Christine Nöstlinger: Forever red
Rota rota ging-ging-ging / Feia brennt in Ottakring / Feia brennt in Währing / bis a g’söchta Hering!“ So geht der Zauberspruch, mit dem Friederike ihre Haare zum Glühen bringen kann. Den Kindern, die sie wegen ihrer roten Haare hänseln, macht sie so Brandblasen, damit sie endlich in Ruhe gelassen wird. Noch etwas kann der Zauberspruch: Er kann Friederike wegbringen aus der Stadt, in der sie täglich gemobbt wird. Wo niemand sie versteht, außer dem Briefträger, der Annatante und der Katze, die Kater heißt. „Rota rota ging-ging-ging“ bringt sie woandershin – in ein geheimes Land, in dem Rothaarige fliegen können.
Da ist die Feuerrote
Friederike, die mit ihren Haaren zaubern kann
Ich muss sieben oder acht Jahre alt gewesen sein, als ich „Die Feuerrote Friederike“ las. Gemerkt habe ich mir den Zauberspruch bis heute. An seine Fersen hat sich ein Versprechen geheftet, das für ein schüchternes Schulkind verlockend klang: Dass das, was ist, nicht das einzig Mögliche ist. Dass es auch anders geht. Man muss sich nur auf die Suche machen.
„Die Feuerrote Friederike“, 1970 erschienen, war das erste Buch der großen österreichischen Schriftstellerin Christine Nöstlinger. Gezeichnet und geschrieben hat sie das Manuskript am Küchentisch, und es ging ihr damals wie vielen Frauen ihrer Generation: ein Hausfrauendasein, zwei kleine Kinder, ein Leben zwischen Küche und Waschmaschine. Begleitet vom ständig nagenden Gefühl, dass das Leben an einem vorbeizieht, und man sein Talent vergeudet.
Rückblickend, sagte Nöstlinger einmal, sei sie damals wohl depressiv gewesen. „Lauter runde Fleckerln hab ich gehäkelt und weggeworfen“. Aber die Feuerrote Friederike hat sie da rausgeholt. Das Buch wurde auf Anhieb ein Verkaufserfolg, dem in den folgenden Jahrzehnten weitere 150 (!) Bücher folgen sollten, dazu zahllose Zeitungskolumnen, Gedichte, Hörspiele fürs Radio. Eine „Buchstabenfabrik“ nannte sich Nöstlinger, mit der ihr eigenen Mischung aus Selbstironie, Härte und Schmäh. Sie hat damit drei deutschsprachige Kindergenerationen beim Heranwachsen begleitet.
Das pummelige Gretchen, dessen Leben aus den Fugen gerät
Ottakring ist ein traditioneller Wiener Arbeiterbezirk. Währing ist bürgerlich. Genau dazwischen liegt der Bezirk Hernals, wo Christine Nöstlinger geboren wurde, als Tochter eines kriegsinvaliden Uhrmachers und einer Kindergärtnerin. Dass sich so viele Menschen in ihren Erzählungen wiederfinden können, hat wohl auch damit zu tun, dass sich die österreichische Geschichte in Nöstlingers Biographie spiegelt.
Sie war das Kriegskind, das im Keller hockte, während auf Wien die Bomben fielen. Da war der jüdische Nachbar, der Schuster Fischl, der „durch den Rauchfang ging“, wie man damals sagte, und da waren die Nazi-Nachbarn, die sich an seinem Besitz bereicherten. Ein abwesender Vater, erst an der Front und dann in Kriegsgefangenschaft. Und dann die Nachkriegszeit, in der die wilden, wütenden, traumatisierten Kinder über die Ruinen turnten, unbehelligt von Beaufsichtigung und Pädagogik.
„Ich wäre überhaupt nicht auf die Idee gekommen, die Welt für Kinder heil darzustellen. Da hätte ich ja lügen müssen!“, sagt Nöstlinger. Genau dieser pathosfreie, scharfe Blick zeichnet auch ihre Figuren aus. Häufig sind sie Außenseiter. Häufig wissen sie, wie sich materielle Not anfühlt. Häufig lehnen sie sich gegen Autoritäten auf.
Gretchen Sackmaier gehört zu Nöstlingers bekanntesten Geschöpfen – der pummelige Teenager aus einer pummeligen Familie, deren pummelige Mutter sich plötzlich entschließt, eine Diät zu machen, Sozialarbeiterin zu werden und ihren Mann zu verlassen. „Ilse Janda, 14“, die das Leben in der ärmlichen, beengten Zweizimmerwohnung als Gefängnis empfindet und abhaut. „Dschi-Dschei-Junior“, der jüngste, besserwisserische Sprössling aus einer Wischer-Familie (Wischer sind fast wie Menschen, aber doch etwas anders und lila).
Und schließlich, seit den Achtzigerjahren, die „Geschichten vom Franz“ in vielen Fortsetzungen – Chroniken aus dem ganz normalen Wiener Kinderalltag, zwischen Patchworkarrangements, Lehrerzoff und Liebeskummer.
Und die
Geschichte vom
Franz, über den Wiener Kinder-
alltag
Bei allem Realismus haben Nöstlingers Figuren häufig etwas Poetisches – sie sprechen Wiener Dialekt, oder erfinden Teile ihrer Sprache selbst. Und bei aller Schroffheit, die Nöstlinger nach außen stets versprüht, spürt man doch stets, wie stark sie, Sozialdemokratin durch und durch, trotz allem an das Gute und an den Fortschritt glaubt.
Feministin ist Nöstlinger selbstverständlich, wehrt sich jedoch mit Leidenschaft gegen das Binnen-I. Doch immer, wenn es ernst wird, kann man sich auf sie verlassen. Als die Ausländerfeindlichkeit überhandnahm, wurde sie Ehrenvorsitzende der NGO „SOS Mitmensch“. Am 5. Mai 2015, bei der offiziellen Gedenkveranstaltung des Parlaments für die Opfer des Nationalsozialismus, hielt sie die bewegende Festrede – und erzählte die Geschichte ihres jüdischen Nachbarn, Herrn Fischl. Aktuell wirft sie sich für den grünen Präsidentschaftskandidaten Alexander van der Bellen in die Schlacht.
Nein, es geht Christine Nöstlinger heute nicht sehr gut. Sie hat zwei Krebserkrankungen überstanden, sie raucht („Es zahlt sich für mich nicht mehr aus, aufzuhören“), ihr Herz schlägt viel zu schnell und „Man kennt mich schon in der Notfallambulanz“. „Ich möchte ewig leben“, sagt Nöstlinger trotzig. Und man würde sich wünschen, dass es ihr gelingt.
Sibylle Hamann