich geflossene Alkohol haram, islamrechtlich verboten seien. 

Das stimmt. Es ignoriert aber, dass die islamisch geprägte Herkunftskultur der Täter das Idealbild einer zurückhaltenden, sich maximal bedeckenden und die Öffentlichkeit nur in Begleitung aufsuchenden Frau vermittelt. Alles andere ist eine Schande und gefährdet die Ehre der ganzen Familie. Ist diese tiefe und vom Islam maßgeblich mitbestimmte kulturelle Prägung plötzlich weg, wenn man in der Silvesternacht scharenweise junge Frauen antrifft, die sich so verhalten, wie es die eigene Schwester niemals dürfte? 

Stufe drei ist der Gegenangriff, auf dass wir alle uns unserer Islamfeindlichkeit schämen. Wenn es um Fremdenfeindlichkeit geht, sind die Deutschen zu Recht empfindlich und machen schon mal Zugeständnisse. Die muslimischen Verbände wissen das zu schätzen; sie wollen mit dem Dauervorwurf der Pauschalisierung und Islamfeindlichkeit einen konserva­tiven Islam etablieren, den zu kritisieren als „fremdenfeindlich“ gilt.  

Auch die Silvesternacht in Köln wurde benutzt, um im Handumdrehen von dem eigentlichen Problem der Frauenbelästigung auf die vermeintliche Islamfeindlichkeit in Deutschland zu kommen. Dass es fremden- und teils auch islamfeindliche Vorkommnisse gibt, denen entschieden entgegen zu treten ist, ist keine Frage. Aber angesichts der Silvesternacht diesen Perspektivwechsel zu vollziehen, ist eine Frechheit und Verhöhnung der Opfer. Und es ist eine Verhöhnung der deutschen Bevölkerung, die ständig mit erhobenem Zeigefinger gemahnt wird, nicht zu pauschalisieren und die Muslime nicht unter „Generalverdacht“ zu stellen. 

Das aber tun nur die Rechtspopulisten, die durch die beharrliche Leugnung der realen, mit dem Islam in Deutschland verbundenen Probleme immer mehr Zulauf bekommen. Wir Normalbürger wissen, dass nicht alle Männer und nicht alle Muslime gleich sind, wir differenzieren und brauchen keine diesbezüglichen Belehrungen. Wir sind solidarisch mit Menschen auf der Flucht und zugleich wach für die Probleme, die damit verbunden sind und die nicht zu Lasten der Frauen ‚gelöst‘ werden dürfen. Wir verbitten uns diesen steten Vorwurf der Pauschalisierung, mit dem man eigentlich jede kritische Äußerung zum Islam unterbinden will. 

Doch wer ist eigentlich der Zentralrat? Er wurde 1994 als Sprachrohr der Muslime in Deutschland gegründet und bildet nach seiner Selbstdarstellung „die ganze Vielfalt der Muslime in Deutschland“ ab: Türken, Araber, Nordafrikaner, Deutsche, Albaner, Iraner, Afrikaner und Bosnier, sowie Sunniten und Schiiten. Doch was im Hinblick auf die Nationalitäten und die zwei großen muslimischen Konfessionen stimmt, stimmt keinesfalls im Hinblick auf die Auslegung des Islam. Die ist im Zentralrat durchweg streng konservativ und Scharia-orientiert. Liberale Stimmen des Islam sucht man hier vergeblich. Im Gegenteil, sie werden vom Zentralrat bekämpft, wie der an der Universität Münster lehrende Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide.

Aktuell verfügt der ZMD über 29 Mitgliedsverbände sowie vier assoziierte Mitglieder. Zahlenstärkster Verband ist die ATİB („Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa e.V.“), eine Abspaltung der rechtsextremen ADÜTDF, der Auslandsvertretung der Grauen Wölfe. Weitere Mitglieds- und Gründungsorganisationen wie die Islamische Gemeinschaft in Deutschland (IGD), das Islamische Zentrum München IZM und das Islamische Zentrum Aachen IZA sind historisch und ideologisch in der islamistischen Muslimbruderschaft verwurzelt und in den vergangenen Jahren in zahlreichen Verfassungsschutzberichten zu finden gewesen. Die schiitische Seite vertritt das Islamische Zentrum Hamburg (IZH) als Satellit der iranischen Geistlichkeit und Regierung auf deutschem Boden – die dahinter stehende Islamauslegung ist bekannt. 

2007 schloss sich der „Zentralrat der Muslime“ mit drei anderen großen und gleichfalls konservativen Verbänden zum Koordinationsrat der Muslime (KRM) zusammen: mit der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs IGMG, dem Verband der Islamischen Kulturzentren VIKZ und der deutschen Vertretung der türkischen Religionsbehörde DITIB. Den Verbänden und insbesondere dem Zentralrat geht es darum, die Deutungshoheit über den Islam in Deutschland zu erlangen, die Geschwister im Glauben mit Dogmatismus zu gängeln und von der Politik wahrgenommen zu werden, um immer mehr Interessen und Normen der orthodoxen Muslime in Deutschland durchzusetzen. 

Im November 2014 erschien auf islam.de die fiktive „(Noch) ungehaltene Rede eines Muslims vor dem deutschen Bundestag im Jahre 2050 am Tag der Deutschen Einheit“ von Mohammed Khallouk, deren Lektüre jedem empfohlen sei, der im Unklaren über die Ziele des Zentralrats ist. In Kürze: Die Verbände haben ihr Ziel erreicht und dominieren den Islam in Deutschland: flächendeckender Religionsunterricht, islamische Theologie an jeder dritten Universität, Kopftücher in allen Berufen und Fraktionen, Muslime in Aufsichtsräten der Medien zur Überwachung der Radio- und Fernsehprogramme. Die Berichterstattung, die den Islam in die Nähe von Gewalt und Terror rückt, ist weitgehend ausgemerzt; die Unbelehrbaren werden verklagt und entlassen. Eine Mus­limenquote für Aufsichtsräte großer Konzerne steht kurz vor der Einführung. Fazit: Meinungs- und Pressefreiheit, Gleichheit und Säkularismus gelten nur noch in den Grenzen des Islam. 

Der wohl denkwürdigste Satz in dieser muslimischen Traumwelt lautet: „Am 3. Oktober 2050, dem sechzigsten Jahrestag der deutschen Einheit, hielt erstmals ein Muslim die Festtagsansprache vor dem deutschen Parlament.“ Aber hatte nicht einige Monate zuvor, im Mai 2014, der bekennende Muslim Navid Kermani im Bundestag die Festrede anlässlich des 65-jährigen Geburtstages des Grundgesetzes gehalten? Wird also Reformern und Freigeistern vom Zentralrat das Muslim-Sein abgesprochen? 

Da beruhigt es fast, dass die konser­vativen Islam-Verbände nur einen sehr kleinen Teil der ohnehin wenig organisationswilligen Musliminnen und Muslime in Deutschland vertreten. Der Zentralrat hat nach vorsichtigen Schätzungen 10000 bis 15000 Mitglieder, nach eigenen Angaben 30000. Das wären bei vier Millionen Muslimen in Deutschland – eine Zahl, die den Flüchtlingszuzug noch nicht berücksichtigt – 0,25 bis 0,75 Prozent. Und da wundert es nicht, dass drei von vier MuslimInnen in Deutschland noch nie etwas vom Zentralrat gehört haben. Und dennoch ist ausgerechnet sein Vorsitzender Aiman Mazyek heute der Hauptansprechpartner von Politik und Medien. Da stimmt doch etwas nicht. 

Der hier gekürzte Beitrag erschien in „DER SCHOCK – die Silvesternacht in Köln“, hrsg. Von Alice Schwarzer (KiWi)

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Alice Schwarzer schreibt

Hier irrte die Kanzlerin

Gauck, Mazyek, Merkel und Gabriel bei der Mahnwache am 13.1. vor dem Brandenburger Tor.
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Die „Trennlinie zwischen Islam und Islamismus“ definiert die Bundeskanzlerin so: „Der Islamismus findet statt, wo unter Berufung auf die Religion Gewalt angewendet wird oder zur Gewaltanwendung aufgerufen wird, um andere zu unterwerfen.“ Gesagt hatte sie dies in der Frankfurter Allgemeine Zeitung. Doch mit Verlaub, Frau Bundeskanzlerin: An diesem Punkt ist es bereits zu spät. Viel zu spät. Denn die Gewalt ist nur die Spitze des Eisberges des politisierten Islam, des Islamismus.

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Ihr geht eine ideologische Indoktrinierung voraus, der Drill der Gläubigen zur Selbstgerechtigkeit und Verachtung der „Anderen“, als da sind: Frauen, Juden, Homosexuelle, Kreative, „Ungläubige“. Dieses Schüren von Hass auf die Anderen ist die Saat der Gewalt. Mit der Kalaschnikow in der Hand geht die Saat auf.

In der Welt
der Islamisten
gilt für Frauen
die Apartheid

In allen totalitären (Denk)Systemen ist die Entmenschlichung der Anderen die Voraussetzung dafür, dass die Einen sich zu Herren über Leben und Tod der Anderen aufschwingen. Der Kadavergehorsam der Indoktrinierten beginnt in der patriarchalen Familie, in Koranschulen und in den orthodoxen oder gar islamistischen Moscheen. Und da reden wir nicht nur von salafistischen Moscheen. Wir reden unter anderem auch von den heute etwa 1000 Ditib-Moscheen in Deutschland, die finanziell wie personell von der Türkei abhängig sind. Vor der Machtergreifung Erdogans waren manche Stätten eines echten Dialogs, heute weht da ein anderer Wind.

Die frühe Unterwerfung von Söhnen, Töchtern und Frauen findet ihre konsequente Fortsetzung in den Schmieden der Gottesstaatler, die aus Ich-schwachen jungen Männern waffenstarrende Gotteskrieger formen und aus verlorenen jungen Frauen hörige Bräute. Die Islamisten missionieren seit den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, seit der Ausrufung des Iran zum Gottesstaat. Erstes Ziel dieser mit Petrodollars aus Saudi-Arabien und Qatar ausgestatteten Gottesstaatler waren die islamischen Länder, doch sind sie sehr rasch auch in den muslimischen Communities der westlichen Welt angekommen. 

Dennoch halten laut Bertelsmann-Studie 90 Prozent aller MuslimInnen nicht etwa den Gottesstaat, sondern die Demokratie für „eine gute Regierungsform“; ebenso viele haben „regelmäßigen Freizeitkontakt“ zu Nicht-MuslimInnen. Und 60 Prozent bejahen nicht nur die Homosexualität, sondern sogar die Homoehe – was für Islamisten des Teufels ist.

90 % aller
MuslimInnen
finden die
Demokratie gut!

Das sind wirklich gute Nachrichten! Die Menschen muslimischer Herkunft sind in Deutschland also mehrheitlich integriert. Doch genau darum sind sie die ersten Opfer der Islamisten, nicht wir. Sie sind es, die in den Augen der Fanatiker „Verräter“ sind. Sie sind es, die von den Islamisten agitiert, unter Druck gesetzt und bedroht werden. Sie sind es, deren Söhne sie vergiften und deren Töchter sie entrechten. Sie sind es, die wir im Stich gelassen haben.

Ausgerechnet die freiheitsliebenden MuslimInnen haben wir in den vergangenen Jahrzehnten allein gelassen. Stattdessen hat die Politik den Islamisten nach dem Munde geredet. Sie hat es zugelassen, dass leichtfertig einem Kulturrelativismus das Wort geredet wurde, bei dem die Menschenrechte zwar für uns gelten – aber nicht für muslimische Männer und schon gar nicht für muslimische Frauen. Höchste Zeit also, dass sich das ändert! Denn die Gefahr wächst.

Aus Frankreich ist zu hören, dass nach den Attentaten auf Charlie Hebdo und den jüdischen Supermarkt keineswegs alle erschrocken waren. Schulen mit hohem Muslim-Anteil melden, dass manche Schüler in der verordneten Schweigeminute „Allahu Akbar“ riefen, aufklärende Lehrerinnen und Lehrer anpöbelten und drohten: „Das war erst der Anfang.“ Und auch aus Berlin oder Köln ist seit Jahren, ja Jahrzehnten zu hören, dass unverschleierte Mädchen als „Nutten“ beschimpft werden und Lehrerinnen als „Huren“. Die Saat geht auf. Es ist zu befürchten, dass die nächste Generation der Muslime nicht mehr zu 90 Prozent die Demokratie bejahen wird. 

Die einzige sinnvolle Antwort darauf wäre eine wirklich konsequente Trennung von Staat und Religion. Es darf in den staatlichen Schulen keine Extraregelungen wegen Glaubenszugehörigkeit geben; Deutsch muss Sprache für alle sein; wir brauchen Aufklärung über Rechtsstaat und Gleichberechtigung der Geschlechter in den Klassen. Schluss mit der falschen Toleranz!

Vor dem Terror
kommt die
Verachtung
der "Anderen"

In den Tagen nach den Attentaten in Paris demonstrierten deutsche PolitikerInnen gemeinsam mit Muslimen gegen die islamistische Gewalt. Was im Prinzip eine gute Sache ist. Doch mit wem stand die Kanzlerin da Arm in Arm? Mit Aiman Mazyek, dem Vorsitzenden des Zentralrates der Muslime. Weiß die Kanzlerin wirklich nicht, dass der Zentralrat der Muslime (dessen Namensgleichheit mit dem Zentralrat der Juden Kalkül ist) 1994 von einem deklarierten Islamisten, dem Konvertiten und Ex-Botschafter Wilfried Murad Hofmann mitgegründet wurde? Und dass der Zentralrat eng verbandelt ist mit den ägyptischen Muslimbrüdern, die die historische Keimzelle des Islamismus sind? Ist der Kanzlerin entgangen, dass die Stimme des gerne „beleidigten“ Zentralrates vor den Anschlägen in Paris kaum je zur Verteidigung der Pressefreiheit oder Ermutigung innerislamischer Reformen zu hören war? Dafür aber häufig, wenn es zum Beispiel um „das Recht“ von Lehrerinnen auf das Kopftuch oder die „Befreiung“ von Schülerinnen vom Schwimmunterricht oder von Ausflügen geht.

Auf der Internetseite islam.de, Redaktion Aiman Mazyek, wird dargelegt, wie ein Muslim zu leben hat. Denn der traditionelle Islam regelt ja nicht nur Glaubensfragen, sondern das ganze Leben des Muslims bis ins letzte Detail. Hier eine exemplarische Kostprobe: 

„Punkt 2: Scheidung seitens des Mannes. Stufe 1: Wenn der Mann den Entschluss gefasst hat, sich scheiden zu lassen, muss er erst einmal warten, bis die Frau sich in einer blutungsfreien Phase befindet, in der sie keinen Beischlaf hatte. Erst dann darf er mündlich und in besonnenem Zustand die Scheidung aussprechen. Nachdem er dies getan hat, ist die Scheidung noch nicht vollzogen. Die Frau soll weiterhin zu Hause wohnen. Es beginnt eine Zeit, die drei Monatsblutungen der Frau (oder drei Monate, falls keine Monatsblutung mehr vorkommt) dauert und während derer der Mann die Scheidung zurücknehmen kann. Tut er dies, gilt die Ehe als nicht geschieden. Tut er es nicht, ist die Ehe nach Ablauf der Frist geschieden.“

Für die „Scheidung seitens der Frau“, Punkt 8, genügen drei Zeilen: „Ist die Scheidung seitens der Frau gewollt, so muss sie sich an ein Gericht oder einen Schiedsrichter wenden. Dieser kann die Ehe aufheben gegen Rückzahlung des Brautgeldes.“

Islam-Verbände
stehen unter
ausländischem
Einfluss

Und an dem Punkt „Islamische Trauung in Deutschland“ versäumt Mazyek nicht den Hinweis, dass hierzulande die Eheschließung auch standesamtlich durchgeführt werden müsse, damit sie gesetzlich gilt. Für den Fall empfiehlt er einen Ehevertrag mit den „typisch islamischen Klauseln der Ehe“, als da sind: die Morgengabe, die islamische Erziehung der Kinder und das (Frauen schwer benachteiligende) Erbrecht. Soweit die Welt der Islamisten, in der Apartheid für Frauen herrscht.

Zum Glück sind weder der Zentralrat (ZMD) noch die übrigen drei Verbände im Koordinationsrat repräsentativ für die Muslime in Deutschland. Experten schätzen die Zahl der Mitglieder in den Moscheevereinen, die dem Zentralrat angehören, auf maximal 20 000. Das ist nicht einmal ein Prozent der in Deutschland lebenden MuslimInnen. Trotzdem ist der ZMD seit Jahren der Hauptansprechpartner für die Politik. Warum? Warum demonstriert die Kanzlerin den Schulterschluss nicht mit Repräsentanten der restlichen 90 Prozent Muslime, die die Demokratie bejahen?

Zum Beispiel mit Mouhanad Khorchide. Der muslimische Religionsprofessor könnte das bestens gebrauchen. Er lehrt seit fünf Jahren in Münster islamische Theologie und bildet künftige Religionslehrer an deutschen Schulen aus; zurzeit hat er 650 Studierende. Seit 2013 steht Khorchide unter Polizeischutz. Grund: Morddrohungen von Salafisten.

Der „Koordinationsrat der Muslime in Deutschland“, in dem auch der Zentralrat Mitglied ist, hatte der Lehrerlaubnis für den Theologen am Anfang schriftlich zugestimmt. Aber jetzt passt Khorchide den Verbänden nicht mehr. Im Dezember 2013 haben sie ein 75 Seiten langes Gutachten gegen den Theologen verfassen lassen, um zu verhindern, dass er weiter lehrt (Übrigens: Gegen den Salafisten Pierre Vogel gibt es keine einzige Stellungnahme aus diesen Kreisen). Die Verbände wollen den von Khorchide vertretenen aufgeklärten Islam und seine Annäherung an Europa verhindern. Sie erklären darum dessen Interpretation des Islam kurzerhand für „unwissenschaftlich“. Es geht also um Deutungshoheit. Und die wollen die Orthodoxen bzw. Islamisten behalten. 

Zwischen
Islam und
Islamismus
unterscheiden!

Nicht zuletzt darum sollte die Mehrheit der nicht organisierten Menschen aus dem muslimischen Kulturkreis auch ein dringliches Eigeninteresse daran haben, sich zu organisieren: um Ansprechpartner für Politik und Medien zu sein. Bisher gibt es in Deutschland keinen sowohl von der Türkei als auch von den Muslimbrüdern unabhängigen Verband der Muslime, der einen aufgeklärten Islam verträte. Was es den bestehenden Verbänden leicht macht, für alle zu sprechen.

In dem zitierten Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hatte die Kanzlerin auch erklärt, sie wolle „die übergroße Mehrheit der Muslime in Deutschland vor einem Generalverdacht schützen“. Das ist gut und nötig. Denn in der Tat verändert sich gerade die Stimmung. Aggressive Akte gegen Moscheen sind in Deutschland zum Glück selten, aber sie werden mehr. Und fanden 2012 noch 52 Prozent aller Befragten, der Islam passe „nicht zu Deutschland“, meinen das jetzt schon 61 Prozent. Wobei noch zu klären wäre, was mit dem Satz „Der Islam gehört zu Deutschland“ überhaupt gemeint ist. 

Denn „den Islam“ gibt es nicht. Es gibt tausend Interpretationen und Lebensweisen von Muslimen in der islamischen wie der westlichen Welt. Aber es gibt den Islamismus. Und der kommt eindeutig daher: Er will eine wörtliche, fundamentalistische Auslegung des Koran zum Gesetz machen, zum Gottesgesetz. Das heißt, Frau Bundeskanzlerin, die Politik sollte die nicht-islamistischen Kräfte, die aufgeklärten MuslimInnen gezielt fördern und unterstützen. Damit die Saat der Gewalt nicht länger auf fruchtbaren Boden fällt.

Alice Schwarzer

Der Text erschien zuerst in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. – Aktualisiert am 13.2.2015

 

 

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