Meine Geschichte

Friedliches Pflaster?

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In der Südwest Presse las ich einen Artikel vom 10. Juni, der von den letzten beiden Prostituiertenmorden in Nürnberg berichtete und dazu auch die Nürnberger Prostituierten-Beratungsstelle „Kassandra e.V.“ befragte. Die "Kassandra"-Beraterinnen behaupteten, dass Prostituierte nicht stärker gefährdet seien als andere Berufsgruppen. „Die Frauen, die zu uns kommen, berichten selten von Zwangsprostitution und Gewalt“, wird „Kassandra“-Sprecherin Sandra Ittner zitiert. Nürnberg sei „ein friedliches Pflaster“ in Sachen Prostitution.

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Mein Zuhälter war mit den Hells Angels bekannt

Ich war sechs Jahre lang Prostituierte, einige davon in Nürnberg und Umgebung. Als ich 18 Jahre alt war, wurde ich von einem etwa 20 Jahre älteren „Loverboy“ rekrutiert, den ich durch das Internet kennenlernte. Was ich in Nürnberg und seinen „Rotlichtgeschäften“ gesehen und erlebt habe, entspricht nicht ansatzweise dem, was die Beratungsstelle „Kassandra“ behauptet.

In Nürnberg ist ein organisiertes und kriminelles Rotlichtmilieu akiv, in dem Rockerbanden das Sagen haben - mir bekannt waren Hells Angels, Bandidos und Gremium. Einblicke in diese organisierten Strukturen bekam ich durch die „Bekanntschaften“ meines Zuhälters. Natürlich geschieht all das im Verborgenen und ist für Außenstehende unsichtbar. Doch nur, weil viele die organisierte Kriminalität im Milieu nicht wahrnehmen können oder wollen, bedeutet das nicht, dass sie nicht da ist. Vor allem sollten Beratungsstellen für Prostituierte das Bild gegenüber der Öffentlichkeit nicht verzerren und verharmlosen.

Zuhälterei und Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung waren zu meiner Zeit in Nürnberg äußerst präsent und erschreckend ausgeprägt. Ich gehe nicht zu weit, wenn ich sage, dass es diesen "Frauen-Markt" der Prostitution ohne den Menschenhandel gar nicht gäbe. Das Rotlichtmilieu hat sich verändert, es wird vermehrt auch zu anderen Methoden gegriffen um Prostituierte an sich zu binden. Statt sie einzusperren, werden sie in finanzieller, sozialer, emotionaler Abhängigkeit gehalten – eine beliebte Methode im Business des Menschenhandels. Ein richtiger Trend.

Auch von mir wurde irgendwann verlangt, ein "Lovergirl" zu werden: Ich sollte andere Frauen emotional abhängig machen mit der gleichen Masche, die einst an mir verübt wurde, um meinem Zuhälter mehr Geld zu verschaffen. Ich tat es nicht. Aber der Schritt, auch diesen Weg zu beschreiten, ist nach gewisser Zeit nicht mehr schwierig. Einige Prostituierte fügen sich dem System, werden selbst kriminell und fangen an, andere Frauen auszubeuten, um dadurch dem eigenen Leid, der selbst erlebten Gewalt durch die Freier zu entfliehen.

Unzählige Prostituierte erleben Gewalt durch Freier

Während der Prostitution habe ich nie eine Prostituierte gesehen, die nach dem "Akt" mit einem Freier aus dem Zimmer kam und den Eindruck machte, als wäre dieser Zimmergang auch nur annähernd erträglich für sie gewesen. Nicht nur ich selbst, sondern auch die unzähligen anderen Prostituierten, mit denen ich in Kontakt kam, erlebten enorme körperliche, sexuelle und seelische Gewalt durch Freier. Das sollte jedem bewusst sein, der sich dafür ausspricht, dass Sexkauf legal sein sollte.

Warum Prostituierte den Beratungsstellen meist nicht von Gewalt und Zwang berichten? Zum einen habe ich etliche Male erlebt, dass sie anfangen, ihre Situation hinzunehmen. Denn die Angst davor, was passiert, wenn sie nicht „funktionieren“, lässt sie über lange Zeit hinweg Dinge tun, die sie eigentlich gar nicht wollen. Die meisten Prostituierten können nicht über die wahren Umstände der Prostitution sprechen: weil sie sich schämen; weil sie bedroht werden; weil sie verzweifelt sind und sich in ihrer Hoffnungslosigkeit und ihrem Identitätsverlust durch den Akt mit den Freiern damit abgefunden haben, tagtäglich benutzt zu werden; weil sie denken, sie wären es nicht wert, ein anderes Leben zu führen; und oft auch, weil sie nie erlebt haben, was es bedeutet, nicht erniedrigt zu werden und diese schlimmen Zustände deshalb normal für sie sind.

Zum anderen sollte es nicht verwundern, dass Prostituierte in Not sich vielen Beratungsstellen nicht ernsthaft anvertrauen. Denn wer wie der Frankfurter Verein „Doña Carmen“ eine Verfassungsbeschwerde gegen das neue Prostituiertenschutzgesetz erhebt, die auch von „Prostitutionskunden und Prostitutionsstätten-BetreiberInnen“ unterzeichnet wurde, ist keine ernstzunehmende Anlaufstelle. Wer sucht als ausgebeuteter Mensch schon Hilfe bei jenen, die mit den Ausbeutern an einem Tisch sitzen?

Wer sucht bei denen Hilfe, die mit Ausbeutern an einem Tisch sitzen?

Auch „Kassandra“ in Nürnberg verharmlost die Prostitution auf ihrer Homepage: „Sexarbeit ist Arbeit“ oder „Prostitution war, ist und bleibt Teil unserer sexuellen Kultur“ verkünden sie dort. Außerdem bietet der Verein eine „Fortbildung“ zum Thema „Sexualassistenz & Sexualbegleitung“ für Prostituierte an. Wenn man sich so positiv zur Prostitution verhält, sollte niemand überrascht sein, wenn dann kaum Prostituierten auftauchen, die von Ausbeutung und Gewalt betroffen sind.

Es macht mich traurig, wenn Vereine, die als Beratungsstellen für Prostituierte auftreten, in der Öffentlichkeit ein Bild von Prostitution erzeugen, das ich und die unzähligen Prostituierten, die ich kennenlernte, nie so erlebt haben. Die Beratungsstellen sollten die Anliegen der Mehrheit und nicht der Minderheit von Prostituierten vertreten. Leider ist ihr Auftreten manchmal pures Gift für die Abertausenden von Frauen, die an der Prostitution zugrunde gehen und keine Stimme haben.
 

Sandra Norak ist Mitglied bei "Sisters e.V. - für den Ausstieg aus der Prostitution". Über ihre Erlebnisse in der Prostitution schreibt sie in ihrem Blog "My Life in Prostitution"

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