Film: Die göttliche Ordnung
Der Film kommt genau zur rechten Zeit. In einem Moment nämlich, in dem weltweit ein Rückschritt festzustellen ist, was die Frauenrechte angeht. Nicht nur in den USA oder in den muslimischen Ländern, sondern auch in der Schweiz. Mütter ziehen es vermehrt vor, zu Hause zu bleiben oder nur in einem sehr kleinen Pensum teilzeit zu arbeiten, von einer Retraditionalisierung ist die Rede.
Nora (eine hinreißende Marie Leuenberger, Foto: links am Transparent), die Hauptfigur in „Die göttliche Ordnung“, dem ersten Spielfilm, der sich der Einführung des Frauenstimmrechts in der Schweiz 1971 annimmt, ist da moderner. Nur putzen und Socken waschen, sagt sie zu ihrem Mann, sei langweilig und mache sie unglücklich. Sie würde deshalb gerne wieder arbeiten gehen, als Sekretärin in einem Reisebüro. Ihr Mann verbietet es – das kann er von Rechts wegen. Bis 1985 besagt das Schweizerische Eherecht, dass der Mann das Oberhaupt der Familie sei – und sich die Frau um Haus und Kinder zu kümmern und ansonsten zu schweigen habe. Der letzte Halbsatz stand da natürlich nicht, ergab sich aber sinngemäß. Und deshalb hatten die Frauen zwar Steuern zu zahlen, aber politisch nichts zu sagen, also kein Stimm- und Wahlrecht.
Im appenzellischen Dorf, in dem Nora mit ihrer Familie mitsamt tyrannischem Schwiegervater lebt, steht die Welt still. Man glaubt noch an die göttliche Ordnung, daran, dass die Frauen eine Art untergeordnete Wesensform sind. Wenn der Schwiegervater durstig ist, schreit er „Nora, Tee!“, ein Befehl, keine Bitte. Der Pfarrer sagt bei der Beerdigung einer Freundin von Nora über die Verstorbene: „Sie wusste, was dienen heißt“.
Nora, vif, herzlich, aber bislang unpolitisch, sieht nicht ein, weshalb Männer über ihr Leben bestimmen können sollen. Sie sucht Mitstreiterinnen und engagiert sich trotz viel Widerstand unerschrocken für die Einführung des Frauenstimmrechts.
Und es gibt ein Happy End, denn am 7. Februar 1971 war die Zeit dann tatsächlich reif: die Schweizer gestanden den Schweizerinnen das Stimm- und Wahlrecht zu, als zweitletztes Land in Europa. Der Kanton Appenzell Innerrhoden musste 1990 per Bundesgerichts-Entscheid dazu gezwungen werden.
Der Film von Petra Volpe ist unterhaltsam und differenziert zugleich. Er zeigt, wie auch die Männer unter den Erwartungen leiden, die das Patriarchat an sie stellt, wie sie hadern mit unerfüllten Träumen und Sehnsüchten.
„Die göttliche Ordnung“ thematisiert am Rande zudem ein weiteres dunkles Kapitel der Schweizer Geschichte, nämlich jenes der so genannten Administrativ-Versorgung: die rebellische Teenager-Tochter der Schwager-Familie wird weggesperrt, weil sie sich in einen Langhaarigen verliebt und Miniröcke trägt. Das war in der Schweiz bis in die Achtzigerjahre hinein möglich: Menschen, die den Behörden „negativ“ aufgefallen waren, konnten ohne Gerichtsurteil und zeitlich unbegrenzt in Gefängnissen oder Besserungsanstalten festgehalten werden.
Es traf viele junge Frauen, deren Vergehen darin bestand, rebellisch zu sein oder unverheiratet schwanger zu werden. Der Film ist ein Muss. Denn „Die göttliche Ordnung“ macht deutlich, wie fragil die Frauenrechte wegen ihres jungen Alters sind und wie schwer sie erkämpft wurden. Die Sätze, die die Männer im Film sagen, hört man heute noch. Zum Beispiel die der beiden Söhne von Nora, die auf die Forderung ihrer Mutter, sie sollten fortan ihre Teller selbst abräumen und beim Abtrocknen helfen, fassungslos mit der Bemerkung reagieren: „Aber wir sind Buben!“ Man muss nur genau hinhören.
Bettina Weber