Von der Leyen entlässt Chefausbilder
Es war ausgerechnet eine StaatsanwältIN, die das Verfahren einstellte. Die Einstellung allein hätte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen aber wohl noch nicht auf den Plan gerufen. Doch die sexistische Begründung, mit der die Staatsanwaltschaft Oldenburg die Anzeige der Soldatin zu den Akten legte, brachte die von der Leyen derart auf die Palme, dass sie einen Offenen Brief schrieb. Die Ministerin bezeichnete die Wortwahl der Juristin als „völlig inakzeptabel“. Ein einmaliger Vorgang in der 62-jährigen Geschichte der Bundeswehr. Was war also passiert?
Im September 2015 hatte eine Soldatin im Landkreis Friesland Strafanzeige gegen einen Hauptmann gestellt. Er soll sie während eines Festes sexuell belästigt haben. Stand Aussage gegen Aussage? Nein. Was auf dem Fest passiert war, war offenbar völlig unstrittig. Das Verhalten des Soldaten sei „übergriffig, distanzlos und unverschämt“ gewesen, konstatiert die Staatsanwältin unumwunden. Aber, schrieb sie: „Bei dem von Ihnen beschriebenen ,Imponiergehabe‘ des Beschuldigten (Posen, Muskelspiel, Aufforderung zum Sex, Griff an das Gesäß) ist jedoch nach allgemeinem (vorwiegend männlichem) Verständnis davon auszugehen, dass der Beschuldigte sein ,Interesse‘ an Ihnen damit kundtun und nicht, dass er Sie beleidigen wollte.“
Das sah die Verteidigungsministerin anders. „Mit dieser Einschätzung bedeutet die Staatsanwaltschaft letztendlich einer Soldatin, sie müsse sich übergriffiges und unverschämtes Verhalten von Kameraden gefallen lassen, weil ein Griff ans Gesäß nach ‚vorwiegend männlichem Verständnis‘ nicht beleidigend gemeint sei“, schrieb von der Leyen und fuhr fort: „Solche Interpretationen sind abenteuerlich und aus der Zeit gefallen. Denn sie machen den Mut zunichte, sich gegen sexuelle Belästigung zu wehren, und zerstören das Vertrauen von Opfern sexueller Übergriffe, an übergeordneter Stelle Verständnis und Schutz zu finden.“ Und die Ministerin setzte noch einen drauf: „Und es signalisiert potenziellen Tätern, dass Übergriffe schon okay sind, wenn es ‚nur‘ darum geht, ‚Interesse‘ an einer Frau oder einem Mann zu bekunden.“
Tatsächlich konnte sexuelle Belästigung nach dem alten Sexualstrafrecht nicht bzw. nur als „Beleidigung“ geahndet werden. Erst am 1. Juli 2016 beschloss der Bundestag – nicht zuletzt unter dem Eindruck der Silvester-Attacken auf Frauen – sexuelle Belästigung zum eigenen Straftatbestand zu machen. Rein rechtlich war die Einstellung des Verfahrens, das ja nach der alten Gesetzeslage beurteilt werden musste, also womöglich geboten.
Dass Verteidigungsministerin von der Leyen sich dennoch so klar und deutlich zur Begründung zu Wort meldete, zeigt, dass es ihr nicht nur um den Einzelfall geht. Sondern um das gesamte Klima in der Bundeswehr. Nicht erst seit den jüngsten Skandalen um die rituellen sexuellen Misshandlungen von Pfullendorf und Bad Reichenhall ist klar: Sexuelle Belästigung ist in der Bundeswehr kein Einzelfall, sondern ein verbreitetes und strukturelles Problem. Jede vierte Soldatin ist Opfer sexueller Belästigung durch die eigenen Kameraden.
Der Skandal im baden-württembergischen Pfullendorf ist nur die Spitze des sexistischen Eisbergs. Dass er bekannt wurde, ist übrigens nur dem Mut einer Soldatin zu verdanken. Die Männer im Männerbund Bundeswehr hatten sich bisher an die Omertà gehalten – Täter wie Opfer.
In der Staufer-Kaserne hatte ein ganzer Trupp Ausbilder seit Jahren folgende „Rituale“ praktiziert: In einem Aufenthaltsraum für Unteroffiziere war eine Poledance-Stange montiert gewesen. Neue Soldatinnen mussten als „Einstellungstest“ an dieser Stange tanzen. Wie der Wehrbeauftragte Peter Bartels (SPD) berichtet, hingen neben der Stange Slips auf einer Leine, an der Wand habe das Wort „Fotzen“ gestanden. Weibliche und auch männliche Soldaten mussten nackt in einem Hörsaal antreten und sich im Genitalbereich abtasten lassen. SoldatInnen beider Geschlechter wurden Tampons in den After geschoben.
Bereits im August 2016 hatte die Soldatin, eine Sanitäterin im Rang eines Leutnants, die sadistischen Ausbildungs-„Rituale“ an die Leitung der Kaserne gemeldet. Sie wurde daraufhin als „Nestbeschmutzerin“ beschimpft und gemobbt. Schließlich wandte sie sich direkt an das Verteidigungsministerium.
Ministerin von der Leyen reagierte prompt auf die Meldung der Soldatin. Sieben Täter wurden sofort suspendiert, fünf sind inzwischen aus der Bundeswehr entlassen.
Die Verteidigungsministerin richtete im Februar in ihrem Ministerium die Ansprechstelle „Diskriminierung und Gewalt in der Bundeswehr“ ein. Dazu gehört auch eine Hotline, bei der SoldatInnen Vorfälle solcher Art melden können, auch anonym.
Darüber hinaus gab von der Leyen eine Untersuchung in Auftrag: Der Ex-Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, Christian Pfeiffer, wird alle gemeldeten Vorfälle der letzten zwei Jahre sowie die aktuellen Fälle analysieren.
Bereits 2014 hatte eine Studie des „Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften“ der Bundeswehr ermittelt: Jede vierte Soldatin wurde Opfer von „unerwünschten, sexuell bestimmten körperlichen Berührungen“. Ebenfalls jede Vierte klagt über das „sichtbare Anbringen pornografischer Darstellungen“, sogar jede Zweite über „verbale Belästigungen“.
„Das führt nach meiner Wahrnehmung auch dazu, dass viele Zeitsoldatinnen für sich die Möglichkeit verwerfen, Berufssoldatinnen zu werden“, bedauert der Wehrbeauftragte. Das aber kann sich die Bundeswehr, die sich, seit sie 2011 zur Berufsarmee geworden ist, händeringend um Personal bemühen muss, nicht leisten. Denn 16 Jahre nachdem der Europäische Gerichtshof das deutsche Berufsverbot für Soldatinnen gekippt hatte und am 1. Januar 2001 die ersten Frauen den Dienst an der Waffe antraten, ist erst jeder neunte Soldat eine Soldatin. In manchen Kampftruppen ist nur jeder 20. Soldat weiblich. Einer der Gründe: „Es gibt Mobbing und sexuelle Belästigung, und in solchen Fällen wird manchmal noch nicht entschlossen genug reagiert, sondern teilweise verharmlost“, beklagt der Wehrbeauftragte Bartels.
Das will die Verteidigungsministerin nicht länger zulassen. Sie setzt nun offenbar auf rigorose Aufklärung. So wäre die Einstellung des Verfahrens in Oldenburg und seine „abenteuerliche“ Begründung vermutlich nie an die Öffentlichkeit gelangt, hätte nicht die Ministerin, die von dem Fall von einer Gleichstellungsbeauftragten der Bundeswehr gehört hatte, den Skandal selbst öffentlich gemacht. In ihrem Offenen Brief sprach die oberste Dienstherrin aller deutschen SoldatInnen Klartext, adressiert nicht nur an die Staatsanwaltschaft, sondern auch an potenzielle Täter. Von der Leyen: „Ich dulde in der Bundeswehr kein Verhalten, das die Würde, die Ehre und die Rechte auf sexuelle Selbstbestimmung von Soldatinnen oder Soldaten und der zivilen Beschäftigten verletzt.“
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